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1. Nun ist aber der Versuch, mit seinem Tun verborgen zu bleiben, gleichbedeutend mit dem Zugeständnis, daß man einen Fehler begeht;1 jeder aber, der einen Fehler begeht, tut zugleich auch Unrecht, nicht sowohl dem Nächsten, wenn er Ehebruch treibt, als sich selbst dadurch, daß er Ehebruch getrieben hat; in jedem Fall aber macht er sich schlechter und schädigt seine Ehre. Denn wer sich verfehlt, ist, solange er sich verfehlt, schlechter, als er selbst sonst ist, und verdient weniger Ehre als sonst. Und in jedem Fall ist wohl auch schon zuchtloses Wesen bei dem zu finden, der einer schimpflichen Lust erliegt;2 Deshalb ist auch jedenfalls der Unzüchtige für Gott gestorben und ist von dem Logos wie von dem Geist als ein Toter verlassen. Denn das Heilige hat, wie es selbstverständlich ist, Abscheu davor, befleckt zu werden.3
2. Immer aber ist es für das Reine Rechtens, Reines zu berühren. Laßt uns also niemals S. a107 zugleich mit dem Gewande auch das Schamgefühl ablegen,4 da es sich für den Gerechten nie geziemt, die Sittsamkeit von sich abzulegen! Denn siehe, dies Vergängliche wird noch mit Unvergänglichkeit bekleidet werden,5 wenn die unersättliche Begierde, deren Sinn auf Ausschweifung gerichtet ist, durch Enthaltsamkeit erzogen und von dem Verlangen nach Vergänglichem befreit, den Menschen unveränderlicher Sittsamkeit überlassen hat.
3. „Denn in diesem Zeitalter heiraten sie und lassen sich heiraten“;6 wenn wir aber die Werke des Fleisches von uns abgetan haben,7 werden wir über das reine Fleisch selbst die Unvergänglichkeit anlegen,8 und dann streben wir nach dem Zustand, der der Stufe der Engel entspricht.
4. Dementsprechend hat auch Platon, der Schüler der Philosophie der Barbaren, im Philebos mit geheimer Bedeutung diejenigen gottlos genannt, die den in ihnen wohnenden Gott, die Vernunft, soweit es auf sie ankommt, durch ihre Hingabe an die Leidenschaften verderben und beflecken.9
Vgl. Muson. rell. p. 65, 1 f. ↩
Vgl. Muson. rell. p. 65, 7—66, 1. ↩
Vgl. Platon, Phaidon 67 B. ↩
Vgl. Herodot I 8 (= Stob. Flor. 32, 8; 74, 36 Mein.); Paid. III 33, 1; Plut. Moral, p. 37 D; 139 C; dazu E. Bickel, Diatribe in Senecae philosophi fragmenta I, Leipzig 1915, S. 70 f. ↩
Vgl. 1 Kor. 15, 53 f.; 2 Kor. 5, 2. ↩
Luk. 20, 34. ↩
Vgl. 1 Kor. 6, 13 und Gal. 5, 19. ↩
Vgl. 1 Kor. 15, 53 f.; 2 Kor. 5, 2. ↩
Nicht im Philebos; vgl. vielleicht Platon, Staat VIII p. 549 B. ↩
