29. Von Eberulfs Ende
Indessen schickte der König Gunthramn einen gewissen Claudius ab und sprach: „Wenn du dich aufmachst, Eberulf aus der Kirche schaffst(3) und entweder mit dem Schwerte erlegst oder mir in Banden bringst, so will ich dich mit reichen Geschenken belohnen; aber ich warne dich, daß du ja dabei der heiligen Kirche keinen Schaden zufügst." Da eilte jener, verwegen und habgierig wie er war, zuerst nach Paris, denn sein Weib war aus dem Gebiete von Meaux, und trachtete danach, wie er die Königin Fredegunde sprechen könnte. „Wenn ich sie spreche," meinte er, „werde ich mir auch von ihr einen hübschen Lohn gewinnen, denn ich weiß, daß sie jenem Manne, gegen den ich ausgesandt bin, gram ist." Auch kam er wirklich zu ihr und erhielt sofort große Geschenke von ihr und viele Versprechungen überdies, wenn er Eberulf aus der Kirche schaffte und tötete oder listig in Banden schlüge oder ihn auch in der Vorhalle der Kirche selbst niederstieße. Darauf kehrte er nach Chateaudun zurück und forderte hier den Grafen auf, ihm dreihundert Mann zu geben; seinem Vorgeben nach, um die Tore der Stadt Tours zu bewachen, er wollte aber mit Hilfe derselben, wenn er nach Tours gelangte, Eberulf töten. Und während der Graf der Burg die Leute noch aufbot, zog Claudius selbst gegen Tours. Auf dem Wege aber fing er, wie es die Sitte der S. 221 Franken1 ist, an, auf Vorbedeutungen2 zu achten, doch meinte er, sie seien ihm ungünstig. Zugleich fragte er auch bei vielen an, ob die Macht des heiligen Martinus sich neuerdings an Wortbrüchigen kundgegeben habe, und ob einen sofort die Rache ereile, wenn man denen ein Leid zufüge, die auf den Heiligen hofften. Ohne nun die Leute, die, wie gesagt, zu seinem Beistände kommen sollten, abzuwarten, begab er sich sofort selbst zu der heiligen Kirche, machte sich an den unglücklichen Eberulf und Hub an, ihm zu beteuern und ihm bei allem Heiligen und der Wunderkraft des Bischofs, an dessen Grabe sie ständen, zu schwören, niemand werde ihm treulicher in seinen Sachen beistehen als er, und so könne er leicht seine Händel mit dem Könige zu einem guten Ende führen. Die Überzeugung nämlich hatte der Elende gewonnen: „Fange ich ihn nicht durch falsche Schwüre, so bekomme ich ihn nicht in meine Gewalt." Als Eberulf sah, daß! er ihm solches in der Kirche selbst und in dem Säulengange und an jeder heiligen Stelle in der Vorhalle eidlich gelobte, glaubte der Arme dem Meineidigen. Am ändern Tage aber, während ich mich auf einem Hofe ungefähr dreißig Meilen3 von der Stadt aufhielt, wurde Eberulf mit Claudius und einigen Einwohnern der Stadt zu einem Gastmahl in der heiligen Kirche4 geladen, und dabei wollte Claudius ihn mit dem Schwerte niederstoßen, wenn seine Diener sich entfernt hätten. Eberulf merkte, ein unbedachter Mensch wie S. 222 er war, nichts von allem was vorging. Ms das Mahl beendet war, fingen er und Claudius in der Vorhalle des Kirchenhauses an auf und ab zu gehen und gelobten sich gegenseitig unter Eidschwüren Liebe und Treue. Da sagte Claudius mitten in diesem Gespräch zu Eberulf: „Ich möchte wohl noch einen Trunk in deiner Behausung5 tun, wenn du süß-gewürzte Weine haben solltest, oder wenn du die Güte haben wolltest, mir einen starken Wein zu beschaffen." über solche Worte freute sich Eberulf und antwortete, daran fehle es ihm nicht. „Alles," sagte er, „was du willst, wirst du in meiner Behausung finden, wenn mein Herr sich nur herablassen will, meine Hütte zu betreten." Und er schickte seine Diener aus, einen nach dem ändern, um stärkere Weine zu beschaffen, Laticinische und von Gaza6. Und als Claudius ihn allein und von seinen Dienern verlassen sah, hob er seine Hand gegen die Kirche auf und sprach: „Hochheiliger Martinus, laß mich bald mein Weib und meine Verwandten Wiedersehen." Denn der Augenblick der Entscheidung war gekommen, und der Elende wollte ihn hier in der Vorhalle töten, fürchtete aber doch die Macht des heiligen Bischofs. Darauf ergriff einer von den Dienern des Claudius, der ein handfester Mensch war, Eberulf, packte ihn mit kräftigen Armen, suchte ihn nach rückwärts niederzuzwingen und hielt ihm so die Brust zum Todesstoße bereit. Claudius zog das Schwert aus dem Wehrgehänge und holte auf ihn aus. Aber auch Eberulf hatte seine Waffe, obschon er festgehalten wurde, bereits entblößt und sich zum Stoße bereit gemacht. Und als nun S. 223 Claudius die Rechte erhob und ihnt einen Hieb in die Brust versetzte, stieß auch er sofort ihm den Dolch in die Achselhöhle, zog ihn wieder an sich, holte abermals aus und hieb Claudius den Daumen ab. Darauf eilten dessen Diener mit Schwertern herbei und brachten Eberulf mehrere Wunden bei. Er entglitt ihren Händen; aber als er, obschon ganz entkräftet, zu fliehen versuchte, trafen sie ihn mit gezücktem Schwerte schwer auf den Kopf, so daß ihm das Gehirn herausspritzte, er zusammensank und starb. Bon dem Heiligen erlangte er nicht gerettet zu werden, denn er hatte niemals gewußt, ihn gläubig um seinen Beistand anzurufen. Claudius jedoch eilte voll Furcht zu der Zelle des Abtes und verlangte von ihm geschützt zu werden, obwohl er dessen Herrn und Schützer alle Ehrerbietung versagt hatte. Da der Abt ruhig sitzen blieb und sich nicht rührte7, rief Claudius: „Ein ungeheures Verbrechen ist begangen und kommst du uns nicht zu Hilfe, so sind wir verloren!" Bei diesen Worten stürmten die Leute Eberulfs mit Schwertern und Lanzen heran, und da sie die Türe verriegelt fanden, zerschlugen sie die Glasscheiben der Zelle, warfen ihre Lanzen durch die Fenster in der Wand und durchbohrten Claudius, der schon halb entseelt war, mit dem Speere. Seine Diener aber verbargen sich hinter der Türe und unter den Betten. Den Abt nahmen zwei Geistliche in die Mitte und zwischen den Spitzen der Schwerter kam er nur mit Mühe und Not lebend von dannen. Die Masse der Kämpfenden drang hinein, nachdem die Türen geöffnet waren. Auch machten sich einige von den Hausarmen der Kirche8 und den ändern S. 224 Almosenempfängern daran, wegen der Greueltat, die geschehen war, das Dach der Zelle abzureißen9 Und Besessene und armes Volk lief mit Steinen und Knütteln herbei, um die Beschimpfung der Kirche zu rächen; denn sie waren voll Wut, daß solche Dinge dort vollführt worden waren, wie niemals vordem geschehen. Mit kurzen Worten — die Flüchtlinge wurden aus ihrem Versteck hervorgezogen und grausam erschlagen. Der Fußboden der Zelle schwamm in Blut. Ihre Leichname wurden herausgeschleppt und blieben nackt und bloß auf der kalten Erde liegen. Die Mörder aber entflohen in der Nacht mit der Beute.
Die göttliche Rache hatte so augenblicklich jene ereilt, welche die heilige Vorhalle mit Menschenblut befleckt hatten, aber auch dessen Frevel ist wohl nicht gering gewesen, dem der heilige Martinus solches widerfahren ließ10. Der König geriet über diese Sache in gewaltigen Zorn, beruhigte sich aber, als er genaue Kunde erhielt. Die bewegliche und unbewegliche Habe jenes Unseligen, und was er von seinen. Vorfahren ererbt hatte, schenkte der König an seine Getreuen, und diese ließen sein Weib arm und bloß in der heiligen Kirche zurück. Die Leichname des Claudius und der ändern brachten ihre nächsten Angehörigen in die Heimat und begruben sie daselbst.
„Der Barbaren". Vgl. B. I. S. 151. Anm. 2. ↩
"Auf Zeichen von den Bügeln" sagte Gregor. Es kann dabei nicht an die Vogelschau, wie sie bei den Römern ausgebildet war, gedacht werden, sondern es ist der sog. Angang gemeint: „Tier, Mensch, Sache, auf die man frühmorgens, wenn der Tag noch frisch ist, beim ersten Ausgang oder Unternehmen einer Reise unerwartet stieß, bezeichneten Heil oder Unheil und mahnten das Begonnene fortzusetzen oder wieder aufzugeben". Grimm, Deutsche Mythologie. S. 1073 ff. ,4. Aufl. H. S37ff.) ↩
Etwa 45 km. Gregor will erklären, warum er die im folgenden erzählte Entweihung der Kirche nicht verhindern konnte. ↩
D. H. in dem anstoßenden Kirchenhaus, dem Wohngebäude. ↩
Eberulf wohnte nicht mehr in der Sakristei, sondern in einem Gemach im Umkreis der Kirchengebäude. ↩
In Syrien. Uber syrische Weine vgl. Bd. I. S. 161 und die Ll O. 88. Lvr. Ller. I. 309 und bei Scheffer-Boichorst, Gesammelte Schriften II. 209 ff. angeführten Stellen. WaS unter „Laticinischem" Weine zu verstehen ist, bleibt unklar. Ich trage Bedenken, vlna Latieio» — v. I-ntina zu setzen, da jene Uns >rm sonst weder bei Gregor noch bei anderen merovingischen Schriftstellern nachweisbar ist. ↩
Man muß denken: von Überraschung oder Schrecken gelähmt. Gregor sagt: Mo quoguv ressäsnt«. Die wörtliche Übersetzung von resicksrv hätte nicht zum Ziel geführt: ich habe daher den Nebensinn der Indolenz herangezogen, den das Wort gelegentlich annehmen kann (vgl. Avians Fabeln 32, 4). ↩
Die einzelnen Kirchen führen Listen (matrieulav) der Armen, die von ihrer Unterstützung leben. Diese, die matrlcularii, werden von Gregor von den rettqui pauporvs unterschieden. Sie wohnen (in Tours und anderwärts) in einem besonderen der Kirche zugehörigen Hause und haben eine bestimmte Organisation, bestelen z.B. einen Kassier, der, während sie auf Bettel ausgezogen sind, eingehende milde Gaben verwaltet (Miracula s. Martini I, 31). Zum Teil werden sie zum Küsterdienst verwendet (daher das französische marguillier für Küster). Roth, Geschichte des Benefizialwesens s. 184; Ducange, Gloss. med. et inf. latin., s. v. ↩
Man muß sich denken: um in die Zelle gelangen zu können, da der Zugang durch die Türe von der bewaffneten Menge versperrt ist; vgl. ähnliches «v. Mark. 2, 4; Ev. Luk. 5, IS. ↩
D. H., dem der Heilige in seiner Kirche seinen Schutz versagte. Gemeint ist Eberulf. ↩
