16.
Oder gab es etwa in diesem Reich keine Liebe, sodass kein brüderliches Mitgefühl aufkommen konnte, besonders für jene, denen ohne vorangehendes persönliches Verschulden ewige Strafe drohte? Wie steht es mit jenen Seelen, die später im Klumpen gefesselt wurden? Waren nicht auch sie Teil eures Gottes, gehören sie nicht zur selben Art, zur selben Substanz? Sie wenigstens hatten doch sicher Angst, falls sie ihre zukünftige ewige Gefangenschaft vorauswussten, sie waren doch sicher betrübt. Falls sie aber nicht wussten, dass ihnen dies widerfahren werde, war ein Teil eures Gottes voraussehend, ein Teil nicht. Wie soll das ein und dieselbe Substanz sein? Da es also auch hier soviel Böses gab, noch bevor jene Vermischung mit dem Bösen, das von aussen kam, stattfand, warum prahlt ihr da mit eurem Gott als dem reinen, absoluten und höchsten Gut? Das Fazit: es bleibt euch nichts anderes als einzugestehen, dass diese zwei Naturen schon in sich entweder zwei Formen des Guten oder aber zwei Formen des Bösen darstellen. Falls ihr sie als zwei Formen des Bösen bezeichnet, könnt ihr von uns aus ohne weiteres eine der beiden nach eurem Gutdünken als die schlimmere bezeichnen, falls dagegen als zwei Formen des Guten, entscheidet euch ruhig für eine der beiden als der besseren! Wir werden der Frage nachher gründlicher nachgehen (588,15); wichtig fürs erste ist nur, dass eure Irrlehre weggeräumt ist, in der ihr die Existenz zweier Urprinzipien, der beiden Naturen, der guten und der bösen, behauptet, und damit klarerweise die Existenz zweier Götter, deren einer gut, der andere bös ist (cf. 568,9). Wenn nun also etwas als böse zu gelten hat, weil es dem andern Schaden zufügt, dann haben sich hier beide Seiten gegenseitig Schaden zugefügt, es könnte aber vielleicht die eine Seite als die ruchlosere gelten, weil sie als erste nach dem fremden Gut begehrte. Die eine Seite wollte also der andern Böses zufügen, die andere Seite aber vergalt Böses mit Bösem, und zwar nicht nach dem Talio-Gesetz gleichsam Aug um Aug (cf. Exod. 21,24), ein Prinzip, das ihr in törichter und schamloser Weise zu kritisieren pflegt, sondern noch weit härter. Wählt nun aus, welche Seite für euch die bösere ist, jene, die als erste Schaden zufügen wollte, oder jene, die weit grösseren Schaden zufügen wollte und dies auch verwirklichte! Denn jene begehrte, in angemessener Weise Anteil am Genuss des Lichts zu haben, diese aber rottete ihren Gegner völlig aus. Wenn jene erreicht hätte, was sie begehrte, hätte das für sie selber gewiss keine Nachteile gebracht, diese aber fügte, um den feindlichen Widerstand für immer zu brechen, auch der eigenen Seite schweren Schaden zu, was an jenen allbekannten, in der Literatur überlieferten wahnwitzigen Ausspruch erinnert (CIC.p.Deiot. 9,25): Sollen doch die Freunde zugrundegehen, wenn nur die Feinde gleichzeitig umkommen! Es wurde ja ein Teil eures Gottes untilgbarer Befleckung ausgeliefert, um als Material zu dienen, das jenen Klumpen umhüllen sollte, in dem der Feind später für ewig lebendig begraben würde. Denn soviel Furcht wird er noch als Besiegter auslösen, soviel Schrecken noch als Eingeschlossener verbreiten, dass es das ewigwährende Elend eines Teils eures Gottes braucht, um dem Teil, der von ihm noch übrig bleibt, einigermassen Sicherheit und Ruhe zu verschaffen. Welch reine Unschuld eures höchsten Gutes! Da seht ihr, euer Gott wird genau das tun, was ihr dem Volk der Finsternis so voller Entsetzen vorwerft, das es nämlich Freund und Feind gleichermassen Schaden zufüge (cf. 586,24). Dass euer Gott in Tat und Wahrheit genau dies getan hat, das verrät jener Klumpen der Endzeit, in den der Feind eingeschlossen, und an den der eigene Bürger angekettet wird. Mehr noch, jene Seite, die ihr als Gott bezeichnet, erweist sich sogar als Sieger in der Kunst, Freund und Feind gleichermassen Schaden zuzufügen. Die Hyle beabsichtigte ja nicht, ein Reich, das ihm nicht gehörte, zu vernichten, sondern es in Besitz zu nehmen; und wenn sie dabei einige der Ihrigen zugrunde richtete, die von andern Angehörigen ihres Volkes aufgerieben wurden, so gab sie ihnen immerhin von neuem eine verwandelte Gestalt, sodass sie durch Sterben und Wiedergeburt wenigstens in zeitlichen Abständen die Lebensfreude geniessen konnten. Euer Gott dagegen, den ihr als den Allmächtigen und Vollkommenen beschreibt, vertilgt die Fremden und verdammt die Seinen für alle Ewigkeit. Und etwas schliesslich, woran zu glauben von einer noch erstaunlicheren Geistesverwirrung zeugt: die Hyle verletzt ihre eigenen Lebewesen, während sie kämpft, der Gott aber bestraft seine eigenen Körperglieder, nachdem er schon siegreich ist. Was soll das alles, ihr Phantasten? Ihr erinnert euch doch an die Worte des Faustus, wo er von Gott als dem Gegengift, von der Hyle als dem Gift spricht (569,1)! Da habt ihr es, euer Gegengift richtet grösseren Schaden an als das Gift. Würde etwa die Hyle Gott auf ewige Zeiten in einen solch schaudererregenden Klumpen einschliessen oder ihre eigenen Eingeweide daran fesseln? Und was noch ruchloser ist, der Gott übt dazu noch böswillige Kritik an diesen Überbleibseln, um so sein eigenes Versagen zu vertuschen, dass er nicht auch sie zu reinigen imstande war. Mani sagt nämlich in seiner Epistula Fundamenti (cf. Ep.Fund. 11), jene Seelen hätten eine solche Strafe verdient, weil sie es hinnahmen, von ihrer früheren lichtvollen Natur abzuirren, und sich dem heiligen Licht als Feinde entgegenstellten. Dabei hatte er sie doch selber auf jenen Irrweg geschickt, auf dem sie so sehr ins Dunkel gerieten, dass ihr Licht dem Licht zum Feinde wurde; wenn er es wider ihren Willen tat, war es ungerecht, sie zu zwingen, wenn er es mit ihrer Zustimmung tat, ist es undankbar, sie zu verurteilen. Wenn diese Teile vorauswissen konnten, dass sie sich einmal mit ihrem eigenen Ursprung verfeinden würden, dann wurden sie vor dem Krieg von Angst gequält, während des Krieges unrettbar besudelt, nach dem Krieg für ewig verdammt, sie waren also zu keiner Zeit glücklich; wenn sie es aber nicht vorauswissen konnten, dann waren sie vor dem Krieg ohne Voraussicht, während des Krieges kraftlos, nach dem Krieg bemitleidenswert, also zu keiner Zeit göttlich. Und was für sie gilt, das gilt, gemäss der Einheit der Substanz, auch für den Gott. Ist es für uns überhaupt denkbar, dass ihr die Ungeheuerlichkeit eurer Blasphemie erkennt? Nun behauptet ihr allerdings irgendeinmal – als ob ihr für die Güte Gottes ein Wort einlegen möchtet –, dass er mit jener Einkerkerung sogar der Hyle selber einen guten Dienst erweise, indem er sie davor bewahre, gegen ihre eigene Seite zu wüten. Wird sie also etwas Gutes in sich tragen, wenn ihr einmal nichts mehr vom Guten beigemischt sein wird? Wird die Hyle vielleicht – so wie der Gott vor dem Krieg, noch bevor ihm das Böse beigemischt war, das Übel des Verhängnisses in sich trug –, nach dem Krieg, wenn ihr nichts mehr vom Bösen beigemischt sein wird, weiterhin das Gute, das ihr die Vermischung mit dem Guten brachte, in sich tragen? Sprecht also besser von zwei Formen des Bösen, deren eine aber schlimmer ist als die andere, oder aber von zwei Formen des Guten, die beide nicht das höchste Gut sind, deren eine aber besser ist als die andere, wobei ihr freilich die bessere als die erbarmungswürdigere bezeichnet! Wenn nämlich der Ausgang jenes gewaltigen Krieges der sein wird, dass die Hyle vor ihrer Selbstzerstörung geschützt ist, die Körperteile eures Gottes dagegen an jenen Klumpen gefesselt sind, dass somit den Feinden ein guter Dienst erwiesen, den eigenen Bürgern dagegen ein solches Leid zugefügt wird, dann müsst ihr euch überlegen, wer denn da gesiegt hat. Aber für euch ist natürlich die Hyle das Gift, sie, die fähig war, ihre Geschöpfe zu formen, lebensfähig zu machen, zu nähren und gesund zu erhalten, und euer Gott das Gegengift, er, der imstande war, seine eigenen Körperteile schuldig zu sprechen, da er nicht imstande war, ihnen das Heil zurückzugeben. Ihr Verrückten, weder gibt es jene Hyle, noch jenen Gott. Das sind die Phantastereien von Menschen, die die gesunde Lehre nicht ertragen, und sich deshalb den Fabeleien zuwenden (cf. I Tim. 4,3 f.)
