14.
Warum aber habt ihr nicht darauf hingewiesen, dass ihr mit dem Begriff der Hyle, der in einigen Werken heidnischer Autoren häufig verwendet wird, auch eine dem Heidentum verwandte religiöse Grundanschauung besitzt, im Gegenteil darauf gepocht, dass euer Verständnis gerade dieses Begriffes nicht vergleichbar, ja ein völlig anderes ist, da ja euer Theologe mit diesem Wort den Urgrund und die Natur des Bösen bezeichne (537,14). Damit verrät sich aber nur eure grosse Unkenntnis, da ihr gar nicht wisst, was die Hyle ist, und mit der Verwendung dieses Wortes für eine Sache, die ihr überhaupt nicht kennt, auch noch mit eurer angeblichen Gelehrsamkeit prahlen wollt. Den Begriff Hyle definieren nämlich die Griechen in ihren Abhandlungen über das Wesen der Natur als eine Art Grundstoff der Dinge, der noch keinerlei Gestalt besitzt, aber dafür geeignet ist, jegliche körperliche Gestalt anzunehmen, und der, wenn überhaupt, nur durch die wechselnde Vielfalt der Körper hindurch erkennbar ist, da er in sich selber weder mit den Sinnen, noch mit dem Verstand erfasst werden kann. Darin allerdings irrt sich ein Teil der Heiden, die diesen Grundstoff als gleich-ewigen Partner Gott zur Seite stellen, sodass er zwar durch ihn Gestalt erhält, aber nicht von ihm geschaffen ist. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, lehrt uns die Wahrheit selber (cf. 543,21). Diesem Teil der Heiden aber erweist ihr euch in der Frage der Hyle als durchaus vergleichbar, da ja auch ihr der Ansicht seid, dass sie ihren eigenen Ursprung hat und nicht von Gott her stammt. Und gerade in diesem Punkt habt ihr behauptet, euch von den Heiden zu unterscheiden, ohne zu wissen, was ihr redet. In jenem andern Punkt dagegen, dass diese Hyle keine ihr eigentümliche Gestalt besitzt und nur von Gott Gestalt bekommen kann, stimmen die Heiden mit unserer Wahrheit überein, und unterscheiden sich von eurer Irrmeinung. Da ihr nämlich nicht wisst, was die Hyle, d.h. was der Grundstoff der Dinge ist, macht ihr aus ihr das Volk der Finsternis, in dem ihr nicht nur zahllose, in fünf Kategorien gegliederte, Gestalt besitzende Körper ansiedelt, sondern auch den Geist, der diesen Körpern Gestalt gibt, und – was eure Unkenntnis, ja geistige Verwirrung noch deutlicher verrät – ihr bezeichnet obendrein diesen Geist als Hyle, die also nach eurer Theorie nicht Gestalt bekommt, sondern Gestalt verleiht. Wenn es nämlich dort einen Geist gäbe, der Gestalt gibt, und körperliche Elemente, die Gestalt bekommen, dann wären es jene Elemente, die man als Hyle bezeichnen müsste, d.h. als Grundstoff, dem dieser Geist, den ihr als den Ursprung des Bösen sehen wollt, Gestalt gäbe. Wenn ihr das so darstellen würdet, würdet ihr euch zwar in der Beschreibung der Hyle nicht mehr so gründlich irren, aber auch diese Elemente – die zwar andere Gestalten annehmen könnten, aber als bereits bestehende Elemente sich durch spezifische Eigenheiten voneinander unterschieden – wären nicht die Hyle, weil diese ja ganz und gar gestaltlos ist. Doch wäre eure Unkenntnis erträglich, weil ihr immerhin das als Hyle bezeichnen würdet, was Gestalt empfängt, nicht das, was Gestalt verleiht. Und trotzdem wäre euch auch dann noch Grosssprecherei und Gotteslästerung vorzuwerfen, weil ihr, in Unkenntnis dessen, dass jegliche Ausprägung der natürlichen Gestalt, jegliche Proportion der Formen, jegliche Zuordnung der Gewichte (542,5) vom Vater, vom Sohn und vom Heiligen Geist herkommen, dem Urgrund des Bösen soviel Gutes zuschreiben würdet. Jetzt aber, da ihr weder wisst, was die Hyle ist, noch was das Böse ist, o könnte ich euch doch dazu überreden, damit aufzuhören, unerfahrene Seelen zu verführen!
