20.
Du wirfst mir nun vor, ich hätte nach den Übersetzungen der Alten keine neue Übertragung anfertigen dürfen. Du wendest in Deiner Beweisführung einen ganz neuen Schluß an. „Entweder“, sagst Du, 1 „war die Übersetzung der Septuaginta unklar oder verständlich. Wenn sie unklar war, dann ist anzunehmen, daß auch Du Dich an den betreffenden Stellen irren konntest. Ist sie aber verständlich, dann ist es offenkundig, daß sie nicht in die Irre gehen konnten.“ Ich will Dich mit Deiner eigenen Waffe schlagen. Alle alten Schriftsteller, die uns im Herrn vorangegangen sind und die Hl. Schrift erklärt haben, haben entweder Unklares oder Verständliches gedeutet. Wenn es unklar war, wie konntest Du nach ihnen zu erklären suchen, was sie nicht deuten konnten? War es aber verständlich, dann war es überflüssig, Dich um eine Deutung zu bemühen, die ihnen nicht verborgen sein konnte. Dies gilt besonders von den Psalmen, welche die Griechen in vielen Bänden erklärt haben, vorweg Origenes, 2 dann Eusebius von S. b457 Cäsarea, 3 als dritter Theodor von Heraklea, 4 als vierter Asterius aus Skythopolis, 5 als fünfter Apollinaris von Laodicea, 6 als sechster Didymus von Alexandria, 7 Daneben sind noch kleinere Abhandlungen verschiedener Autoren, die sich mit wenigen Psalmen befassen, im Umlauf. Doch hier habe ich nur Erklärungen zu den gesamten Psalmen im Auge. Unter den Lateinern haben Hilarius von Poitiers 8 und Eusebius von Vercellä 9 Origenes und Eusebius übersetzt, deren erstem auch unser Ambrosius 10 in manchem gefolgt ist. Nun fordere ich von Deiner Klugheit darüber Auskunft, warum Du, der Du nach diesen großen und bedeutenden Exegeten kamst, in der Erklärung der Psalmen andere Auffassungen vertreten hast. Sind die Psalmen dunkel, dann konntest auch Du in ihrer Deutung fehlgehen. Sind sie aber klar, dann ist anzunehmen, daß sich die früheren Erklärer nicht irren konnten. Deshalb wäre, so und so betrachtet, Dein Kommentar überflüssig, und nach dem von Dir aufgestellten Gesetze dürfte keiner sich zu äußern wagen, wenn andere früher gesprochen haben. Dann hat keiner mehr das Recht, über eine Sache zu schreiben, die ein anderer bereits vor ihm behandelt hat. Es ist nicht mehr als menschlich, daß Du auch anderen gestattest, was Du für Dich selbst in Anspruch nimmst. Mir lag weniger daran, die herkömmliche Übersetzung S. b458 abzuschaffen, da ich sie doch für die Leute meiner Sprache in einer verbesserten Ausgabe aus dem Griechischen ins Lateinische übertrug. Vielmehr wollte ich auch jene Stellen bekannt machen, welche die Juden ausließen oder verdarben, damit unsere Leute auch wüßten, wie der hebräische Urtext lautet. Wem dies nicht paßt, den wird niemand gegen seinen Willen zum Lesen zwingen. Der mag in Ruhe seinen alten Wein trinken und meinen Most verachten, der die alte Übersetzung verständlicher machen sollte. Wo sie unverständliche Stellen aufweist, da sollte meine Übersetzung neues Licht bringen. Wie man aber die Hl. Schrift übersetzen soll, darüber habe ich mich in meiner Schrift „Über die beste Art zu übersetzen“ 11 und in den Vorreden zu allen göttlichen Büchern, die ich meiner Ausgabe voranstellte, ausgelassen. Ich glaube, daß ich den klugen Leser darauf verweisen darf. Wenn Du aber meiner Ausgabe des Neuen Testamentes Anerkennung zollst mit der Begründung, daß die meisten Griechisch verstehen und deshalb über meine Arbeit sich ein Urteil bilden können, so hättest Du auch für das Alte Testament dieselbe Gewissenhaftigkeit bei mir voraussetzen und annehmen dürfen, daß ich nichts von mir aus erdichtete, sondern daß ich Gottes Wort, so wie ich es bei den Hebräern vorfand, übertrug. Solltest Du aber noch Bedenken haben, so erkundige Dich bei Hebräern!
Ep. 56, 2 (Hilberg). ↩
Abgesehen von zahlreichen in Katenen erhaltenen Fragmenten gingen die Scholien, Homilien und Kommentare zu den Psalmen verloren (vgl. B. II 121, 132. 141 f.). ↩
Größere Reste des Psalmenkommentars und Katenenscholien s. M PG XXIII 9 ff.; XXIV 11 ff. (vgl. B. III 253 f.). ↩
Vgl. S. 437 Anm. 4. Psalmenkommentar verschollen. ↩
Über die umstrittene Persönlichkeit des Asterius vgl. B. III 123. ↩
Vgl. S. 437 Anm. 1. Psalmenerklärung nicht erhalten. ↩
Vgl. S. 436 Anm. 5. Größere Bruchstücke in Katenen gerettet (M PG XXXIX 1155—1622; vgl. B. III 108). ↩
Entstanden um 365. Größere Bruchstücke s. M PL IX 231 bis 908. ↩
345—370 Bischof von Vercellä. Das Psalmenwerk ist untergegangen (vgl. B. III 487). ↩
Explanatio psalmorum XII und Expositio in psalmum 118 (CSEL LXIV und LXII [Petschenig]). ↩
Ep. 57 ad Pammachium (s. S. 262 ff.). ↩
