15. Aussprüche Christi über die Keuschheit und Nächstenliebe1.
Über die Keuschheit sagte er folgendes: „Wer nach einem Weibe sieht, um es zu begehren, der hat schon im Herzen vor Gott Ehebruch begangen“2. Und: „Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, reiß es aus; denn es ist dir besser, einäugig in das Himmelreich einzugehen, als mit beiden Augen in das ewige Feuer geworfen zu werden“3. Und: „Wer eine von einem anderen Mann Entlassene heiratet, bricht die Ehe“4. Und: „Es gibt solche, die von den Menschen verschnitten worden sind; es gibt auch solche, die als Verschnittene geboren wurden; es gibt aber auch solche, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreiches willen, nur fassen das nicht alle“5. Also sind nach dem Urteile unseres Lehrers sowohl die, welche eine vom menschlichen Gesetze6 erlaubte zweite Ehe schließen, Sünder als auch die, welche ein Weib ansehen, um es zu begehren. Denn nicht nur, wer tatsächlich die Ehe bricht, ist nach ihm verworfen, sondern auch, wer S. 80 ehebrechen will, da Gott nicht bloß die Handlungen, sondern auch die Gedanken offenbar sind. Und gar viele Männer und Frauen, die von Jugend auf Schüler Christi gewesen sind, bleiben mit sechzig oder siebzig Jahren keusch, und ich getraue mir, solche in jedem Stande von Menschen aufzuweisen, ganz zu schweigen von der unzähligen Menge derer, die nach einem zügellosen Leben sich bekehrt und diese Grundsätze angenommen haben. Denn nicht die Gerechten und Enthaltsamen hat Christus zur Sinnesänderung berufen, sondern die Gottlosen, die Ausschweifenden und die Ungerechten. Denn so hat er gesprochen: „Nicht bin ich gekommen, Gerechte zur Buße zu berufen, sondern Sünder“7. Will doch der himmlische Vater die Buße des Sünders mehr als seine Bestrafung.
Über die allgemeine Menschenliebe hat er folgendes gelehrt: „Wenn ihr die liebt, welche euch lieben, was tut ihr da Neues? Tun das doch auch die Hurer. Ich aber sage euch: Betet für eure Feinde, liebet, die euch hassen, segnet, die euch verfluchen, und betet für solche, die euch verleumden“8. Daß man aber das Seinige mit den Bedürftigen teilen und nicht des Ruhmes wegen tun soll, sagt er also: „Jedem, der bittet, gebet, und den, der von euch borgen will, weiset nicht von euch9. Denn wenn ihr denen leiht, von welchen ihr zu bekommen hofft, was tut ihr da Besonderes? Das tun auch die Zöllner10. Ihr aber sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motte und Rost sie verzehren und Diebe sie ausgraben, sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost verzehrt11. Denn was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, seine Seele aber verlöre? Oder was wird er zu ihrer Einlösung geben?12 Sammelt euch also Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost verzehrt“137. S. 81 Und: „Seid aber gütig und barmherzig, wie auch euer Vater gütig und barmherzig ist und seine Sonne aufgehen läßt über Sünder und Gerechte und Böse14. Fraget nicht ängstlich, was ihr essen oder was ihr anziehen werdet. Seid ihr nicht mehr als die Vögel und die wilden Tiere? Und Gott ernährt diese. Seid also nicht bekümmert, was ihr essen oder was ihr anziehen werdet; weiß ja euer Vater im Himmel, daß ihr dessen bedürft. Suchet aber das Himmelreich, und dieses alles wird euch zugelegt werden15. Denn wo sein Schatz ist, da ist auch der Sinn des Menschen“16. Und: „Tut das nicht, um von den Menschen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel“17.
Diese Sittensprüche finden sich alle bei den Synoptikern, aber vielfach nur dem Sinne nach. ↩
Matth. 5,28. ↩
Matth. 18,9. ↩
Matth. 5,22. ↩
Matth. 19,11 f. ↩
Gemeint ist eine Heirat nach bürgerlicher Scheidung zu Lebzeiten der früheren Frau. ↩
Luk. 5,32. ↩
Matth. 5,44; Luk. 6,27. ↩
Matth. 5,42. ↩
Luk. 6,34. ↩
Matth. 6,19 f. ↩
Matth. 16,26. ↩
Matth. 6,20. ↩
Matth. 5,45. ↩
Matth. 6,25 ff. ↩
Matth. 6,21. ↩
Matth. 6,1. ↩
