11.
Was soll ich erst zum folgenden Satz des Faustus sagen (536,19 ff.): Aus der Zeugungskraft des Heiligen Geistes und durch seine geistige Befruchtung habe die Erde dann auch den leidensfähigen Jesus empfangen und geboren, der, an jedem Holze hangend, das Leben und das Heil der Menschen ist? O du Verblendeter! Ohne vorerst auf euer Geschwätz zu diesem Thema weiter einzugehen, sage ich nur dies: So ist also die Erde imstande, vom Heiligen Geist den leidensfähigen Jesus zu empfangen, die Jungfrau Maria aber war dazu nicht imstande? Vergleiche doch, wenn du es über dich bringst, ihren durch makellose Reinheit geheiligten jungfräulichen Schoss mit all den Stellen auf der Erde, wo Bäume und Pflanzen spriessen! Bei jener Frau also bist du entsetzt– oder tust du, als ob du entsetzt wärest – über einen Mutterleib, welcher der Keuschheit geweiht ist, dass aber Jesus in sämtlichen Pflanzgärten um unsere Städte herum aus den Kloakenwassern gezeugt wird, darüber bist du nicht entsetzt! Denn welches noch so verschmutzte Nass lässt nicht zahllose Keime entstehen und gedeihen? Auf diese Weise wird, so verkündet ihr es, der leidensfähige Jesus geboren, und gleichzeitig erklärt ihr lautstark, es sei ungeziemend zu glauben, dass Jesus aus der Jungfrau geboren wurde. Wenn ihr das Fleisch für unrein hält, warum erscheint euch dann nicht als noch unreiner, was das Fleisch natürlicherweise zur Regelung seines Wohlbefindens ausscheidet? Ist etwa das Fleisch unrein, seine Ausscheidungen dagegen rein? Fällt euch also nicht auf, seht ihr es nicht, dass die Felder die Exkremente des Fleisches bevorzugen, um fruchtbarer und ertragreicher zu werden? Eure widersinnige Theorie führt offensichtlich zum Ergebnis, dass die Erde vom Heiligen Geist – der nach eurer Aussage das Fleisch Marias als unwürdig verschmäht hat – umso üppiger und reicher befruchtet wird, je eifriger sie mit dem Schmutz und Unrat des Fleisches gedüngt wurde. Oder werdet ihr etwa zu eurer Verteidigung vorbringen, der Heilige Geist könne überall, ohne sich einer Befleckung auszusetzen, gegenwärtig sein und tätig werden? Die Anwort darauf wird lauten: Warum also nicht im Schoss einer Jungfrau? Soviel zur Frage der Empfängnis; richtet nun den Blick auf die Geburt eures Jesus! Nach eurer Darstellung hat die Erde vom Heiligen Geist empfangen und den leidensfähigen Jesus geboren, der nun aber, wie ihr behauptet, durch diese Geburt unrein wurde und daher an jedem Holz hängt, in den Früchten der Sträucher und Bäume, sodass er durch das Fleisch unzähliger Lebewesen, die sich davon nähren, weiter verunreinigt wird, und nur in den Teilen Reinigung findet, denen ihr (Auserwählte) mit eurem Hunger zu Hilfe kommt. Und so glauben wir Christen mit unserem Herzen und bekennen es mit unserem Munde, dass Christus, der Sohn Gottes, das Wort Gottes, sich mit dem Fleisch bekleidet hat, ohne dabei befleckt zu werden, da ja jene Substanz, die durch nichts befleckbar ist, auch durch das Fleisch nicht befleckt werden kann; ihr dagegen behauptet, folgt man eurer Fabel, dass Jesus schon befleckt ist, während er noch am Baum hängt, noch bevor er in das Fleisch eines beliebigen Lebewesens eingeht, das ihn gerade verspeist. Denn wenn er da nicht befleckt ist, kann er auch nicht gereinigt werden, indem er durch euch (Auserwählte) aufgegessen wird! Wenn ihr weiter behauptet, dass jeder Baum ein Kreuz Jesu sei, weshalb Faustus von ihm sagt, dass er an jedem Holze hängt (536,21), warum tut ihr es nicht jenem Joseph von Arimathäa gleich (cf. Joh. 19,38), der ein gutes Werk vollbrachte und jenen wahren Jesus vom Kreuz nahm, um ihn zu bestatten, und pflückt eurerseits die Baumfrüchte, um euren Jesus vom Holz zu nehmen, an dem er hängt, und ihn in eurem Bauch zu bestatten? Und warum eigentlich soll es gottgefällig sein, Christus im Bauch zu bestatten, gottlos dagegen, ihn vom Holz zu nehmen? Wartet ihr etwa, – damit auch auf euch zutrifft, was der Apostel aus dem Propheten (Ps. 5,11) zitiert (Rm. 3,13): Ihre Kehle ist ein offenes Grab – mit offenem Mund, wer euch Christus in euren Schlund wirft, als ob dieser die beste Grabstätte für ihn wäre? Sagt uns schliesslich noch wieviele Personen das für euch sind, die ihr als Christus bezeichnet! Ist es ein Christus, den die Erde vom Heiligen Geist empfangen und als leidensfähigen geboren hat, der nicht nur an jedem Holze hängt, sondern sogar auf der Wiese ausgebreitet ist, ein zweiter Christus, den die Juden unter Pontius Pilatus gekreuzigt haben, und ein dritter Christus, der auf Sonne und Mond aufgeteilt ist (544,1)? Oder ist es ein und derselbe Christus, von dem ein Teil in den Bäumen gefesselt ist, ein anderer aber frei ist und jenem gefesselten und gefangenen Teil zu Hilfe eilt? Wenn die zweite Annahme zutrifft, dann frage ich euch, wem jener Christus, der, wie ihr eingesteht, unter Pontius Pilatus gelitten hat, obwohl er nach eurer Darstellung nicht Fleisch geworden war – auf die Frage, wie er einen solchen Tod erleiden konnte ohne im Fleisch zu sein, möchte ich vorerst nicht eingehen –, wem also jener Christus seine Schiffe übergeben hat (540,7), um von ihnen auf die Erde herunterzusteigen und jene Leiden auf sich zu nehmen, die für ein körperloses Wesen undenkbar wären. Denn bei rein geistiger Gegenwart hätte er ja diese Leiden in keiner Weise erfahren können, bei körperlicher Gegenwart aber hätte er nicht gleichzeitig sowohl auf der Sonne, auf dem Mond und am Kreuz sein können. Wenn er also körperlos war, wurde er nicht gekreuzigt; wenn er aber einen Körper besass, stelle ich die Frage, woher er ihn hatte, da ja nach eurer Darstellung alles Körperliche dem Volk der Finsternis entstammt – wobei ihr allerdings nie imstande wart, die göttliche Substanz anders als körperlich zu denken. So steht ihr vor dem Dilemma: Entweder zu behaupten, der Gekreuzigte sei körperlos gewesen – eine absurdere und verrücktere Behauptung gibt es gar nicht –; oder: der Gekreuzigte, den man gesehen habe, sei nur Einbildung, nicht Wirklichkeit gewesen – gäbe es eine schlimmere Gotteslästerung als dies? –; oder: nicht alles Körperliche entstamme dem Volk der Finsternis, sondern es gebe auch Körperliches aus göttlicher Substanz, das aber nicht unsterblich sei, und so ans Kreuz geschlagen und getötet werden könne – auch das ist noch völlig unsinnig –; oder: Christus habe seinen sterblichen Körper aus dem Volk der Finsternis erhalten, was bedeuten würde, dass ihr zwar davor zurückschreckt, an seine leibliche Abkunft von der Jungfrau Maria zu glauben, nicht aber an die aus dem Volk der Dämonen. Wenn schliesslich laut der Darstellung des Faustus, die dieser eurem endlos langen Mythos entnahm, dann allerdings in grösstmöglicher Kürze zusammenfasste, die Erde vom Heiligen Geist den leidensfähigen Jesus empfängt und zur Welt bringt, der, an jedem Holze hängend, das Leben und das Heil der Menschen ist (536,19), dann stellt sich die Frage, warum jener Retter inbezug auf das Hängen so übereinstimmt mit dem, der da hängt, inbezug auf das Geborenwerden sich dagegen so unterscheidet von dem, der da geboren wird. Wenn ihr aber eure Aussagen Jesus befinde sich in den Bäumen, Jesus sei unter Pontius Pilatus gekreuzigt worden, Jesus sei zwischen Sonne und Mond aufgeteilt, damit begründet, dass diese Wesen ja samt und sonders aus ein und derselben Substanz beständen, warum schliesst ihr dann nicht auch eure unzähligen andern Gottheiten unter der Bezeichnung Jesus zusammen? Warum sollte denn nicht auch jener splenditenens Jesus sein, warum nicht jener Atlas, und jener König der Ehre, und jener Mächtige Geist, und jener Erste Mensch, und was ihr sonst noch ohne Zahl unter verschiedenen Namen und mit verschiedenen Aufgaben verkündigt?
