17.
Nachdem wir auch das zweite Gebot nach unserem besten Können erörtert haben, wollen wir nun das nächste in der Reihe genauer betrachten. Es lautet: „(du sollst) den Namen Gottes nicht zum Falschen aussprechen" (2 Mos. 20,7). Was nun die Reihenfolge betrifft, so ist der Grund dafür den im Geiste scharf Sehenden klar. Der Name ist immer ein zweites, das was zu der zu Grunde liegenden Sache hinzukommt, ähnlich wie der Schatten, der den Körper begleitet. Nachdem er nun vorher vom Dasein und von der Verehrung des Ewigen gesprochen, gibt er in ganz richtiger Folge gleich auch die gebührende Anweisung in Betreff der Nennung seines Namens; denn mannigfach und verschiedenartig sind die Sünden der Menschen in diesem Punkte. Am besten, heilsamsten und vernunftgemässesten wäre es ja, gar nicht zu schwören, wenn der Mensch bei jeder Aussage so wahr zu sein lernte, dass die Worte als Eide gelten könnten. „Die zweitbeste Fahrt“ (Sprichwörtlicher Ausdruck im Griechischen.) aber, wie man zu sagen pflegt, ist wahr schwören; denn der Schwörende steht gleich im Verdacht, als ob man ihm nicht recht trauen dürfe. Darum soll man (im Schwören) zögern und langsam sein, denn vielleicht ist es doch möglich, durch Aufschub den Eid ganz zu vermeiden. Zwingt aber eine gewisse Notwendigkeit dazu, dann muss alles, was dabei in Betracht kommt, sorgfältig und nicht oberflächlich erwogen werden; es ist doch keine kleine, wenn auch aus Gewohnheit geringschätzig behandelte Sache. Denn ein Zeugnis Gottes in angezweifelten Dingen ist der Eid; Gott aber zum Zeugen anzurufen für eine Lüge ist durchaus frevelhaft. Geh doch, wenn du willst, und schau einmal mit dem Auge des Geistes in die Seele dessen, der zum Falschschwören sich anschickt; du wirst sehen, dass sie nicht ruhig ist, sondern voll Unruhe und Aufregung, da sie Anklagen und allen Schmähungen und Beschimpfungen ausgesetzt ist. Denn das jeder Seele angeborene und in ihr wohnende Gewissen, das nicht gewohnt ist etwas Unrechtes zuzulassen, das nur den Hass gegen das Schlechte und die Liebe zur Tugend kennt, ist Ankläger und Richter zugleich (Philo weist, in Übereinstimmung mit stoischer Anschauung, dem Gewissen die Rolle eines Anklägers und Richters in der Seele des Menschen an. Ganz ähnliche Ausdrücke gebraucht Polybius XVIII 43.); wenn es einmal geweckt ist, tritt es als Ankläger auf, beschuldigt, klagt an und beschämt; als Richter hinwiederum belehrt es, erteilt Zurechtweisung, mahnt zur Umkehr; und hat es überreden können, dann ist es erfreut und ausgesöhnt, konnte es das aber nicht, dann kämpft es unversöhnlich und gibt Tag und Nacht keine Ruhe, sondern versetzt unheilbare Stiche und Wunden, bis es das elende und fluchwürdige Leben vernichtet hat.
