11. 1
Nach der Melodie: O mein Schüler!
1. S. 45 O unser Arzt! Heile unsere Freiheit! Durch dich möge sie geheilt, durch dich möge sie gesegnet werden! Laß nicht ab, ihr zu helfen, denn auf dir beruht ihre Genesung. Eine hohe Gabe [ist sie], durch die du uns bevorzugt hast vor den Meeren, die durch ihre Grenzen gebunden sind, vor der Erde, dem Himmel und den Bergen, die ohne sie viel geringer sind.
Kehrvers 2: Die kleinen Körper hast du, o Herr, durch die Freiheit über alle Geschöpfe erhöht!
2. Unser Herr, besuche unsern Geist, denn krank sind wegen der Güter seine Willensentschlüsse und wegen der Besitzungen seine Gedanken, und wegen seiner Begierden ist krank seine Macht. Denn böse ist er an sich nicht, wenn er [nur] will; gleichwie auch keine Finsternis da ist, wenn es Licht geworden ist, und gleichwie Dornengestrüpp [nur dann] emporwächst, wenn das Feld der Pflege entbehrt.
S. 46 Sei, o Herr, sein [des Geistes] Licht und Pfleger, auf daß er durch dich gereinigt und erleuchtet werde!
3. Die Ungläubigen mit den Chaldäern heben mit ihrer [Willens-] Freiheit die [Willens-] Freiheit auf 3. Das böse [Ur-] Wesen soll stärker sein als sie [die Willensfreiheit], und das Fatum ist der Zwang, der sie unterjocht. Zeigen wir nun [demgegenüber], dass ihre [der Freiheit] Macht über alles herrscht! Ihr Herr nämlich leitet das Gute und auch das Böse, und kein böses [Ur-] Wesen steht ihr entgegen, kein Zwang des Fatums vermag etwas wider sie. Gepriesen sei der Schöpfer der Freiheit, der der Magd die Freiheit über sich selbst gab!
4. Wer könnte die Freiheit verbergen, die wie die Sonne am Firmament leuchtet? Wer vermöchte ihre Herrschaft zu leugnen, deren Kraft gewaltig ist wie Gott? Wie offenkundig ist sie, denn siehe, ihre Verleumder sind ihre Verkünder; wie klar ist sie, denn siehe, ihre Schmäher sind ihre Posaunen 4! Leicht ist ihre Sache und angenehm ihre Partei; ihr Name ist kostbarer als alle geschaffenen Dinge. –
Gepriesen sei der, der Gebote flocht, mit den die Freiheit bekränzt werde! Gepriesen sei der, der die gerechten Zeugen zahlreich werden ließ, die laut die Freiheit verkünden“ 5!
5. Die [heiligen] Schriften belehren uns, daß der Gerechte nicht dem Bösen statt der Freiheit Vorwürfe machte; wenn aber ein böses [Ur-] Wesen wäre, würde er dieses gescholten oder bezwungen haben. Wenn ferner das Fatum es wäre, das [Leute zu] Mördern macht, würde jedermann dieses tadeln und nicht die Mörder. Den Verbrechern selbst aber macht man Vorwürfe, da sie ja durch ihre Naturen nicht gezwungen waren, –
S. 47 Gepriesen sei derjenige, der durch Moses und Daniel die Könige in ihren Städten zurechtwies!
6. Gleichwie die Freiheit die Kraft, die in ihr verborgen ist, unterdrücken und durch Vergnügungen abstumpfen kann, bis der Gerechte sie [die Kraft] durch Züchtigungen offenbart – wenn sie leiden muß, gibt sie ihrem Herrn das Anvertraute zurück –, ebenso unterdrückt sie auch durch Lüge die Wahrheit. Gezwungen bekannten auch die Zauberer und Chaldäer die Wahrheit. —
Gepriesen sei der, der die Hülle der Wahrheit zerriß, und es leuchtete aus ihr die verborgene Wahrheit auf!
7. Gepriesen sei der, der den Adam nicht durch etwas Großes oder Starkes prüfte, damit niemand fälschlich behaupte, daß Zwang oder eine andere fremde [feindliche] Gewalt vorlag! Durch ein verächtliches Werkzeug aus dem Geschlecht der Tiere [geschah es], das er mit dem Namen Vieh [Be’ira], d. h. das Unterjochte, bezeichnete. Außerdem machte er es lahm 6, und es wurde erniedrigt, so dass den Adam etwas in Schande brachte, dessen er sonst spottete.
Dem Meere glich Adam, das von einem Windhauch regiert wird.<p 8. Der Babylonier 7 hat die Chaldäer wegen ihrer Lehre zum Tode verurteilt; und nun nahmen sie ihre Zuflucht zu einem Namen, der erhabener ist als der Name des Fatums. Wenn sie ihre eigenen Götter als solche ansahen, mußten sie von diesen eine Offenbarung erfahren; wenn sie aber eine andere Macht verkündeten, haben sie dadurch ihren eigenen Lehren widersprochen. –
Gepriesen sei der, der sie vor Daniel sich selbst widerlegen ließ!
9. Die Chaldäer, die sonst nie den über alles erhabenen Gott bekannten, brachte der Zwang ihres Ränkespiels in Not, und sie verkündigten die Wahrheit, S. 48 die sie [früher] geleugnet hatten. Ihr Wille hielt hartnäckig die Wahrheit zurück; und da sie den Namen Gottes in der Vielzahl nannten, trat Daniel auf und verkündete den einen Gott, der über alles herrscht. —
Gepriesen sei der, der seine Offenbarung bekannt machte, die ein Mensch durch das Gebet empfing 8!
10. Das Fatum, nicht das Gebet, gibt, wie die Chaldäer sagen, Offenbarung; Berechnung ist’s nach ihrer Aussage; wer sie [die Berechnung] erlernt hat, kann alles durch sie erforschen. Als sie aber zwischen Trug und bloßem Schwerte standen, da eilten sie und deuteten den Traum durch eine andere Macht aus, die keiner [Berechnungs-] Kunst unterworfen ist. Das Gebet verrichtet der [freie] Wille.
Und weil sie die offenbare Wahrheit bekannten, rettete Gott ihr Leben.
11. Als die Starken schwach geworden, die Widerspenstigen müde und bestürzt wurden, und als ihre eigenen Lehren und Wahrsagereien und Götzenbilder sie zuschanden gemacht hatten und ihre Krankheiten nachzulassen begannen, da berief der Gütige die hebräischen Ärzte. Ihre Zeichen und Offenbarungen wurden [so] zur Arznei für ihre Zerrissenheit, —
Gepriesen sei der, der durch ihre Leiden auf ihren Willen einwirkte und ihre Krankheit entfernte!
12. Der Pharao, Babels Verwandter, verachtete die Kunst seiner [Babels] Zauberer; das Fatum, das es [Babel] liebte, stellte er bloß, denn nicht von dort kommt das Todesgeschick. Ihre [der Ägypter] Handlungen widerlegten die Bücher jener [der Chaldäer]; denn wie kann wohl die Geburt unter einer Nativität den Mädchen auf dem Trockenen das Leben erhalten und die Knaben in dem Flusse ersäufen 9?
S. 49 Gepriesen sei, der sie maß, den ersten durch den zweiten mit dem großen Maße des Meeres!
13. Ägypten wurde geschlagen; es lernte aber auch, daß die Macht, welche schlägt, auch heilt; es lernte dies nicht von den Chaldäern, denn ehe die schlimme Zeit [der Plagen] vorbeiging, lief es zu Moses, der seine Krankheit heilte. Vielleicht wurden seine Leiden deshalb zahlreich und seine Plagen reihten sich aneinander, damit es nicht denke, daß etwa ein Zufall vorliege; zehnfach lernte es die Wahrheit.
Moses belehrte Ägypten, die Kühe belehrten das Philisterland 10.
14. Gepriesen sei, der die Schlupfwinkel bloßlegte, die voll waren von Wahrsagern und Zauberern: Ägypten, das Magazin der Heilwurzeln, und Babel, das Magazin 11 der Amulette! Auch Assyrien lernte durch den Fall des Sennacherib, und [es lernten] die Indier, die auf das Gebet des Asa eine Niederlage erlitten 12. Alle Völker stachelte der Höchste durch vielerlei Anlässe dazu an, daß sie ihre Blicke auf ihn richteten.
Gepriesen sei, der uns ein Doppeltes zugleich lehrte, daß wir einen Herrn, aber auch Freiheit besitzen!
Der Hymnus ist vollständig übersetzt von Zingerle – abgesehen von seiner oben, S. 30 Anmerkung 1, erwähnten Übertragung – im 2. Ephräm-Bande der 1. Auflage der Bibliothek der Kirchenväter, S. 234 – 240; eine metrische Übersetzung der ersten 6 Strophen findet sich auch im 4. Bande der Innsbrucker Ausgabe, S. 284 – 86; im Metrum des syrischen Urtextes hat H. Grimme die 1. Strophe übertragen. [Der Strophenbau in den Gedichten Ephräms des Syrers, Freiburg [Schw.l 1893, S. 49.] Die Silbenzahl der Verse jeder Strophe ist nach dem Schema 7, 8, 7, 8, 10, 10, 7, 8 geordnet, woran sich der zweizeilige Kehrvers von 7, 8 Silben anschließt. – Die ersten beiden Strophen sind im Gebetstone gehalten. ↩
Dieser Hymnus weist insoferne eine Eigentümlichkeit gegenüber den andern dieser Sammlung auf, als der Kehrvers bei jeder Strophe wechselt. ↩
Sie leugnen freiwillig die Freiheit. ↩
Von diesem Satze läßt die römische Hs die zweite, fast ganz gleichlautende Hälfte weg; der Strophenbau verlangt aber die Beibehaltung. ↩
Die Strophe hat einen doppelten Kehrvers. ↩
Auf dem Bauche kriechend; vgl. Gen. 3,14. ↩
Der König Nebukadnezar; vgl. Dan. 2, 1 – 12. ↩
Daniel erhielt auf sein Gebet hin Offenbarungen; vgl. Dan. 2, 17 – 24. ↩
Vgl. Exod. 1, 16 u. 22. ↩
Vgl. 1 Kön. 6,7 ↩
Mit „Schlupfwinkel“ und „Magazin“ übersetze ich das in allen drei Fällen im Syrischen gebrauchte Wort Kaněp[h]â, Busen, Schoß. ↩
Vgl. 2 Chron. 14,9 ff. ↩
