1. Einleitung.
S. 175 Im vierten Kampfe müssen wir das tödtliche Gift des Zornes aus den Winkeln unserer Seele gründlich entfernen. Denn wenn dieser in unserem Herzen wohnt und das Auge mit schädlicher Finsterniß blendet, können wir weder ein richtiges und klares Urtheil erlangen, noch den Blick einer guten Betrachtung, noch die Reife des Rathes besitzen, noch des Lebens theilhaftig werden, noch an der Gerechtigkeit festhalten, noch auch das geistige und wahrhaftige Licht in uns aufnehmen. „Denn getrübt ist vor Zorn mein Auge,“ sagt der Psalmist.1 Auch der Weisheit können wir nicht theilhaftig werden, obwohl man uns allgemein für weise zu halten scheint; denn „der Zorn ruht im Busen der Thörichten.“2 Aber auch nicht einmal das Leben der Unsterblichkeit werden wir erlangen können, wie weise wir auch nach dem Begriffe der Menschen zu gelten scheinen; denn „der S. 176 Zorn richtet auch die Klugen zu Grunde.“3 Auch die Zügel der Gerechtigkeit werden wir nicht mit durchdringendem Urtheile zu lenken im Stande sein, möge man uns auch allgemein für vollkommen und heilig halten; denn „des Mannes Zorn vollbringt nicht Gottes Gerechtigkeit“.4 Selbst die Würde der Ehrbarkeit, die auch den Leuten dieser Welt eigen zu sein pflegt, werden wir nimmer besitzen können, mögen wir auch vermöge des Privilegiums unserer Geburt für edel und ehrbar gelten; denn „ein jähzorniger Mann ist ehrlos.“5 Auch die Reife des Rathes werden wir in keiner Hinsicht uns anzueignen wissen, wie ernst und hochgelehrt wir auch scheinen mögen; denn „ein zorniger Mann handelt ohne Rath.“6 Aber wir werden auch weder von schädlichen Leidenschaften unbehelligt noch von Sünden frei sein können, wenn wir auch gar keine Beunruhigungen von Andern zu erleiden haben; denn „ein ungestümer Mann erzeugt Zänkereien, und ein zorniger ruft Sünde hervor.“7
