24. Von der Zerstörung der Stadt Antiochia
Im sechzehnten Jahre der Regierung König Childeberts, das ist im dreißigsten König Gunthramns, kam ein Bischof mit Namen Simon aus den Gegenden jenseits des Meeres nach der Stadt Tours. Der brachte uns Nachrichten von der Zerstörung der Stadt Antiochia und erzählte, er sei aus Armenien als Gefangener nach Persien gebracht worden. Der König von Persien war nämlich in das armenische Reich eingebrochen, hatte alles verheert, die Kirchen in Brand gesteckt und, wie erzählt1 diesen Bischof mit seiner Gemeinde gefangen fortgeschleppt. Damals wollten die Perser auch die Kirche der heiligen Achtundvierzig Märtyrer, deren wir in dem Buch der Wunder2 gedachten und die in jener Gegend den Tod erlitten, anzünden, füllten sie mit Holz, das sie mit Pech und Schweinefett bestrichen hatten, und warfen brennende Fackeln hinein; aber das Feuer ergriff diese brennbaren Stoffe nicht, und da sie so die großen Zeichen Gottes sahen, gingen sie von dannen. Als aber ein andrer Bischof hörte, daß jener Bischof, von dem wir erzählten, in die Gefangenschaft geführt worden sei, sandte er durch seine Leute ein Lösegeld an den König von Persien. Dieser nahm es an und ließ den Bischof aus der Gefangenschaft los. So verließ er also jenes Land und kam nach Gallien, um einige Unterstützung von frommen Seelen zu erhalten. Dieser Bischof erzählte uns, wie gesagt, folgendes:
Es lebte ein Mann in Antiochia, der fromm und mildtätig war; derselbige hatte ein Weib und mehrere Kinder, und es ging ihm in seinem Leben kein Tag vorüber, seitdem er etwas zu eigen S. 139 besaß, an dem er nicht sein Mahl mit einem Armen geteilt hätte. Als er nun eines Tages bis zum Abend in der Stadt herumging und nirgends einen Armen fand, mit dem er sein Mahl hätte genießen können, ging er, als die Nacht schon einbrach, vor das Tor und fand dort einen Mann in einem weißen Kleide und bei ihm zwei andere stehen. Da er jenen erblickte, wurde er von ehrfürchtigem Schauder ergriffen und sprach, wie jener Lot3 von dem die altehrwürdigen Geschichten berichten: „Vielleicht ist mein Herr ein Fremdling; kehret doch ein zum Hause eures Knechts; nehmt das Mahl und bleibet über Nacht, so stehet ihr morgen früh auf und ziehet eure Straße". Da sprach zu ihm der erste von ihnen, der ein Tuch in der Hand hielt: „Du, Mann Gottes,und euer Simeon4 ihr konntet diese Stadt nicht vom Untergang retten". Und er erhob die Hand und schwang das Tuch, das er hielt, über die halbe Stadt hin, und sogleich stürzten alle Häuser und alles, was dort gebauet war, zusammen; da wurden Kinder und Greise, Männer und Weiber verschüttet und alle von beiderlei Geschlecht kamen um. Da jener dies sah, sank er, betäubt durch den Anblick des Mannes und durch das Krachen der stürzenden Häuser, zu Boden und war wie tot. Jener Mann aber erhob abermals seine Hand mit dem Tuche über die andre Hälfte der Stadt, jedoch die beiden andren hielten ihn zurück und beschworen ihn unter fürchterlichen Beteuerungen, daß er der halben Stadt schonen möchte, daß sie nicht auch Zusammenstürze. Da legte sich sein Zorn, er hielt seine Hand zurück und hob jenen Mann auf, der auf die Erde gesunken war, und sprach: „Gehe nach deinem Hause und sei ohne Furcht; denn deine Kinder, dein Weib und dein ganzes Haus ist gerettet, und keiner von ihnen ist umgekommen. Denn dein unablässiges Gebet hat dich gerettet, und deine Almosen, die du täglich den Armen S. 140 gäbest". Und bei diesen Worten entschwanden sie seinen Augen und wurden nicht mehr gesehen. Jener aber ging in die Stadt zurück und fand die eine Hälfte eingestürzt und alle Menschen und Tiere verschüttet. Die meisten wurden tot aus dem Schutt hervorgezogen, nur wenige fand man noch am Leben, doch auch sie waren verstümmelt. Aber auch das erfüllte sich in Wahrheit, was ihm, sozusagen, der Engel des Herrn selbst verkündet hatte. Denn er kam und fand sein Haus ganz unversehrt, und er hatte nur den Verlust von Angehörigen zu beklagen, die in andren Häusern umgekommen waren. So beschützte ihn mit seinem Hause inmitten der Ungerechten die Rechte des Herrn, und er wurde errettet von der Gefahr des Todes, gleichwie einst Lot, dessen wir gedachten, in Sodom.
