11.
1. Was war es nun, was ihn veranlaßte, fortzugehen, und bewirkte, daß er treulos alles im Stich ließ, den Meister, seine eigene Bitte, die Hoffnung, das Leben, alles das, was er vorher geleistet hatte?1 „Verkaufe, was du hast!“2 2. Was bedeutet das? Er befiehlt ihm nicht, wie manche das Wort in oberflächlicher Weise auffassen, das Vermögen, das er besitzt, wegzuwerfen und auf S. 240 seinen Besitz zu verzichten, sondern aus seiner Seele die Gedanken an den Besitz zu verbannen, die leidenschaftliche Liebe zu ihm, das gewaltige Verlangen darnach, die krankhafte Unruhe darum, die Sorgen, die Dornen des irdischen Lebens, die den Samen des ewigen Lebens ersticken.3 3. Denn es ist nichts Großes und Erstrebenswertes, überhaupt keinen Besitz zu haben, wenn es nicht um des ewigen Lebens willen geschieht. Denn sonst müßten diejenigen, die überhaupt nichts besitzen, sondern völlig mittellos sind und sich ihren täglichen Bedarf erbetteln, die Bettler, die am Wege liegen, aber von Gott und der Gerechtigkeit Gottes nichts wissen,4 allein deswegen, weil sie so ganz arm sind und nichts für die Fristung ihres Lebens besitzen und sogar des Allergeringsten entbehren, die glücklichsten sein, von Gott am meisten geliebt werden und allein das ewige Leben besitzen. 4. Andererseits ist es aber auch nichts Neues, daß jemand auf seinen Reichtum verzichtet und ihn den Armen oder seiner Heimatstadt5 schenkt; dies haben schon viele getan, bevor der Heiland auf die Erde herniederkam, die einen, um Zeit für die Philosophie zu haben und der toten Weisheit zuliebe, die andern aus törichter Ruhmesliebe und aus Eitelkeit, Leute wie Anaxagoras, Demokritos, Krates.6
Damit ist die Erfüllung der Gebote gemeint. ↩
Vgl. Mt 19,21; vgl. Mk 10,21. ↩
Vgl. Mt 13,22; Mk 4,19; Lk 8,14; Sacr. Parall. 287 Holl. ↩
Vgl. Röm 10,3. ↩
Diog. Laert. VI 87 berichtet, daß Krates sein ganzes Vermögen seinen Mitbürgern geschenkt habe. ↩
Anaxagoras verzichtete auf sein Vermögen, um sich ganz dem Studium der Philosophie zu widmen; vgl. Diog. Laert. II,6; Demokritos verbrauchte sein großes Vermögen ganz auf seinen Forschungsreisen; vgl. ebd. IX 35.39; über Krates vgl. die vorige Anmerkung. - Die drei Männer werden oft als Beispiele der Unabhängigkeit von äußeren Gütern genannt; vgl. z.B. Philon, De vita contempl. 14; Origines, Geg. Celsus II 14; Hieronymus, Epist. 58,2; 66,8; 71,3; Geg. Jovin II 9; Comm. zu Ev. Mt III Cap. 19,28. ↩
