Zweiundzwanzigster Vortrag: Über die Stelle: „Er trug ihnen ein Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte... “ bis:„damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut sammelt, zugleich mit diesem den Weizen ausreißet.“ Mt 13,24-29
S. 125Unsere frühere Rede konnte, weil sie schnell beendet wurde, um die gemeinsame Mühe zu erleichtern, nicht zum vollen Verständnis des Geheimnisses des vorliegenden Gleichnisses gelangen. Darum wollen wir unter dem Gnadenlichte des Herrn noch das übrige erklären. „Er trug ihnen“, heißt es,„ein Gleichnis vor und sprach: 'Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut darüber unter den Weizen und ging davon'“1 „Als aber die Leute schliefen.“ Der Auflauerer verbirgt sich im Dunkel der Nacht; am Tage flieht er vor den Wachenden; er überfällt nur den Schlafenden. Der Tapfere dagegen sucht den offenen Kampf, fordert offen vor den Augen aller, die zuschauen, [den Gegner] heraus und will vor dem Angesichte des Volkes den Sieg erringen. Das Zeichen der größten Schwäche aber ist, über Schlafende herzufallen. „Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind.“ Der Böse ist immer auch ein Tor2 Was tut hier der Feind? Mögen auch die Knechte schlafen: schläft denn auch der Herr? Mag auch der Schlaf das Auge der Knechte nach harter Arbeit ge schlossen haben: hat denn auch irgendeine Müdigkeit den Herrn bezwungen? S. 126Du Feind, du Feind des Lichts! Gewacht hast du zwar, Mühe hast du dir gegeben, aber du hast dich dennoch verraten. Denn wenn auch die Knechte schlafen, der Herr selbst sieht dich. Du, der du den Himmel verlassen hast; du bist zwar gekommen, hast dich zwar abgemüht, aber du hast nichts erreicht!3 Für Gott kann das nicht verloren gehen, was er selbst bewacht. Du Schöpfer des Betruges: du kannst nicht ankommen gegen Gott, sondern nur gegen die Diener, indem du bewirkst, dass ihrer Nachlässigkeit zugeschrieben wird, was doch in Wirklichkeit das Werk deines Betruges ist. Jener, sieht dich, der Zeuge ist des ganzen Betruges und all deiner Mühe. Es bleibt also der Lohn der Arbeit für den, der Gutes tut; es bleibt auch die Strafe der Schlechtigkeit für den, der Betrug übt. Jener wird den Weizen in die himmlischen Scheunen tragen, du aber wirst die Büschel deines Unkrautes tragen in das Feuer der Hölle.
„Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut darüber.“ Wozu? Damit verderbe die Ernte des Herrn! Und welch anderen Gewinn sollte denn der Feind davon haben als den, dass der Geist des Neides den Schaden der Menschen für eigenen Gewinn ansieht und glaubt, dass das, was den Menschen verloren gegangen, von ihm sei errungen worden? Aber der Teufel hat, wie wir schon gesagt haben, darum sein Werk vollführt unter dem Mantel der Finsternis, damit der Schaden der verdorbenen Ernte reichlich falle auf die Knechte, dass diese nun eben für das Strafe empfangen sollten, für das sie sich Lohn erhofften. Als nun die Knechte erwachten, zitterten sie aus banger Furcht, [da sie wissen,] woher dies geschehen sei. Sie fürchten, es möchte das aufsprießende Unkraut ihnen zum Schaden ausschlagen, obwohl ihnen doch ihr Gewissen sagt, dass sie nichts anderes als guten Samen ausgestreut hätten. Deshalb erzählen sie es dem Herrn, noch bevor er es selbst wahrgenommen, damit sie nicht, S. 127obwohl sie sich selbst in Unschuld wußten, doch für ihr Stillschweigen sich Strafe zuzögen. Wenn der Unschuldige zur Strafe herangezogen wird, drängt und treibt er den Richter, da er darnach brennt, dass seine Unschuld an den Tag komme. „Als aber die Saat sproßte und Frucht brachte, da“, heißt es, „zeigte sich auch das Unkraut“4 . Was in der Saat verborgen ist, zeigt sich in der Ähre; was im Keim verschlossen ist, wird offenbar in der Frucht. So finden wir manche, die wir in der gläubigen Gesinnung5 uns gleich erachteten, uns so ungleich im Bekenntnis des Glaubens6 . So offenbart die Ernte des Gerichtes, was das Samenkorn der Kirche noch verbirgt nach dem Worte des Herrn: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“7 . Viele Blüten versprechen viele Früchte. Aber wenn sie im Wehen der Winde geprüft sind, gedeihen nur sehr wenige zur Frucht. So erscheinen viele als Gläubige in Christo, wenn die Kirche in Frieden lebt; wenn aber der Sturm der Verfolgung hereinbricht, werden nur wenige in der Frucht des Martyriums erfunden. Dagegen hat die hl. Euphemia8 mehr erfüllt in der Frucht, als sie versprach in der Blüte, sie, die, ohne dass die Blüte der Jungfräulichkeit verletzt wurde, gelangte zur reichen Frucht des Martyriums.
„Doch die Knechte des Hausvaters“, heißt es weiter, „kamen herzu und sprachen zu ihm“9 . Sie kamen herzu, Brüder, dem Herzen, nicht dem Leibe nach, nicht räumlich, sondern im Glauben10 . Sie sprachen [zu ihm] nicht mit der Sprache des Mundes, sondern mit dem stummen Schmerze ohres Herzens: „Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät?“11 . Du hast gesät, nicht wir; denn was wir auch immer Vollkommenes S. 128ausführen, schreiben wir dir, unserem Schöpfer, immer zu, und du stehst uns in dem, was du uns zu tun befiehlst, als Wirkender zur Seite. Wenn du also in deiner Gnade uns zu Genossen deines Werkes machst, so schreibe nicht uns allein zu, dass das Unkraut entstand. Herr! entweder schützt uns mit dir Unschuld, oder die Schuld trifft auch dich mit uns. Wir konnten nicht unser Werk verachten noch das Werk unserer großen Arbeit schmähen. Denn du hast, was du willst, woher du willst, wann du willst; wir haben außer deiner Gnade nichts; durch sie bestehen wir, „in ihr leben wir, bewegen wir uns und sind wir“12 , und ohne sie erliegen wir, werden wir schwach und gehen wir zugrunde. Sollten wir uns also deshalb so abgemüht haben, zu alles dessen wieder verlustig zu gehen? Aber du mußt dich gesehen haben, wer dieses Werk vollbracht hat, du, der du allein nicht schläfst, wenn wir ruhen. Und so hast du, der gerechte Richter, ihn gesehen. „Wer kennt die Tat? Jener, der wacht, nicht jener, der schläft“13 , offenbar ihn also, damit du uns die du in Ängsten siehst, dadurch von der Frucht befreist! „Und der Herr sprach: 'Das hat der Feind getan'“14 . „Der Feind hat es getan.“ Und warum, Herr, hast du es zugelassen, wenn du es gesehen hast? Warum? Weil der keinen Betrug zu fürchten braucht, dem nichts verloren gehen kann; weil es eine größere Macht bedeutet, Vermischtes auszuscheiden, als eine Vermischung zu verhindern, weil es etwas Größeres ist, Verdorbenes wiederherzustellen, als etwas unverletzt zu bewahren, besonders auch, weil es Unkraut geben muß, damit die Erprobten offenbar werden15 .
„Die Knechte aber sprachen zu ihm: 'Willst du, wir gehen und sammeln es'“16 . So bieten die guten Knechte sich unermüdet wieder zur Arbeit an; sie können nicht S. 129sehen, dass die Ernte des Herrn auch nur für eine kurze Zeit verwildert sei. Aber der Herr, den keine Zeit ermüdet, der, wenn er will, den Schaden seiner Ernte vernichten kann, verbietet es ihnen, indem er spricht: „Nein!“ Und warum er es ihnen verbietet, sagt er sogleich: „damit ihr nicht etwa beim Sammeln des Unkrautes mit diesem zugleich den Weizen ausreißet!17 . Waren sie denn so unkluge Landleute, so unerfahren in ihrer Tätigkeit, hatten sie denn kein Verständnis [das Echte vom Unechten] zu scheiden, dass sie, wenn sie das Unkraut ausrotteten, auch den Weizen ausreißen würden? Wo sind denn die Propheten, die im Geiste Gottes weissagten?18 Wo ist denn Petrus, dem der himmlische Vater die Offenbarung gab?19 . Wo denn Paulus, in dem Christus wirkt und spricht?20 . Wo denn die Heiligen alle, wahrlich Heilige, wenn auch Knechte21 ,die so viel wußten, als ihnen verlieh der Geber aller Weisheit22 ? Aber du sagst [vielleicht]: “Da liegt dich kein Geheimnis vor!„ War das denn kein Geheimnis, wenn etwas anderes sich zeigt in der Frucht als in der Blüte? wenn, was heute Unkraut ist, morgen in Weizen sich verwandelt? Das gilt auch heute noch für den Irrlehrer, der morgen ein Gläubiger wird, und für den, der jetzt als Sünder gilt und für die Zukunft als Gerechter dasteht. Darum schob der Schöpfer auch beides auf bis zur Ernte, d. h. bis zum Gerichte, als Zeit seiner göttlichen Langmut und unserer Buße, damit der, welcher sich noch vom Bösen zum Guten wendet, als Weizen erfunden und in die himmlischen Scheunen aufgenommen wird, wer aber vom Glauben sich zum Unglauben wendet, dem höllischen Feuer überantwortet wird.
Doch wozu soll ich noch mehr sagen? Wenn für das Unkraut die Langmut des Herrn sich nicht ins Mittel gelegt hätte, so besäße die Kirche weder an Matthäus S. 130aus einem Zöllner einen Evangelisten noch an Paulus aus einem Verfolger einen Apostel. Vollends suchte Ananias damals den Weizen auszureißen, als er, zu Saulus gesandt, über Paulus sich beklagte: “Herr, wie viel Böses hat dieser deinen Heiligen getan!„23 ,d. h. vertilg' dieses Unkraut! Was hat das Schaf mit dem Wolf zu tun? Was der Gläubige mit dem Schmähenden? Was der Glaubensbote mit dem Verfolger? Als aber Ananias nur den Saulus sah, schaute der Herr schon den Paulus: als Ananias ihn noch den Verfolger nannte, wußte der Herr ihn schon als Glaubensverkünder; als jener ihn noch für ein Unkraut der Hölle hielt, setzte ihn Christus schon hin als ein Gefäß der Auserwählung, als Weizen in die himmlischen Scheunen: “Geh hin„,sprach er, “denn er ist mir ein Gefäß der Auserwählung!24
Mt 13,24 f. ↩
ob anklingend an stoische Ideen? ↩
Fecisti, sed nun profecisti. ↩
Mt 13,26 ↩
credentes ↩
fide ↩
Mt 7,16 ↩
gemeint ist die hl. Euphemia von Chalcedon, die ungefähr 303-304 den Martyrertod starb. Ihr zu Ehren war in Ravenna eine Kirche erbaut. ↩
Mt 13,27 ↩
mente, non corpore; non loco, sed fide. ↩
Mt 13,27 ↩
Apg 17,28 ↩
vgl. Ps 120,4 ↩
Mt 13,28 ↩
vgl. 1 Kor 11,19 ↩
Mt 13,28 ↩
Mt 13,29 ↩
vgl. Mt 7,22 ↩
Mt 16,17 ↩
vgl. Gal 2,20; 2 Kor 13,3 ↩
vgl. Joh 15,15 ↩
vgl. Pred 2,16 ↩
Apg 9,13 ↩
Apg 9,15 ↩
