1. Cap.
Leo, der Bischof, (sendet) dem geliebtesten Bruder Flavianus, dem Bischofe von Konstantinopel (seinen Gruß).
Anmaßung und Unklugheit trieben den Eutyches zum Irrtum.
Aus dem Schreiben deiner Liebe, über dessen so späte Absendung wir uns übrigens wundern, und aus den beigeschlossenen S. 198 Synodalakten erlangten wir endlich Kenntnis von dem Ärgernisse, welches bei euch gegen die Unversehrtheit des Glaubens entstanden ist. Was bisher noch dunkel war, ist uns jetzt ganz klar geworden. Eutyches, so ehrwürdig ihn seine Priesterwürde machte, zeigt sich dadurch als im hohen Grade unwissend und unverständig,1 so dass auch von ihm das Wort des Propheten gilt:2 „Er wollte nicht klug werden, um Gutes zu tun; Ungerechtigkeit sann er auf seinem Lager.“ Was aber ist schlimmer, als gottloses hegen und Weiseren und Gelehrteren nicht nachgeben? In diese Torheit jedoch fallen alle, die, wenn sie durch eine Schwierigkeit an der Erkenntnis der Wahrheit gehindert werden, nicht hei den Worten der Propheten, nicht bei den Schriften der Apostel, nicht bei den Aussprüchen der Evangelien, sondern bei sich selbst Rat erholen und deshalb Lehrer des Irrtums werden, weil sie nicht Schüler der Wahrheit gewesen sind.3 Denn welche Kenntnis von der hl. Schrift des alten und neuen Testamentes kann der besitzen, welcher nicht einmal die Anfangsgründe4 des Glaubensbekenntnisses versteht? Und was die Täuflinge auf der ganzen Welt bekennen, das kann das Herz dieses alten Mannes noch nicht fassen.
Dasselbe Urteil geistiger Beschränktheit fällt Leo über Eutyches wiederholt; ebenso sagt ein jüngerer Zeitgenosse des Eutyches, der berühmte Bischof Alcimus Avitus von Vienne, über ihn: nihil existit clarae eruditionis in viro. ↩
Ps 35:4-5. ↩
45. Decret. cf. C. XXIV. qu. 2. c. 30, ↩
Nach Fuchs; Hefele übersetzt initia mit: den Anfang, wofür auch gute Gründe sprechen. ↩
