2. Die Ungerechtigkeit allein macht unglücklich1.
Daß die wahrhaft Frommen und Weisen2 nur die Wahrheit ehren und lieben und daß sie es ablehnen, hergebrachten Anschauungen, wenn diese falsch sind, zu folgen, gebietet die Vernunft. Denn nicht nur verbietet die gesunde Vernunft3, denen nachzufolgen, die etwas Unrechtes getan oder gelehrt haben, sondern der Wahrheitsfreund muß auch auf jede Weise, wenn der Tod ihm angedroht wird, das Bekenntnis und die Ausübung des Rechten seinem Leben vorziehen. Ihr nun hört allenthalben, daß ihr Fromme und Weise, Wächter des Rechtes und Freunde der Bildung genannt werdet; ob ihr es aber auch seid, wird sich zeigen. Denn nicht, um mit dieser Schrift euch zu schmeicheln oder zu Gefallen zu reden, sind wir gekommen, sondern um zu fordern, daß ihr auf Grund sorgfältiger und verständiger Untersuchung das Urteil fällt, unbeirrt durch vorgefaßte Meinung oder durch die Rücksicht auf abergläubische Menschen und ohne in unvernünftiger Leidenschaft und nach alteingewurzeltem Vorurteil gegen euch selbst das Urteil zu sprechen. Denn wir sind überzeugt, daß uns von keinem irgendein Übel zugefügt werden kann, es sei denn, daß wir als Vollbringer einer Übeltat überführt oder als schlecht erfunden worden sind. Ihr aber könnt uns wohl töten, schaden aber könnt ihr uns nicht4.
Diese Überschriften fehlen bei Justin in der Handschrift. ↩
Eine Anspielung auf Namen der Kaiser Antonius Pius und Marcus Aurelius philosophus. ↩
Justin ist überzeugt, daß die menschliche Vernunft ein Ausfluß des göttlichen Logos ist und daß jeder, der ohne Vorurteil und Leidenschaft seiner Vernunft folgt, die Wahrheit des Christentums erkennen wird (vgl. c. 46). ↩
Diesen Gedanken hatte schon Sokrates vor seinen Richtern ausgesprochen: „Wenn ihr mich zum Tode führt, einen solchen Mann, wie ich ihn euch schildere, so werdet ihr mir nicht mehr Leid zufügen als euch selbst; denn einem besseren Manne kann nicht von einem schlechteren Leid geschehen“ (Plat. ap. 30 c). ↩
