15. Von dem Ärgernis im Kloster zu Poitiers
Das Ärgernis aber, das in dem Kloster zu Poitiers aus der Saat des Teufels erwachsen war,1 wuchs sich täglich schlimmer und verderblicher aus; denn nachdem Chrodechilde, wie bereits erzählt, eine Schar von Mördern, Giftmischern, Hurern, Landstreichern und Verbrechern anderer Art um sich gesammelt hatte, wartete sie nur auf eine Gelegenheit, um Unruhen hervorzurufen und gab jenen Leuten Befehl, sie sollten bei Nacht in das Kloster einbrechen und die Äbtissin mit Gewalt fortschleppen. Diese hörte aber den Lärm, der sich gegen das Kloster heranwälzte, und verlangte, man solle sie zu der Lade des heiligen Kreuzes2 tragen; denn sie litt an einem gichtischen Flusse. Sie glaubte nämlich, daß das heilige Kreuz ihr Beistand in dieser Gefahr gewähren würde. Als aber die Männer einbrachen, zündeten sie Kerzen an und liefen mit ihren Waffen überall in dem Kloster umher und suchten die Äbtissin. Da sie aber in den Betsaal kamen, fanden sie sie vor der Lade des heiligen Kreuzes am Boden hingestreckt. Und einer von ihnen, der noch schlimmer S. 118 war als die übrigen, machte sich schon bereit, die Greueltat zu begehen, die Äbtissin mit seinem Schwerte zu zerhauen, als ein andrer ihn mit seiner Klinge traf. Das war, wie ich glaube, ein Werk der göttlichen Vorsehung. Das Blut strömte hervor, er stürzte zu Boden und konnte den Vorsatz nicht ausführen, den er in seinem verruchten Sinne gefaßt hatte. Inzwischen bedeckte die Pröpstin3 Justina und die andren Schwestern die Äbtissin mit der Decke des Altars, der vor dem heiligen Kreuze stand, und löschten die Kerze aus. Aber jene kamen mit ent-blößten Schwertern und Lanzen, zerrissen den Nonnen die Kleider, zerfleischten ihnen beinahe die Hände und ergriffen die Pröpstin; denn sie glaubten, da es dunkel war, es sei die Äbtissin. Sie zerfetzten ihr die Kleider und rissen ihr die Haare vom Kopfe. So schleppten sie sie fort und brachten sie zur Kirche des heiligen Hilarius, um sie hier in Haft zu halten. Doch als sie nahe bei der Kirche waren und es schon etwas Heller wurde, sahen sie, daß es nicht die Äbtissin war, und sie hießen die Jungfrau sogleich in das Kloster zurückkehren. Darauf kamen auch sie zurück, ergriffen die Äbtissin, schleppten sie fort, brachten sie in Haft neben der Kirche des heiligen Hilarius an demselben Orte, wo Basina ihre Herberge hatte, und stellten Wächter vor die Türe, daß niemand der Gefangenen irgend einen Beistand gewähren könnte. Dann brachen sie, während es noch ziemlich finster war, wieder ins Kloster ein, und da sie sich kein Licht zum Anzünden verschaffen konnten, schleppten sie aus der Vorratskammer eine Kufe herbei, die vordem mit Pech bestrichen, jetzt aber trocken war, steckten sie in Brand und plünderten bei dem Leuchten dieses Fanals den ganzen Hausrat des Klosters. Nur das ließen sie zurück, was sie nicht fortschleppen konnten. Und dies geschah sieben Tage vor dem Osterfest.
S. 119 Da aber der Bischof über dies alles sehr zornig und doch nicht imstande war, der teuflischen Ruhestörung zu steuern, sandte er zu Chrodechilde und sprach: „Laß die Äbtissin los, daß sie während dieser Tage nicht in Gefangenschaft bleibe. Sonst werde ich das Osterfest des Herrn nicht feiern und kein Katechumene wird in dieser Stadt die Taufe erhalten4 wofern nicht die Äbtissin aus der Haft befreit wird, in der sie sich befindet. Willst du sie auch dann nicht loslassen, so werde ich die Bürger um mich sammeln und sie mit Gewalt befreien." Da er so sprach, sandte sie sogleich Mörder ab und sprach: „Sollte sich jemand unterstehen, die Äbtissin mit Gewalt zu befreien, so tötet sie sogleich mit dem Schwerte." In jenen Tagen war aber daselbst Flavianus zu-gegen, der kurz zuvor zum Haushofmeister bestellt worden war5 und durch seinen Beistand entkam die Äbtissin in die Kirche des heiligen Hilarius und war so befreit.
Indessen wurde am Grabe der heiligen Radegunde gemordet und selbst an der Lade des heiligen Kreuzes manche im Tumult erschlagen. Als aber das Fest herankam und der Aufstand durch den Übermut der Chrodechilde immer mehr um sich griff, und unaufhörlich von jenen Unruhestiftern Mordtaten und andere Greuel begangen wurden, wie wir deren schon oben erwähnten, Chrodechilde aber sich in ihrem Stolze so blähte, daß sie wie von der Höhe auf Basina, ihre Base, herabsah, da fing diese an Reue zu fühlen und sprach: „Ich habe gefehlt, da ich dem Hochmut der Chrodechilde folgte. Denn siehe! ich bin für sie ein Gegenstand der Mißachtung, und bin ungehorsam meiner Äbtissin." Und bekehrt, demütigte sie sich vor der Äbtissin und bat sie um Verzeihung, und sie waren zusammen ein Herz und eine Seele. Darauf entstand aber bald wieder Streit. Denn als die Diener, S. 120 welche bei der Äbtissin waren, einem Tumulte wehrten, den die Bande der Chrodechilde angezettelt hatte, verwundeten sie einen Diener der Basina. Er stürzte nieder und starb; die ihn aber erschlagen hatten, flüchteten sich zu der Äbtissin nach der Kirche des heiligen Bekenners Hilarius. Da verließ Basina abermals die Äbtissin und trennte sich von ihr. Als aber die Diener der Äbtissin das Weite gesucht hatten, stellten sie und Basina den früheren Frieden wieder unter sich her. Weiterhin gab es noch viele Kämpfe zwischen diesen beiden Gefolgschaften, und wer könnte wohl jemals alle die Greuel und Mordtaten und alle die Übel, die damals geschahen, in Worte fassen, da kaum ein Tag ohne Totschlag, kaum eine Stunde ohne Streit, kaum ein Augenblick ohne Tränen verging?
Als aber König Childebert dies vernahm, schickte er eine Gesandtschaft an König Gunthramn, daß die Bischöfe aus ihren beiden Reichen zusammentreten und durch ihre Entscheidung nach den Kirchengesetzen dem Unfug steuern sollten. Und König Childebert befahl hierbei zu erscheinen meiner geringen Person, dem Bischof Eberegisel von Köln6 und dem Bischof Marovech von Poitiers selbst; König Gunthramn aber dem Bischof Gundegisil von Bordeaux,7 weil er der Bischof der Mutterkirche von Poitiers war, mit den andren Bischöfen seiner Kirchenprovinz. Aber wir fingen an Widerspruch zu erheben und erklärten: „Wir werden diesen Ort nicht betreten, wenn nicht das wilde und zügellose Treiben, das Chrodechilde veranlaßt hat, durch das Einschreiten des Richters zuvor unterdrückt wird". Deshalb wurde an Macco, der damals Graf der Stadt war,8 der Befehl erteilt, die Unruhen mit Gewalt zu unterdrücken, wenn jene noch Widerstand leisten sollten. Als Chrodechilde dies vernahm, befahl sie jenen S. 121 Banditen, sich bewaffnet an der Türe des Betsaales auszustellen, um sich dem Grafen zu widersetzen, wenn er Gewalt anwenden wollte. Hierdurch wurde der Graf genötigt, mit Waffengewalt anzurücken, und er ließ einige mit Stangen niederhauen, andere mit den Speeren niederstoßen und auf diejenigen, die sich hartnäckiger widersetzten, mit dem Schwerte einhauen. Als Chrodechilde dies sah, nahm sie das Kreuz des Herrn, dessen Wunderkraft sie früher verachtet hatte, trat heraus, ging ihnen entgegen und sprach: „Braucht keine Gewalt gegen mich, die ich eine Königin bin9 eines Königs Tochter und die Base eines andren Königs. Tut es nicht, es möchte sonst einst die Zeit kommen, da ich mich an euch räche." Aber das Volk achtete wenig auf das, was sie sagte, sondern stürmte, wie wir eben erzählten, auf ihre Leute, die Widerstand leisteten, ein und schleppte sie gebunden aus dem Kloster. Man band sie an Pfähle, geißelte sie scharf, einigen schnitt man das Haar, anderen die Hände, manchen auch Ohren und Nase ab. So wurde der Aufstand unterdrückt, und die Ruhe kehrte zurück.
Hierauf saßen die Bischöfe, die zugegen waren, in dem Altarchore der Hauptkirche zu Gericht. Vor ihnen erschien Chrodechilde, die vielfache Schmähungen und Anklagen gegen die Äbtissin vorbrachte. Sie behauptete, diese habe einen Mann im Kloster, der zwar Weiberkleider trüge und für ein Weib gälte, von dem es aber unzweifelhaft dargetan sei, daß er ein Mann sei, und dieser habe der Äbtissin beständig aufgewartet. Und sie wies mit dem Finger auf ihn und sprach: „Seht, da ist er." Dieser trat nun in Weibertracht, wie gesagt, vor aller Augen hervor und sagte aus, er sei zu allem Geschäfte der Männlichkeit untauglich und habe deshalb diese Tracht angelegt. Die Äbtissin kenne er übrigens nur dem Namen nach, habe sie niemals gesehen S. 122 und nie ein Gespräch mit ihr gehabt, da er überdies mehr als vierzig Meilen10 von der Stadt Poitiers seinen Aufenthalt habe. Da sie nun diese Beschuldigung gegen die Äbtissin nicht dartun konnte, fügte sie eine neue hinzu: „Was für einen heiligen Wandel," sagte sie, „wird diese Äbtissin haben, da sie Männer zu Verschnittenen macht und nach kaiserlicher Sitte sich von ihnen umgeben läßt?" Als die Äbtissin hierüber befragt wurde, antwortete sie, sie wisse nichts davon. Da aber jene inzwischen den Namen eines verschnittenen Dieners angab, erschien der Oberarzt Reoval und erklärte: „Als jener Diener noch ein Knabe war, hatte er einen Schaden an den Weichen, und man fing an, an seiner Rettung zu verzweifeln. Seine Mutter aber wandte sich an die heilige Radegunde, daß sie sich seiner annehmen möchte. Diese rief mich und befahl mir, ihm, wenn es mir möglich wäre, zu helfen. Darauf schnitt ich ihm, wie ich es einst bei den Ärzten in der Stadt Konstantinopel gesehen hatte, die Hoden aus und gab den Knaben geheilt der betrübten Mutter zurück. Ich weiß aber, daß die Äbtissin hiervon keine Kenntnis hat." Da nun die Äbtissin auch in dieser Sache nicht schuldig befunden werden konnte, fing Chrodechilde an, andre abscheuliche Beschuldigungen vorzubringen. Da aber sowohl ihre Behauptungen als die Antworten darauf in dem Urteil selbst enthalten sind, welches über diese Frauen gesprochen worden ist, will ich lieber den Wortlaut in die Erzählung einschalten.
B. IX. Kap. 39—43. ↩
Die Lade, in welcher die gefeierte Reliquie vom heiligen Kreuze lag. B. IX. Kap. 40. ↩
Die Pröpstin hatte im Kloster die erste Stelle nach der Äbtissin. Justina war die Nichte Gregors. Vgl. die Stammtafel Gregors -um ersten Bande. Justina wird auch bei Fortunatus öfters erwähnt lVIII, 13,3; IX, 7,81). ↩
Die Taufe geschah meist nur zu Ostern oder zu Pfingsten, doch ausnahmsweise auch an andren Festtagen. Vgl. B. VIII. Kap. 9. ↩
Oben Kap. 6 und B. IX. Kap. 19. ↩
Gregor nennt ihn noch einmal in dem leider in gloria ms.ri^rnw. o. 61. ↩
B.VIII. Kap. 22, B. IX. Kap. 41-43. ↩
B. IX. Kap. 41. ↩
Quae sum regina. Vgl. Bd. II. S. 101. Anm. 2. ↩
Etwa 60 Kilometer. ↩
