19.
Ich weiß nicht, ob ich noch eine andere Sache berühren soll. Aber, ob ich will oder nicht, ich muß darüber reden, weil es sich um eine Sache handelt, die zu oft vorkommt. Ich glaube auch nicht, daß ich in dieser Hinsicht bei Dir etwas zu befürchten habe, zumal es sich um Dinge handelt, die Du vielleicht gar nicht weißt und von denen Du am Ende noch nie gehört hast. Aber es könnte mein Brief an Dich anderen zur Warnung dienen. Eine Jungfrau soll junge Leute mit gelockten und künstlich gekräuselten Haaren, die nach S. 272 Moschusduft 1 riechen, von denen der Arbiter sagt: „Der riecht nicht angenehm, der immer angenehm riecht“, 2 wie die Pest und wie ein der Keuschheit schädliches Gift meiden. Ich will ganz schweigen von solchen, deren unzeitgemäßer Besuch sie und andere ins Gerede bringt. Selbst wenn nichts Schlimmes dabei vorkommt, so ist es doch schon schlimm genug, sich unnützerweise den Verleumdungen und bissigen Bemerkungen der Heiden auszusetzen. Ich habe hier nicht ohne weiteres alle im Auge, sondern ich denke an die, welche auch die Kirche selbst tadelt und mitunter aus ihrer Gemeinschaft ausstößt, gegen die sich bisweilen der Tadel der Bischöfe und Priester richtet, so daß es für leichtfertige Mädchen bald eine größere Gefahr ist, zum Gotteshause als auf die Straße zu gehen. Die Jungfrauen, die im Kloster leben, und deren gibt es eine ganze Menge, sollen niemals allein, niemals ohne Mutter ausgehen. Der Habicht sondert oft eine Taube von dem ganzen Schwarme ab. Auf diese stürzt er sich dann und zerreißt sie, um sich an ihrem Fleisch und Blute zu sättigen. Kränkliche Schafe bleiben hinter der Herde zurück, um dann eine Beute der Wölfe zu werden. Ich kenne heilige Jungfrauen, welche an den Festtagen, weil da viel Volk zusammenströmt, ihren Fuß nicht vor die Türe setzen. Sie gehen auch dann nicht aus, wenn sonst größere Vorsicht geboten erscheint und das öffentliche Erscheinen zu vermeiden ist. Vor etwa dreißig Jahren habe ich ein Buch geschrieben über die Bewahrung der S. 273 Keuschheit, 3 in dem ich gegen gewisse Laster angehen und des Teufels Anschläge offenlegen mußte zum Nutzen einer Jungfrau, die ich zu unterweisen und zu mahnen hatte. Meine Ausführungen haben bei vielen Anstoß erregt, weil jeder meine Worte auf sich bezog. Deshalb war ich auch in ihren Augen nicht ein Mahner, den man gerne hört, sondern man haßte mich, weil man in meinen Worten eine Anklage gegen den eigenen Lebenswandel sah. Doch was nützt es, daß sich das Heer der Gegner bewaffnete und durch Bekundung seines Unwillens die eigene Gewissenswunde bloßlegte? Das Buch ist geblieben, die Menschen sind dahingegangen. Ich habe auch an viele Jungfrauen und Witwen kleine Schriften gerichtet, und was irgendwie zu sagen war, findet sich dort in aller Deutlichkeit. Es wäre deshalb eine überflüssige Arbeit, dasselbe noch einmal zu sagen, und wenn etwas übergangen wurde, so kann es nicht von Wichtigkeit gewesen sein. Auch der heilige Cyprian 4 hat ein hervorragendes Buch über die Jungfräulichkeit geschrieben, ebenso viele andere, teils in lateinischer, teils in griechischer Sprache. Vor allem in den Kirchen wird in aller Völker Schrift und Sprache das unbefleckte Leben (ἁγνὴ vita) verherrlicht. 5 Daraus mögen sich solche belehren lassen, welche die Jungfräulichkeit noch nicht gewählt haben und eines Anspornes bedürfen, damit sie das kennenlernen, was sie wählen sollen. Wir haben unsere Wahl bereits getroffen und müssen zu ihr stehen. Wir müssen sozusagen zwischen Skorpionen und Schlangen wandeln, um mit gegürteten Lenden, beschuhten Füßen und mit einem Stocke bewaffnet 6 unseren Weg zu nehmen hindurch durch die trügerische S. 274 und verderbte Welt. Wir müssen zu den süßen Wassern des Jordans kommen, ins Land der Verheißung einwandern, zum Hause des Herrn emporsteigen und mit dem Propheten sprechen: „Herr, ich liebe die Zierde Deines Hauses und die Herrlichkeit Deiner Wohnstätte. 7 Um eines bitte ich Dich, o Herr, eines nur erflehe ich von Dir, laß mich wohnen im Hause des Herrn alle Tage meines Lebens!“ 8 Glücklich das Gewissen und gepriesen die Jungfräulichkeit, wenn im Herzen außer der Liebe zu Christus, der ja Weisheit, Keuschheit, Geduld und Gerechtigkeit, kurz der Inbegriff aller Tugenden ist, keine andere Liebe wohnt. Die Liebe zu Christus quält sich nicht damit ab, in der Erinnerung anderer leben zu wollen. Sie will niemanden sehen, außer den, von dem sie nicht lassen will, nachdem sie ihn einmal gesehen hat. Freilich bringen manche, die sich nicht gut aufführen, das jungfräuliche Leben und den himmlischen Wandel nach dem Vorbilde der Engel in Verruf. Ihnen muß ich ganz ungeschminkt sagen: „Heiratet, wenn ihr euch nicht enthalten könnt, 9 oder lebet enthaltsam, wenn ihr nicht heiraten wollt.“ Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. Wenn die Herrinnen öffentlich sich zeigen, dann kommt die Magd, die Jungfräulichkeit gelobt hat, geputzter daher als die Herrin. Dieser Unfug hat sich bereits so eingebürgert, daß man allgemein die für die Herrin ansieht, die nach außen am wenigsten in die Erscheinung tritt. Manche suchen abgelegene Gaststätten auf, wo sie ohne Zeugen sind. Dann können sie sich um so leichtfertiger geben, baden, tun, was ihnen beliebt, ohne daß die anderen Leute darum wissen. Das alles sehen wir mit an und dulden es. Wenn aber gar ein Goldstück funkelt, dann rechnen wir es am Ende noch zu den guten Werken.
„Peregrini muris olentes pelliculas“. Gemeint ist die sog. Bisamspitzmaus, auch Desman genannt, gegen die sich Hieronymus auch in der Schrift gegen Jovinian II 8 (M PL XXIII 311) wendet. Sie kommt im Flußgebiet des Don und der Wolga vor und soll von den Hunnen ins römische Reich eingeführt worden sein (vgl. Jordanes, De Getarum sive Gothorum origine et rebus gestis 5). ↩
Martialis, Epigr. II 12, 4. Hieronymus schreibt die Stelle Arbiter (Beiname des Petronius) zu, in dessen nur verstümmelt überlieferten Werk sie sich nicht findet. ↩
Ep. 22 ad Eustochium. ↩
De habitu virginum (BKV XXXIV 56 ff.). ↩
Erasmus von Rotterdam und andere denken hier an eine Schrift, welche das Leben der hl. Agnes behandelt, aber mit Unrecht. ↩
Exod. 12, 11. ↩
Ps. 25, 8. ↩
Ebd. 26, 4. ↩
1 Kor. 7, 9. ↩
