9.
Nach derselben Melodie.
1. S. 40 Der Mund jenes vernünftigen 1 Sternes soll also beredt sein? Der Zwang regiert ja sein Wort und seinen Lauf; er ist überführt worden, daß er in allen Bewegungen von Ohnmacht überwältigt ist, und wenn der Stern etwas Totes ist, so steht er wirkungslos da, denn Tote können Tote nicht lebendig machen und Stumme kein Wort in unsern Geist säen 2.
2. Wie kann einer blind sein, ohne daß der Stern blind ist, und wie kann einer stumm sein, ohne daß der Stern stumm ist? Der Lahme belehrt uns über seinen Stern, daß er [der Stern] lahm ist. Das Fatum hat also alle Gestalten an sich, es ist stumm, blind, lahm und von einem Teufel besessen. Ein abscheuliches Untier ist da den Chaldäern begegnet.
3. Und wenn die Sterne und der Tierkreis Verstand besäßen, müßten sie doch auch ihre große Armseligkeit einsehen; sie müßten erkennen, daß sie unter dem Zwange ruhelos ihre Bahn laufen. Alle haben in jeder Beziehung etwas Unbedeutendes an sich, denn sie können weder ihren Feinden schaden noch ihren Freunden nützen, während nach diesen beiden Richtungen sogar der Knecht eines Richters etwas vermag.
4. Daß das Feuer heiß, der Wind kalt, das Wasser feucht, die Erde trocken ist, könnte mit einiger Wahrscheinlichkeit noch als von ihrer Macht S. 41 ausgehend angenommen werden, denn da herrscht kein freier Wille. Sie [die Chaldäer] mögen aber nachweisen, wie die Blicke [Aspekte] von Sternen ohne Sehkraft Toren und Weise hervorbringen!
5. Wenn sie nämlich kalte und warme Dinge hervorbringen, so geschieht dies, weil Warmes und Kaltes in ihnen ist; und darum geben sie, ohne zu sehen, von dem, was sie gemäß ihrer [natürlichen] Zusammensetzung haben. Wenn sie aber sehen und Verstand geben, den sie nicht haben, so ist einer, dessen Wille die Schatzkammer aller Dinge ist.
6. Die Höhe jenes Nordens trägt ganz [nur] Schnee, der überhaupt nicht abnimmt, um den Tierkreis zu widerlegen; denn es vermag das Fatum nicht, jenen Schnee zum Aufhören [Schmelzen] zu bringen, der die Quellen des Nordens reich macht, obwohl nicht [bloß] ein kalter Stern auf jenen Ort schaut, der die Scheune des Schnees und die Vorratskammer der Quellen ist.
7. Die Schiffe, die untergehen, die Häfen, die verschüttet werden, die Beulen und Seuchen, die Erdbeben und Erschütterungen, die Kriege und Überschwemmungen, der Einsturz von Städten heben das Horoskop [die Nativität] auf, da sie es [für alle Betroffenen] gleichmachen. Die Hütten der Hebräer und Zelte der Hagarskinder [Araber] rufen laut, dass der freie Wille Gewohnheit und Gesetz ist.
8. Wohin sind die wilden Feste und die Glöckchen und Würfelspiele und die gereihten Bücher 3 der Chaldäer gekommen? Wer hat die Feier der rasenden Göttin abgeschafft, an deren Fest die Weiber sich der Hurerei preisgaben ? Stand etwa ein Stern jenen Mädchen vor, die einst ihre Jungfräulichkeit der Unzucht weihten?
9. Siehe, alle Völker gehorchen Fürsten, dienen ihren Oberhäuptern, verehren ihre Könige. Wer hat uns also gegen die Gestirne zum Aufruhr gereizt? Sie S. 42 durch sich selbst haben uns 4 ja zum Abfall gezwungen 5. Wer möchte sich wohl zum Fatum bekennen, das uns zum Abfall geführt hat? Wer möchte einem Herrn dienen, der uns nötigt, uns seiner zu schämen?
10. Das Fatum, das die Diener ihren Herren unterwirft, betrachte es, wie es im Gegenteil uns gegen sich selbst zur Empörung treibt! Es macht sich selbst durch uns lächerlich. Wenn es keine Freiheit gibt, dann nötigt uns der Zwang, es zu verachten 6. Es bringt uns zum Schweigen, daß wir nicht die Könige ins Angesicht lästern; es ehrt [also] die Könige durch uns, sich selbst aber läßt es durch uns beschimpfen.
„Vernünftig“ und „beredt“ ist im Syrischen durch das gleiche Wort „melîlâ“ wiedergegeben. Welcher Stern die Veranlassung zu diesem Wortspiel gegeben hat, ist mir unbekannt; ein Sternname, mesaklānâ, mit ähnlicher Bedeutung kommt in einem, Ps.-Dionysius zugeschriebenen Traktate vor [herausgegeben von Furlani im Journal of the Royal Asiatic Society 1917 S. 247,6] ↩
Bei diesem wie bei dem vorangehenden Hymnus haben die Hss keinen Kehrvers angegeben. ↩
Unter den „gereihten [?] Büchern“, sefrê sedîrê, sind wohl Zauberbücher gemeint. ↩
Die Londoner Hs hat „mich“. ↩
Nach der Meinung der Astrologen sind es ja das Fatum und die Gestirne, die alles regieren; also müssen sie auch schuld sein an dem Abfall von dieser Lehre. ↩
Ironisch; da es ja nach der Ansicht der Astrologen keine Freiheit gibt. ↩
