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Wenn ihr euch aber schon bei diesen herausragenden und allbekannten Gestirnen derart irrt, dass ihr in ihnen nicht verehrt, was sie wirklich sind, sondern was ihr euch in eurem vollkommenen Unverstand ausmalt, was soll ich da erst zu euren andern Fabeldichtungen sagen? Wer hält denn da als Halter der Lichter die Welt in der Schwebe, und wer stützt sie als Atlas mit jenem zusammen? Diese Gestalten und eine Unmenge anderer, von denen ihr ähnliche Albernheiten erzählt, existieren überhaupt nicht und ihr verehrt sie! Deshalb stufen wir euch tiefer ein als die Heiden (539,3), denen ihr nur darin ähnlich seid, dass ihr beide eine Vielzahl von Göttern verehrt, unähnlich aber darin, und zwar zum Schlechteren hin, dass jene als Gottheit verehren, was immerhin existiert, aber nicht Gott ist, ihr dagegen, was weder Gott noch irgendetwas etwas ist, weil es überhaupt nicht existiert. Zwar haben auch die Heiden Dichtungen mythischen Inhalts, doch sind sie sich bewusst, dass es sich dabei um Mythen handelt, und sie behaupten entweder, dass diese von den Dichtern zu Unterhaltungszwecken erfunden wurden, oder versuchen, sie auf Naturgegebenheiten oder menschliche Charaktereigenschaften hin zu interpretieren. So erklären sie etwa das Hinken des Vulcanus damit, dass dies die Art ist, wie das irdische Feuer sich fortbewegt, die Blindheit der Zufallsgöttin Fortuna damit, dass das, was als zufällig bezeichnet wird, unvorhersehbar eintritt; die drei Schicksalsgöttinnen mit Spinnrocken, Spindel und den Fingern, die den Faden aus der Wolle drehen, erklären sie als Metapher für die drei Zeiten: die Vergangenheit, die schon gewoben und aufgewickelt auf der Spindel liegt, die Gegenwart, die durch die Finger der Spinnerin läuft, die Zukunft, die – in Gestalt der Wolle, welche auf den Rocken gewickelt ist – noch durch die Finger der Spinnerin zur Spindel laufen muss, gleichsam durch die Gegenwart in die Vergangenheit; dass Venus die Ehefrau des Vulcanus ist, erklären sie damit, dass Gluthitze natürlicherweise Liebeslust provoziert, dass sie mit Mars Ehebruch treibt, damit, dass Liebeslust mit Kriegsheldentum schlecht vereinbar ist; und wenn Cupido als herumflatternder und Pfeile aussendender Knabe erscheint, zeige dies, dass unvernünftige und flatterhafte Liebe das Herz der Liebeskranken verwunde. Und so gäbe es eine ganze Reihe weiterer ähnlicher Beispiele. Dies aber finden wir an den Heiden besonders lächerlich, dass sie mythologische Wesen in dieser Art interpretieren und ihnen dann noch göttliche Verehrung erweisen; denn wenn sie diese nicht verstehen würden, wäre die göttliche Verehrung zwar immer noch zu verurteilen, aber doch eher zu entschuldigen. Denn eben diese Interpretationen verraten deutlich, dass sie nicht jenen Gott verehren, der allein das Herz glückselig macht, wenn es an ihm teilhat (cf. 539,19), sondern die von ihm eingerichtete Schöpfung, und nicht einmal nur die positiven Erscheinungen dieser Schöpfung, wie etwa die Minerva – deren Mythos, dass sie aus dem Haupt Jupiters geboren sei, interpretieren sie im Sinne des klugen Ratgebens, was ein Charakteristikum des Verstandes ist, dem auch Platon einen Sitz im Haupt zugewiesen hat (……)–, sondern auch deren Mängel, wie wir es etwa am Beispiel des Cupido gezeigt haben (545,3). In diesem Sinn sagt auch einer ihrer Tragiker (Sen.Hipp. 194 f.): Dass Amor ein Gott sei hat die schändliche und dem Laster frönende Lust erfunden. Die Römer widmeten ja sogar körperlichen Mängeln Götterstatuetten, etwa der Blässe oder dem Fieber. Doch will ich hier nicht davon sprechen, wie sehr jene Götzenbildverehrer sogar von Nachbildungen körperlicher Dinge angetan sind, sodass sie diese wie Götter fürchten, wenn sie sehen, wie diese Gebilde, an hervorragender Stelle weithin sichtbar aufgestellt, soviel Verehrung erfahren; mit mehr Recht verdienen es jene Mythendeutungen angeklagt zu werden, mit deren Hilfe diese stummen, tauben, blinden und leblosen Gegenstände verteidigt werden (cf. 545,5 ff.). Und doch sind auch diese Götzenbilder in irgendeiner Weise existent, obwohl sie, wie ich schon sagte (539,5) für das Heil oder irgend einen andern Nutzen nichts taugen und das, was aus ihnen herausgedeutet wird, ist wirklich in den realen Dingen enthalten. Ihr dagegen führt da euren Ersten Menschen vor, der mithilfe seiner fünf Elemente in den Krieg zieht, und den Mächtigen Geist, der aus den gefangenen Leibern des Volks der Finsternis, – genauer gesagt aus den besiegten und unterjochten Teilen eures Gottes – den Kosmos erbaut, und den Halter der Lichter, der die verbleibenden Teile eures Gottes in der Hand hält und Klage führt über alle andern, die gefangen, überwältigt und verunreinigt wurden, und den gewaltigen Atlas, der als sein Gehilfe den Kosmos auf den Schultern trägt, damit jener nicht erschöpft das Ganze abwirft, und so euer Drama nicht mehr wie auf der Theaterbühne zum grossen Finale, das jener Klumpen der Endzeit darstellt, gelangen kann. Diese und zahllose andere, ähnlich törichte und unsinnige Szenarien führt ihr uns vor, ohne sie im Bild oder in der Skulptur darzustellen, auch ohne nach ihrem Sinn zu fragen; und obwohl all diese Mythen kein Fundament in der Wirklichkeit haben, glaubt ihr an sie, verehrt sie und verspottet obendrein die Christen als Blindgläubige, die ihr gottesfürchtiges Herz in ungeheucheltem Glauben (cf. I Tim. 1,5; II Tim. 1,5) reinhalten. Ich will hier aber nicht Argumente anhäufen, um zu zeigen, dass dies alles gar nicht existiert, – detaillierter und tiefgründiger über die Schaffung der Welt zu handeln wäre zwar für mich nicht schwierig, es würde aber gewiss zu weit führen –, sondern sage nur dies: Wenn diese Mythen wahr sind, dann ist die Substanz Gottes der Veränderung, der Verderbnis, der Beschmutzung unterworfen. Dies aber zu glauben ist der Gipfel gotteslästerlichen Wahns. Also sind sie samt und sonders Phantastereien, Lügen, ein Nichts! Und deshalb ist es keine Frage, dass ihr tiefer einzustufen seid als diese Heiden (539,3; 544,12), die allerorten bekannt sind, und es von alters her waren, und die sich heute schon schämen über die kärglichen Reste, die von ihnen übriggeblieben sind; denn sie verehren etwas, was nicht Gott ist, ihr aber etwas, was überhaupt nicht existiert.
