9.
S. 343 Unter den vier Brüdern war der zweite nach dem großen Basilius Naukratius, der sich durch glückliche Naturanlage, körperliche Schönheit, Kraft, Behendigkeit und Geschick in allen Dingen auszeichnete. Dieser gab mit zweiundzwanzig Jahren in öffentlichem Auftreten von seinen Studien solche Beweise, daß die ganze Zuhörerschaft durch ihn in gewaltige Erregung kam. Trotzdem gab er in einer Art göttlicher Vorsehung alles, was er in Händen hatte, preis und wandte sich in gar hohem Geistesflug dem einsamen und besitzlosen Leben zu, ohne etwas außer sich selbst mit sich zu führen. Dabei folgte ihm auch einer seiner Diener, namens Chrysaphius, weil dieser in trautem Verhältnis zu ihm stand und zugleich demselben Lebensberuf nachstrebte. Er lebte also für sich an einem entlegenen Orte, den er am Iris vorgefunden hatte. ― Der Iris ist aber ein Fluß, der mitten durch Pontus fließt. Er entspringt in Armenien, fließt durch unsere Heimat und mündet im Schwarzen Meer. ― In dessen Nähe fand der Jüngling einen Platz, mit tiefem Wald bewachsen und mit einem durch einen überragenden Bergrücken verdeckten Hügel und verweilte nun daselbst, indem er den Lärm der Stadt und die Unruhe des Soldatenlebens und des Advokatenberufes weit von sich ließ. Und nachdem er sich von allem, was auf Erden das menschliche Leben umbraust, freigemacht hatte, verpflegte er eigenhändig einige Greise, die in Armut und Gebrechlichkeit mit ihm lebten, da er es für sein Leben für angemessen erachtete, solche Arbeit zu besorgen. Jagend also (fing der Edelgeborene Fische, und)1 da er in jeder Art des Jagdwesens geschickt war, verschaffte er solchen, die das liebten, Nahrung und hielt mit derartigen Anstrengungen zugleich seine Jugend im Zaum. Aber auch den Wünschen der Mutter stand er, wenn sie ihm einmal etwas auftrug, bereitwillig zu Diensten und gab so durch beide Dinge seinem Leben die rechte Richtung, indem er nicht nur durch die Anstrengungen seine Jugend beherrschte, sondern auch durch seine Sorge um die Mutter in Beobachtung der göttlichen Gebote den rechten Weg zu Gott wandelte. Es war schon das fünfte S. 344 Jahr, daß er also der Weisheit nachging und durch sein Leben die Mutter beglückte, weil er einerseits durch Besonnenheit sein Leben zierte, anderseits all seine Kraft dem Willen der Mutter unterordnete. Da traf die Mutter, wie ich meine, durch Nachstellung des Widersachers ein schweres, erschütterndes Leid, das die ganze Familie mit Unglück und Schmerz erfüllte. Denn er wurde plötzlich dem Leben entrissen, ohne daß eine vorausgehende Krankheit das Unglück hätte ahnen lassen oder daß sonst irgendeiner der gewöhnlichen und bekannten Umstände den Tod des Jünglings verursacht hätte. Vielmehr war er zum Jagen fortgegangen, womit er den von ihm unterhaltenen Greisen die nötige Nahrung verschaffte, und wurde nun tot in seine Behausung zurückgebracht, er selbst mit seinem Gefährten Chrysaphius. Die Mutter aber weilte abseits, drei Tagreisen weit vom Unglücksort entfernt. Und es kam einer, ihr das Unglück zu melden. Sie war zwar vollkommen in aller Tugend, aber da gewann auch bei ihr begreiflicherweise die Natur die Oberhand. Mit gebrochenem Herzen ward sie nämlich sofort ohnmächtig und sprachlos, indem ihr Geist vom Leide erdrückt wurde und unter dem Ansturm der schlimmen Botschaft lag sie da, wie ein durch einen unerwarteten Schlag zu Boden geworfener edler Held.
Das Eingeklammerte fehlt in mehreren Handschriften. ↩
