[Vorwort]
Der vorliegende Brief ist ein weiterer Schritt in der Erfüllung einer der wichtigsten Lebensaufgaben des hl. Hieronymus, das mönchische Ideal innerhalb der vornehmen Welt des Abendlandes zu verwirklichen, soweit es bei denen möglich ist, die in der Welt leben müssen. Er ermahnt Geruchia, eine junge gallische Witwe adeliger Abstammung, 1 sich nicht wieder zu verheiraten. Das Schreiben, das aus ruhigeren und reiferen Jahren stammt, ist nicht so stürmisch wie ähnliche Briefe aus früherer Zeit, die ihm oft schwere Verlegenheit bereiteten. Aber am Kern der Sache, an der Wahrung der Witwenschaft, hält er unnachgiebig fest, wenn er auch immer wieder betont, daß es an sich nicht unerlaubt sei, S. 187 mehrmals zu heiraten. Seine Beweisführung baut sich auf den paulinischen Stellen auf, die von der Gegenseite zugunsten einer mehrfachen Heirat herangezogen werden. Nach ihm läßt sich nur eine Nachgiebigkeit an die menschliche Schwache aus ihnen folgern, während das Ideal des Apostels ein anderes sei. An Beispielen zeigt er die Hochschätzung der Keuschheit selbst innerhalb des Heidentums. Auch die Einwände aus den alttestamentlichen Stellen, welche Mütterlichkeit und eheliche Fruchtbarkeit verherrlichen, läßt er nicht gelten. Das Gesetz des Alten Bundes ist eben anders wie das des Evangeliums. Nachdem er dann noch einige landläufige Einwände gegen die Wahrung der Witwenschaft zurückgewiesen hat, weitet sich das Blickfeld, und er zeichnet ähnlich wie im Briefe an Heliodorus 2 ein erschütterndes Bild vom Zerfall des römischen Reiches, das, unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehenen entstanden, an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnt und prophetisch schauend schildert, was den Zeitgenossen noch begegnen kann. Unter solchen Umständen hat die Jagd nach sinnlichen Freuden und irdischen Gütern keinen Sinn.
Der Brief stammt aus dem Jahre 409. Er erwähnt den Verrat des Stilicho, der 408 ermordet wurde, und den Loskauf der im gleichen Jahre von Alarich belagerten Stadt Rom. Hingegen gedenkt der Schreiber des Briefes mit keinem Worte der am 23. August 410 erfolgten Eroberung und Plünderung der Stadt, die ihn wie kaum ein Ereignis beeindruckt hat. 3
Bemerkt sei noch, daß der Brief viele Anklänge an Tertullians Schrift „De monogamia“ enthält, wenn er auch die scharfe Grenze zum Montanismus hin, der die zweite Ehe als schwer sündhaft verwirft, nicht überschreitet. Ebenso sind die Schriften „Ad uxorem“ und „De exhortatione castitatis“, die ebenfalls aus der montanistischen Zeit stammen, vielfach benutzt.
Gr. III 248 nennt Ageruchia eine römische Witwe, was mit ep. 123, 7. wo ihre Heimat in die Gegend von Aquae Sextiae verlegt wird, und mit 123, 13. wo sie als Bewohnerin der Provinz Gallia Narbonensis erscheint, nicht zu vereinbaren ist. ↩
Ep. 60, 16 f. ad Heliodorum. ↩
Vgl. ep. 126, 2 ad Marcellinum et Anapsychiam; ep 127, 1 ad Principiam; comm. in Ezech. praef. in libr. I, III und VII (M PL XXV 15 ff; 79; 208 f.). ↩
