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1. Daher sagt der ägyptische Priester bei Platon ganz richtig: „Ach Solon, Solon, sagte er, ihr Griechen seid immer Kinder, da ihr in euren Seelen keinerlei althergebrachte, auf alter Überlieferung beruhende Anschauung habt; und unter den Griechen ist keiner ein Greis.“1
2. Dabei nannte er, wie ich glaube, „Greise“ diejenigen, die die älteste Geschichte, d.i. unsere Geschichte, kennen, wie anderseits „junge Leute“ diejenigen, die nur die neuere S. a147 Geschichte und die Vorgänge bei den Griechen, die sich gestern und vor ganz kurzer Zeit ereignet haben, als alt und ursprünglich kennen.
3. Er fügte daher hinzu: „ein altersgraues Wissen“,2 da die bildlichen Ausdrücke, deren wir uns bedienen, nach einer gewissen bei Barbaren üblichen Gewohnheit formlos und nicht leicht verständlich sind. Freilich kommen die Verständigen ohne besondere Mühe an die ganze Form des sprachlichen Ausdrucks heran.3
4. Von den Griechen aber sagt er, daß sich ihre Anschauungen nur wenig von Märchen d.h. Kindern unterscheiden.4 Denn man darf die Stelle nicht als „Kindermärchen“ auffassen und ebensowenig als „Märchen, die bei den Kindern entstanden sind“.
5. Kinder nannte er vielmehr die Märchen selbst und deutete damit an, daß die, welche sich bei den Griechen für weise halten, nur wenig Einsicht haben; dabei dachte er an „das altersgraue Wissen“, nämlich die bei den Barbaren vorhandene uralte Wahrheit, und setzte diesem Ausdruck den Ausdruck „Märchen, d.h. Kind“ entgegen. Damit brandmarkte er die mit Märchen zu vergleichenden (geschichtlichen) Versuche der Jüngeren, weil sie gleich Kindern kein Alter haben, und bezeichneten so in gleicher Weise beide, sowohl ihre Mythen als auch ihre (geschichtlichen) Erzählungen, als etwas Kindliches.5
