17.
Nach der Melodie 1: O meine Brüder und Verwandten!
1. Meine Brüder, Väter und Söhne, hört auf meine Lehre! Sehet, die Stimme der Wahrheit predigt in der Kirche, und aus allen Büchern [der Bibel] ruft sie uns zu, um uns zu belehren, daß nur ein einziges [ewiges] Wesen ist, und daß ohne Makel die Farbe der Nacht ist, und daß sie nicht eine Verwandte des Übels ist. Betrachtet sie, ihr Einsichtigen, daß sie nicht einer Natur sind, daß das Übel vom Willen kommt, die Nacht nach der Anordnung sich aber über alle ausbreitet.
2. „Die Finsternis und der Böse sollen nämlich derselben Natur sein, der Körper und die Schlange derselben Natur angehören“ 2.“ Wieviel böse Wesen S. 64 sind wohl in jenem bösen Wesen? Der Körper, der getauft ist, bekennt seinen Glauben; das Gift der Schlange ist offenbar, und das des Bösen ist versteckt. Satan ist verborgen, die Farbe der Nacht aber sichtbar; der Böse ist gesprächig, die Finsternis aber stumm; ohne Begierde ist die Nacht; dieselbe Natur und doch nicht ähnlich, dieselbe Wurzel und doch nicht gleich, ein Wesen und doch geteilt?
3. Und wenn der Wille des Schöpfers ihre Natur nicht gleichmachte, so unterwarf er also durch seinen Willen ihre Natur jeglicher Verschiedenheit. Siehe, er verhängte das Übel über die Arten jeder Form, über die zierliche Taube, über die beißende Schlange, über das reine Lamm, über die abscheuliche Otter; wenn die Wurzel [der Ursprung] aller Körper die Finsternis wäre, würden die Früchte es verkünden; es bezeugen aber die Körper laut, daß sie nicht von derselben Natur sind.
4. „Der Körper soll nämlich etwas von der Seele [völlig] Getrenntes [Verschiedenes] sein, da eine tote Natur nicht mit einem andern Lebewesen leben könne.“ – Satan zeigt ihnen, wie er lebt, und die Dämonen, die den Tod überwanden. Es kann also auch der Körper mit dem Leben der Seele fortdauern am Ende. Und wenn der Satan Tausende von Jahren existiert und nicht stirbt, um wieviel mehr müssen die Körper, die gerechtfertigt sind, in der Endzeit ein Leben ohne Ende erhalten!
5. Der Körper preist dich, Herr, daß du ihn zu deiner Wohnung geschaffen hast; die Seele betet dich an, daß du sie durch deine Ankunft erkauft hast. Leib und Seele zugleich loben dich, daß sie in dir getauft sind und dich angezogen haben 3. Auch die Nacht preist dich, unsern Schöpfer, daß du sie geschaffen hast zur Erquickung alles Fleisches. Schlaf und Finsternis, schaue auf beide, denn von ihnen sind abhängig die Körper, die Körper von den Seelen, und die Seelen von deiner Liebe!
6. S. 65 Einfältige nennt uns jene Partei, die in ihrer Einfalt sich vergeht wie Toren und sich lächerlich macht, denn sie tadelt Gott heftig und merkt es nicht. Wenn nämlich das Übel und die Finsternis verwandt sind, so ist’s ja Gott, der die Nacht ausbreitet, und in ihr schliefen und schlafen die Gerechten; die Nacht benutzte auch unser Herr zum Schlafe, um zu zeigen, daß sie [Finsternis und Nacht] nicht unrein seien. Nur der ist unrein, der in seiner Freiheit sündigt.
7. Die Finsternis verfinsterte Ägypten, weil dieses den Glanz verfinstert hatte, mit dem die Söhne Jakobs einzogen und es erleuchten wollten. Die Finsternis richtete die Zauberer. Wie kann ihr Verwandter sein Geschlecht hassen und wiederum ihren [der Zauberer] Hassern helfen und seine Pfeile auf seine Freunde abschießen? Als der Böse mit seinen Zaubereien gegen Moses kämpfte, machte drei Tage lang die Finsternis den Bösen zuschanden, dem Moses aber gab sie die Siegeskrone.
8. Die Finsternis schloß Ägypten ein, weil es den unschuldigen Joseph, der verleumdet worden war, ins Gefängnis geworfen hatte. Dichte Finsternis ward ihnen zum Bedränger; denn nicht [bloße] Nacht war jene wahre, dichte Finsternis, und durch ihre schweren Flügel wurden sie gequält; wenn sie sich bekehrten, ließ sie ein wenig von ihrer wahren Gewalt ab und zerriß ihre dichte Hülle und zeigte den Suchenden den geraden Weg zu Moses.
9. Diese Bekehrung entstand ihretwegen. O der Finsternis, die die Finsternis bedrohte! Sie offenbarte jene verborgene, sie machte den verfinsterten Pharao zuschanden und ließ ihn verstummen; die sichtbare Finsternis erleuchtete ihn. Beim Licht war sein Herz verfinstert und prüfte nicht; am Tage war er widerspenstig, unterworfen aber wurde er durch die Nacht; finster war er, solange es hell war, erhellt wurde er durch die Finsternis, – Dinge, die einander zu widersprechen scheinen.
10. Der Böse verwirrt alles, ermüdet alles, bringt alles in Angst; die Nacht besänftigt alles, macht alles S. 66 rasten, gibt allem Ruhe. Wenn sogar die Gerechten abfielen, sie fiel nie ab; sie sündigte nicht wie David, verleugnete nicht ihren Herrn wie Simeon, sie verfolgte nicht die Kirche wie der Apostel [Paulus]. Wie kann nun wohl Satan ein Verwandter der Nacht sein? Denn er fiel ab und machte abfallen, und auch sein Name gibt Zeugnis von seinem Abfall 4.
Die Hymnen 17 – 21, hauptsächlich gegen den Dualismus der Manichäer gerichtet, haben keinen gleichmäßig angelegten Versbau; sowohl die Zahl der Verse einer Strophe als auch die Silbenzahl innerhalb der entsprechenden Verse variiert. Die Hymnen dieser Gruppe weisen keinen Kehrvers auf. ↩
Hier und in Strophe 4 werden Anschauungen der Gegner angeführt und widerlegt; es handelt sich um dualistische Lehren, wie sie Mani vertrat. Der Text der 2. Strophe ist in der römischen Ausgabe gegenüber den Handschriften stark verändert. ↩
Vgl. Röm. 6, 3 und Gal. 3,27. ↩
In dem letzten Satze gibt der Dichter eine Erklärung des Namens „Satan“, der allein schon andeute, daß die Nacht mit ihm nichts gemein hat; „Satan“ leitet er von sětâ [abfallen] ab, mastjanûtâ = Abfall. ↩
