17.
Was für aufrichtige und aus reinem Herzen kommende Gebete (537,21) könnt ihr schliesslich Gott als Ehrerweisung und Opfergabe darbringen, da ihr doch über die göttliche Natur und Substanz selber solch unwürdige und schändliche Vorstellungen hegt, dass sich der wahre Gott durch eure Opfer nicht gnädig stimmen liesse, ja dass sogar euer eigener Gott in den Opfern der Heiden dargebracht wird? Eure Lehre besagt ja, dass er nicht nur in den Bäumen und Kräutern oder in den menschlichen Gliedern, sondern auch im Fleisch des Viehs gefesselt und durch diese Fesseln verunreinigt wird. Und was erst eure eigene Seele anlangt, welcher Gott würde es als Lob auffassen, wenn sie ihm mit ihrer Behauptung, dass sie ein Teilchen von ihm ist, das im Volk der Finsternis gefangen gehalten wird, nichts als Vorwürfe macht, indem sie ihm das Zeugnis ausstellt, dass er sich gegen seine Feinde nicht anders zu helfen wusste als damit, dass er Teile seiner selbst solch arger Verunreinigung und so schimpflicher Gefangenschaft auslieferte? Daher können doch die Gebete, die ihr an euren Gott richtet, gar nicht Ausdruck religiöser Verehrung sondern nur des Hasses sein. Welche Untat hattet ihr denn begangen, als ihr noch bei ihm wart, dass ihr jetzt in solch misslicher Lage zu ihm aufseufzt, obwohl ihr ihn ja nicht aus eigenem Willen, durch eure Sünde, verlassen habt, sondern von ihm selber den Feinden ausgeliefert wurdet, weil er damit für sein Reich den Frieden gewinnen wollte, und nicht einmal so wie Geiseln ausgeliefert wurdet, denen ehrenvolle Haftbedingungen zustehen, auch nicht so, wie ein Hirte einen Hinterhalt legt, um ein Raubtier zu fangen – er legt ja nicht ein eigenes Körperglied als Köder im Fangnetz aus, sondern für gewöhnlich ein Tier aus seiner Herde, und er richtet das Ganze so ein, dass das Raubtier überwältigt wird, bevor der Köder Schaden nimmt – Ihr dagegen seid als Partikel eures Gottes den Feinden ausgeliefert worden und vermochtet deren wilden Ansturm nur so von eurem Gott abzuwenden, indem ihr euch – selber sündenlos, aber durch das feindliche Gift infiziert – von ihrer Verdorbenheit anstecken liesset. Daher könnt ihr in euren Gebeten nicht sagen (Ps. 78,9): Um der Ehre deines Namens willen, Herr, befreie uns; und sei gnädig unseren Sünden um deines Namens willen! , sondern ihr sagt: Befreie uns, listig wie du bist; denn nur damit du in deinem Reich in aller Ruhe trauern kannst, werden wir hier eingequetscht, in Teile gerissen, beschmutzt! Diese Aussage ist Anklage, nicht Bittgebet. Und ihr könnt auch nicht sagen, was der Lehrer der Wahrheit uns zu sagen lehrte (Mt. 6,12): Erlass uns unsere Schuld, so wie wir sie auch wir unsern Schuldnern erlassen! Denn wer sind eure Schuldner, die sich gegen euch versündigt haben? Wenn es das Volk der Finsternis ist, erlasst ihr ihm etwa seine Schuld, wenn ihr es ausrottet und bis zum Ende der Zeiten im ewigen Gefängnis einkerkert? Und welche Schuld kann euch denn jener Gott erlassen, wo doch er, der euch diesen Auftrag erteilte, gegen euch gesündigt hat, und nicht ihr gegen ihn, die ihr seinen Auftrag befolgtet? Und wenn das für ihn keine Sünde war, weil er in einer Zwangslage handelte, dann ist eure Zwangslage jetzt, da ihr, im Kampf geschlagen, darniederliegt, noch viel grösser als die seine es war, bevor ihr in den Kampf ginget. Denn ihr leidet jetzt unter der Vermischung mit dem Bösen, er dagegen war, zumindest damals, als er in der Zwangslage war, euch diesen Auftrag zu erteilen, davon nicht betroffen. Also ist vielmehr er der Schuldner, der von euch einen Schuldenerlass nötig hat, und wenn auch er es nicht ist, dann noch viel weniger ihr von ihm. Wo sind also eure Opfer, jene Gebete aus aufrichtigem und reinem Herzen (537,21), die doch nichts als trügerische und schamlose Blasphemien sind!
