4. Cap.
Die Eigentümlichkeiten beider Geburten und Naturen Christi werden erwogen.
So tritt denn der Sohn Gottes in diese niedere Welt ein von seinem himmlischen Sitze herabsteigend, ohne von der Herrlichkeit seines Vaters zu lassen, in einer neuen Ordnung, in einer neuen Geburtsart zur Welt kommend. In einer neuen Ordnung, indem der in dem Seinigen Unsichtbare in dem Unsrigen sichtbar geworden ist, der Unbegreifliche begriffen werden wollte, der vor aller Zeit existierende in der Zeit zu sein angefangen, der Herr des Alls mit Verhüllung seiner unermesslichen Majestät Knechtsgestalt angenommen, der leidensunfähige Gott ein leidensfähiger Mensch zu sein und der Unsterbliche den Gesetzen des Todes sich zu unterwerfen nicht verschmäht hat. In einer neuen Geburtsart kam er zur Welt, weil die unversehrte Jungfräulichkeit die Lust nicht kannte (und) den Stoff des Fleisches hergab. Es wurde von der Mutter des Herrn die Natur, nicht die Schuld angenommen; auch ist im Herrn Jesus Christus, welcher aus dem Schoße der Jungfrau geboren ist, deshalb, weil seine Geburt wunderbar ist, nicht seine Natur der unsrigen unähnlich. Denn derselbe, der wahrer Gott ist, ist zugleich wahrer Mensch, und ist in dieser Einheit keine Lüge, da die Niedrigkeit des Menschen und die Hoheit Gottes sich in ihr durchdrungen haben.1 Wie nämlich Gott nicht verändert wird durch sein Erbarmen2 so wird auch der Mensch3 durch die göttliche Würde nicht verzehrt. Denn jede der beiden Formen4 tut in Gemeinschaft mit der andern, was ihr eigen ist, indem das Wort (Gottes) wirkt, was des Wortes ist, und das Fleisch verrichtet, was des Fleisches ist. Das eine strahlt herrlich in Wundern, das andere unterliegt den Schmähungen. S. 204 Und wie das Wort von der Gleichheit der väterlichen Herrlichkeit nicht ablässt, so lässt das Fleisch nicht ab von der Natur unseres Geschlechtes. Denn der Eine und Selbe ist, was man oft wiederholen muss, wahrhaft Gottes Sohn und wahrhaft Menschensohn: Gott dadurch, dass „im Anfange das Wort war und das Wort bei Gott und selbst Gott war“;5 Mensch dadurch, dass „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“;6 Gott dadurch dass „alles durch ihn erschaffen ist und ohne ihn nichts erschaffen ist“;7 Mensch dadurch, dass „er aus dem Weibe geboren ist und unter dem Gesetze“.8 Die Geburt des Fleisches ist die Offenbarung der menschlichen Natur, das Gebären der Jungfrau ist das Zeichen der göttlichen Kraft. Die Schwäche des Kindes wird gezeigt durch Niedrigkeit der Wiege, die Herrlichkeit des Höchsten wird verkündet durch die Stimme der Engel. Den Anfängen der Menschen9 gleich ist der, den Herodes gottlos zu töten trachtet; aber der Herr aller ist es, den die Weisen demütig anzubeten sich freuen. Als er dann zur Taufe seines Vorläufers Johannes kam, rief, damit nicht verborgen bleibe, dass unter dem Schleier des Fleisches die Gottheit verhüllt sei, die Stimme des Vaters vom Himmel:10 „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Dem, welcher als Mensch von der List des Teufels versucht wird, demselben, als Gott, dienen die Engel. Hungern, Dürsten, Ermatten und Schlafen ist offenbar menschlich. Aber mit fünf Broten fünftausend Menschen sättigen, der Samaritanerin lebendiges Wasser geben, dessen Genuß allen Durst auch für die Zukunft verscheucht, auf dem Meere einherzuwandeln, ohne unterzusinken, die Fluten und Stürme zu bedrohen und zu stillen, ist ohne S. 205 Zweifel göttlich. Wie es also, um vieles zu übergehen, nicht Sache einer und derselben Natur ist, mit tiefem Mitleid den verstorbenen Freund zu beweinen und ihn, der schon vier Tage unter der Grabesdecke lag, bloß durch den Befehl des Wortes wieder in's Leben zu rufen, oder am Kreuze zu hängen und nach Verwandlung des Tages in Nacht alle Elemente zittern zu machen, oder mit Nägeln durchbohrt zu sein und dem Glauben des Räubers die Tore des Paradieses zu öffnen, ebenso ist es nicht Sache einer und derselben Natur zu sagen.11 „Ich und der Vater sind eins“ und zu sagen:12 „Der Vater ist größer als ich.“ Obgleich nämlich im Herrn Jesus Christus nur eine Person des Gottes und des Menschen ist, so ist doch das eine eigene Quelle, aus welcher die Beiden gemeinschaftliche Schmach, und wieder eine andere, aus welcher die gemeinschaftliche Herrlichkeit herrühret. Denn von uns hat er die Menschheit, welche geringer als der Vater ist, vom Vater hat er die dem Vater gleiche Gottheit.
