12.
Am meisten half ihr zur Erreichung dieses großen Lebens ein leiblicher Bruder, namens Petrus, den unsere Mutter zuletzt geboren hatte. Dieser war nämlich die letzte Frucht ihrer Wehen und er hieß zugleich Sohn und Waise; denn als er zur Welt kam, schied der Vater aus dem Leben. Aber das älteste der Geschwister, dieselbe, von der die Rede ist, nahm ihn, der nur kurze Zeit nach seiner Geburt die Mutterbrust genossen hatte, alsbald der Wärterin ab, zog ihn selbst auf und brachte ihm sogar alle höhere Bildung bei, indem sie ihn von Kindheit an in den heiligen Wissenschaften unterrichtete, so daß sie seiner Seele keine Zeit ließ, sich irgendeiner Eitelkeit hinzugeben. Vielmehr machte sie dadurch, daß sie dem Kinde alles wurde, Vater, Lehrer, Erzieher, S. 347 Mutter, Ratgeber zu jeglichem Guten, einen solchen Menschen aus ihm, daß er, bevor er das Kindesalter überschritten, noch als Knabe in der Blüte der Unschuld seines Alters sich für das hohe Ziel der wahren Weisheitsliebe begeisterte und durch eine glückliche Naturanlage sich jegliche Fertigkeit und Art1 in den Handarbeiten angeeignet hatte, so daß er ohne Anleitung mit allem Fleiß die Geschicklichkeit zu all dem besaß, was die meisten erst mit Aufwendung von Zeit und Mühe erlernen. Dieser verachtete also die Beschäftigung mit außerchristlicher Bildung und hatte in seiner Naturanlage eine tüchtige Lehrmeisterin zu allem Guten; dabei schaute er allzeit auf seine Schwester und wählte sie sich zum Vorbild für jegliches Gute. Dadurch wuchs er zu solchem Muster der Tugend heran, daß er in seinem späteren Leben den Tugendvorzügen des großen Basilius keineswegs nachzustehen schien. Damals aber ging er der Mutter und Schwester über alles, da er ihnen zu jenem englischen Leben mitverhalf. Er hatte auch einmal, als drückender Getreidemangel entstanden war und viele von allen Seiten auf den Ruf seiner Wohltätigkeit hin zur Einöde, wo sie wohnten, hinströmten, durch seine umsichtigen Maßregeln solchen Überfluß an Nahrungsmitteln zu verschaffen verstanden, daß die Einöde bei der Menge der Besucher einer Stadt glich.
Text nach Öhler: ἰδέαν τε τήν [idean te tēn]. ↩
