5.
S. 340 Bei solchen und ähnlichen Beschäftigungen wuchs sie heran, erwarb sich in der Zubereitung der Wolle noch eine besondere Geschicklichkeit und kam so ins zwölfte Jahr, wo in der Regel sich die Blüte der Jugendzeit zu entfalten beginnt. Da war es nun auffallend, wie die Schönheit des Mädchens auch in seiner Verborgenheit nicht geheim blieb. In ihrem ganzen Heimatland fand sich kein solches Wunder von Schönheit und Wohlgestalt, das den Vergleich mit ihr hätte aushalten können, so daß auch Malerhände ihre Anmut nicht erreichen konnten, vielmehr diese Kunst, die alles versucht und sich an das Größte wagt, ja selbst von den Elementen nachahmende Bilder fertigt, ihre auserlesene Gestalt nicht genau wiederzugeben vermochte. Deswegen umlagerte ihre Eltern ein ganzer Schwarm von Freiern, die um ihre Hand anhielten. Der Vater zog aber, denn er war verständig und darauf bedacht, nach Recht zu entscheiden, einen geachteten, wegen seines Charakters bekannten Jüngling aus guter Familie, der eben von seinem Studium zurückkehrte, den übrigen vor und beschloß, ihm das Mädchen zu verheiraten, wenn es zu seinem Alter gekommen wäre. Unterdessen weckte dieser die schönsten Hoffnungen und bot dem Vater des Mädchens den Ruhm seiner Beredsamkeit wie ein willkommenes Brautgeschenk dar, indem er in Prozessen für die bedrückte Unschuld die Macht seiner Rede betätigte. Der Neid des Schicksals aber zerstörte die herrlichsten Hoffnungen und raffte ihn in bedauernswerter Jugend aus dem Leben weg.
