22.
[Forts. v. S. 358 ] Als inzwischen der Abend herangekommen war und man ein Licht brauchte, schlug sie ihre Augen auf, schaute zum Glanz hin und gab zu erkennen, daß sie auch das abendliche Dankgebet sprechen wolle; weil aber die Stimme versagte, führte sie im Herzen und durch Bewegung ihrer Hände den Vorsatz aus; und ihre Lippen bewegten sich dem inneren Drang gemäß. Wie sie aber das Gebet vollendet hatte und die Hand zur Bekreuzung ans Gesicht führte, um damit das Ende des Gebets anzuzeigen, beschloß sie, ganz schwer und tief aufatmend, zugleich mit dem Gebet ihr Leben. Als sie nun atem- und bewegungslos dalag, erinnerte ich mich des Auftrags, den sie sofort bei der ersten Begegnung gegeben, wo sie den Wunsch ausdrückte, daß meine Hände ihr die Augen zudrücken und daß ich die herkömmlichen Dienstleistungen an ihrem Leibe vornehme, und so berührte ich mit der durch das Leid erschlafften Hand das heilige Antlitz, nur um nicht den Anschein zu geben, als ob ich ihren Auftrag versäumte. Denn ihre Augen brauchten keine Zubereitung, da sie, wie beim natürlichen Schlaf, von den Lidern ganz schön bedeckt waren. Ebenso waren die Lippen natürlich geschlossen, die Hände lagen in züchtiger Ordnung auf der Brust und die ganze Haltung des Körpers war von selbst passend gefügt und so bedurfte es keineswegs einer zurichtenden Hand.
