Vierundzwanzigster Vortrag: Über die Stelle: „Der Engel antwortete und sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht...“ bis: „Und sieh, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Mt 28,5-20
Weil wir in der letzten Rede den ersten Teil unserer Lesung besprochen haben, wollen wir heute vernehmen, was folgt. „Der Engel“, heißt es, „antwortete und sprach zu den Frauen: 'Fürchtet euch nicht. Ich weiß ja, dass ihr Jesum, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht den Platz, wo der Herr lag'“1 . Glaubst du etwa, dass die Anwesenheit des Petrus und des Johannes, ja die S. 136aller Jünger getadelt oder als Feigheit gescholten werde dadurch, dass dem auferstandenen Christus zu erst die Frauen, die allein die Nacht durchwacht hatten, voll Eifer entgegeneilen? Wird denn der Vorrang2 des Mannes dadurch hervorgehoben, dass zur Herrlichkeit der Auferstehung [ihm] vorauseilt das schwache Weib? Das sei ferne, Brüder! Es hat dies einen tiefen Grund, nicht ist es des Zufalls Spiel3 ; ein Geheimnis waltet vor, nicht Fügung des Schicksals, gewollte Ordnung, nicht Schuld [irgendeines]. Denn das Weib folgt doch hier dem Manne, nicht eilt es ihm vorauf; denn der Mann war doch [vorher] auferstanden in Christus. Erkenne also, dass Petrus nicht zurückstand hinter den Frauen, sondern hinter Christus; dass er nicht wich der Magd, sondern dem Herrn, dem Geheimnis sich unterwarf, nicht dem Schlafe, der Ordnung, nicht der Furcht. Denn der Mann war auch schon da in Christus, als der Engel zu den Frauen kam, so dass in demselben Maße, in dem der Herr die Engel überragte, auch der Mann das Weib überragte an Ehre. „Fürchtet euch nicht!“ Die Guten sind immer erfüllt von Liebe, die Bösen von Furcht; die Gottlosen schreckt immer die Angst, die Frommen tröstet die Liebe.
„Fürchtet euch nicht“, d. h. fürchten sollen sich die Juden, die ihn überliefert haben; Pilatus, der ihn verurteilt hat; die Soldaten, die ihn verspottet, die Gottlosen4 , die ihn ans Kreuz geschlagen haben; die Grausamen, die ihm den bitteren Kelch reichten; die Wuterfüllten, die das Grab bewachen ließen; die Treulosen, die sich erkauften die Aussage von Lügnern, aber preishaben den Glauben; die Unmenschen, die darüber Schmerz empfanden, dass der Herr auferstanden sei, die kein Leid darüber hatten, dass sie ihn getötet hatten. Ihr aber sollt euch geziemend freuen, nicht fürchten; denn es ist auferstanden, den ihr als tot gesucht, es lebt, den ihr als tot beweintet. S. 137„Ich weiß ja, dass ihr Jesum, den Gekreuzigten, sucht“, d. h. was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?5 . Was sucht ihr das Leben im Grabe? Geht doch vielmehr dem Lebenden entgegen, eilt doch nicht mehr hin, dem Toten einen Dienst zu erweisen! „Ich weiß ja, dass ihr Jesum, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier.“ So sprach der Engel, der das Grab nicht geöffnet hatte, damit Christus aus demselben hervorgehen könnte, da er ja schon nicht mehr darin war, sondern um zu zeigen, dass Christus nicht mehr da sei. „Er ist auferstanden, wie er gesagt hat“: eine doppelte Wundertat: zurückkehren aus dem Lande der Toten und vorherwissen das Zukünftige. „Kommt, seht den Platz, wo der Herr lag!“ Kommt, Frauen, kommt, schaut, wohin ihr den Adam6 gelegt habt, wo ihr den Menschen begraben habt, wohin ihr den Mann gestoßen habt durch euren Rat, durch den ihr bewirkt habt, dass für die Knechte der Herr selbst dort liegen mußte! Und erkennet die ganze Größe einer solchen vergebenden Liebe gegen euch aus der Größe der Schmach, die dem Herrn zugefügt worden war.
„Kommt, seht den Platz, wo der Herr lag!“ Es bekennt die Kraft eines Engels, dass es der Herr ist, der gekreuzigt worden ist; und menschliche Schwachheit ergeht sich in Erörterungen, ob es der Herr sei, der auferstanden ist7 . Christus hat die menschlichen Leiden so auf sich genommen, dass er seine Kraft nicht verlor. „Geht eilends, sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist, und sieh, er wird euch nach Galiläa vorangehen; dort werdet ihr ihn sehen“8 . Auch hier werden die Apostel nicht den Frauen nachgesetzt, sondern das Weib wird von der Schuld losgesprochen, indem es die Kunde von dem Leben bringt, die Kunde von der S. 138Auferstehung übermittelt, da es auch überbracht hatte die Kunde von dem Tode und dem Untergang. „Und sie gingen“, heißt es weiter, „schnell vom Grabe weg in Furcht und großer Freude“9 . Die Frauen gehen in das Grab hinein, um teilhaftig zu werden des Begrabenseins, Genossinnen des Leidens zu sein; sie gehen aus dem Grab heraus10 , um im Glauben aufzuerstehen, noch ehe sie auferstanden waren im Fleische11 . „Sie gingen hinweg in Furcht und großer Freude.“ Wo bleibt denn nun das Wort: „Fürchtet euch nicht“? Die Furcht ist nicht hinweggenommen, sondern umgewandelt. Verschwunden ist die Furcht wegen der Schuld, geblieben aber die Furcht der Knechtschaft. Schlecht ist die Furcht ob der Schuld, gut aber die Furcht aus Verehrung. Adam, der ihnen geschenkt war, hatten sie verloren; nun fürchten sie, sie möchten ihn, der ihnen wiedergeschenkt, wieder verlieren. „In Furcht und großer Freude.“ Es steht geschrieben: „Dienet dem Herrn in Furcht und frohlocket mit Zittern“12 . „In Furcht und großer Freude.“ Denn „die Furcht des Herrn ist heilig und bleibt in Ewigkeit“13 . In der Heiligkeit also bleibt der, welcher in der Furcht Gottes bleibt. „Sie eilten nun hin, es seinen Jüngern zu melden.“ Und sieh, Jesus begegnete ihnen und sprach: „Seid gegrüßt!“14 Er begegnete ihnen als der Herr, er grüßte sie als Vater. Er ermutigte sie mit Liebe, er hütet sie vor Furcht. Er grüßt sie, damit sie in Liebe ihm dienten, nicht aber vor ihm fliehen möchten aus Furcht.
S. 139„Sie aber traten herzu und umfaßten seine Füße“15 . Er, der sich umfassen ließ, wollte auch, dass wir ihn besitzen sollten. „Sie traten herzu und umfaßten seine Füße“,damit sie wüßten, dass im Haupte Christi der Mann sei, dass sie nur seien in den Füßen Christi, dass es ihnen gegeben sei, dem Mann in Christo zu folgen, nicht aber ihm voranzugehen16 . „Er sprach zu ihnen: 'Fürchtet euch nicht!'“17 . Wie der Engel gesagt hatte, sagt auch der Herr, damit Christus die, die der Engel gestärkt hatte, noch stärker mache. „Gehet vielmehr, saget meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen sollen! Da werden sie mich sehen“18 . Christus, von den Toten auferstanden, nimmt den Menschen wieder auf, läßt ihn nicht im Stich. Darum nennt er sie Brüder, die er gemacht hatte zu Teilhabern seines Leibes; er nennt sie Brüder, die er erhoben hat zu Kindern des Vaters; er nennt sie Brüder, die er, der glückliche Erbe, gemacht hat zu seinen Miterben. Doch hört, wie nach der Auferstehung der Unglaube sich auch erhob. „Sieh, da kamen einige von den Wächtern in die Stadt und meldeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. Und sie kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und gaben den Soldaten viel Geld und sprachen: 'Sagt: Seine Jünger kamen nachts und stahlen ihn, während wir schliefen'“19 . Die Geld geben, erwerben sich etwas, um es zu bewahren, nicht um es zu verlieren. Die Juden aber kauften sich durch den Verkauf des Judas den Herrn, um ihn wieder zu verlieren. Und nun werfen sie viel Geld weg, um auch noch sich selbst, Gesetz, Tempel und Vaterland zu verlieren. Blutmenschen voll Ränkelust, wie sie sind, setzen sie einen falschen Preis aus, schmieden die Waffen der Treulosigkeit, erkaufen in grausamer Tat den Glaubensbetrug, den Wahrheitsraub. Sie bestechen die Soldaten, S. 140um als Diebstahl nur auszugeben, was in Wirklichkeit das Geheimnis der Auferstehung war.
„Seine Jünger kamen nachts und stahlen ihn.“ Nicht zufrieden damit, den Meister getötet zu haben, sinnen sie auch noch darauf, wie sie die Jünger verderben könnten. Die Wundertat des Meisters stempeln sie zum Verbrechen der Jünger: „Seine Jünger kamen nachts und stahlen ihn.“ Aber vollständig haben die Soldaten [ihr Spiel] verloren, haben die Juden ihr eigenes Werk vernichtet; denn die Jünger trugen ihren Meister hinweg nicht durch Diebstahl, sondern durch Glauben; nicht durch Betrug, sondern durch Tugend; nicht durch Verbrechen, sondern durch Heiligkeit; sie trugen nicht den Toten hinweg, sondern den Lebenden. Deshalb werden auch die Apostel, damit sie ihn sehen könnten, nach Galiläa geschickt, weil der Herr nicht geschaut werden kann am Orte des Unglaubens. Wenn20 er aber weiter sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“, so beweist er, dass er selbst sie sich gegeben hat, nach den Worten des Apostels: „Gott hat in Christo die Welt mit sich versöhnt“21 . Der Sohn Gottes hat dem Sohne der Jungfrau, Gott dem Menschen, die Gottheit dem Fleische mitgeteilt, was er immer mit dem Vater und dem Hl. Geiste besaß. Und deshalb sagt er auch: „Geht hin, taufet alle Völker im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes“22 , damit alle Völker eine und die gleiche Gewalt zurückführe zum Heile, wie sie sie auch geschaffen hatte zum Leben. „Und sieh“, heißt es, „ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“23 . Er ist immer bei uns, der immer ist beim Vater, und er wird zu uns kommen in dem, was er von uns angenommen hat. Wozu noch viele Worte, Brüder? Dass er geboren, dass er litt, dass er auferstand, dass er [uns] annahm, erfordert nicht sein Bedürfnis, sondern unsere Rettung!
Mt 28,5 f. ↩
portio ↩
causa, non casus ↩
die folgenden Abstracta, wie impietas, crudelitas usw. übersetzte ich durch Konkreta ↩
vgl. Lk 24,5 ↩
gemeint ist, wie aus dem Folgenden erhellt, der Mensch Christus, nicht aber Christus als zweiter Adam; vgl. 1 Kor 15,45 ↩
gegen die Manichäer, die die Identität des auferstandenen Christus mit dem lebenden Christus leugneten. ↩
Mt 28,7 ↩
Mt 28,8 ↩
Wortspiel: intrant exeunt: sie „gehen heraus“ statt „sie gehen weg“ ↩
vgl. Röm 6,3 ↩
Ps 2,11 ↩
Ps 18,10 ↩
Mt 28,8 f. ↩
Mt 28,9 ↩
vgl. 1 Kor 11,3 ↩
Mt 28,10 ↩
Mt 28,10 ↩
Mt 28,11-13 ↩
die Verse Mt 28,14-18 sind nicht behandelt ↩
2 Kor 5,19 ↩
Mt 28,19 ↩
Mt 29,20 ↩
