6.
Was jetzt kommt, das schäme ich mich zu sagen: Götzenpriester, Schauspieler, Rosselenker 1 und Dirnen dürfen auf Erbschleicherei ausgehen. Nur den Mönchen und Priestern ist dies gesetzlich untersagt worden, und S. 134 zwar von christlichen Fürsten, nicht etwa von den Christenverfolgern. 2 Nicht über das Gesetz an sich führe ich Klage, sondern darüber, daß ein solches Gesetz überhaupt nötig geworden ist. Es ist ein gutes Brenneisen. Aber woher meine Wunde, die ein solches Brenneisen erforderlich macht? Dieses Gesetz ist eine strenge und vorbeugende Maßnahme. Trotzdem reicht es auch nicht aus, um der Habsucht einen Riegel vorzuschieben. Durch Fideikommisse 3 umgeht man das Gesetz. Gleich als ob die kaiserlichen Edikte heiliger wären als die Gebote Christi, hütet man sich, gegen die Gesetze zu verstoßen, übertritt aber die Vorschriften des Evangeliums. Mag es einen Erben geben, aber dann sei es die Mutter der Kinder, d.h. der Herde Christi, nämlich die Kirche, 4 welche die Kinder gebar, erzog und ernährte. Was schieben wir uns zwischen Mutter und Kinder? Nichts ist für einen Bischof rühmlicher, als der Not der Armen zu steuern. Für jeden Priester aber ist es eine Schande, dem Reichtum nachzujagen. Aus einfachem Hause oder aus einer ländlichen Hütte stammend, wo ich meinen knurrenden Magen kaum mit Hirse und Schwarzbrot sättigen konnte, soll ich nicht einmal mehr mit Weizenbrot und Honig zufrieden sein? „Jetzt kenne ich die Arten und Namen der Fische, weiß, an welchem Gestade die Auster aufgelesen wurde. Am Geschmack unterscheide ich die Herkunft der Vögel und freue mich S. 135 an der Seltenheit der Speisen, ja zu meinem eigenen Schaden auch über die Höhe des Preises.“ 5 — Ich habe auch von solchen gehört, die kinderlosen Greisen und alten Frauen entwürdigende Dienste leisten. Sie bringen das Nachtgeschirr herbei, belagern das Bett und fangen mit eigener Hand den Mageneiter und den Auswurf der Lunge auf. Sie stellen sich besorgt beim Eintritt des Arztes, und mit bebenden Lippen fragen sie, ob es besser geht. Nehmen die Kräfte des alten Patienten wieder zu, dann fühlen sie sich selbst in ihren Absichten betrogen, müssen aber nach außen Freude heucheln, während ihre geizige Seele sich innerlich in Qualen windet. Denn sie fürchten, sich umsonst bemüht zu haben, und finden, daß der lebenszähe Greis länger als Methusalem lebt. 6 Was für einen Wert hätte ihre Mühe in den Augen Gottes, wenn es ihnen nicht um irdischen Gewinn zu tun wäre! Wie viele Schweißtropfen kleben doch an einer nichtigen Erbschaft! Die Perle des Evangeliums 7 wäre mit geringerer Mühe zu kaufen gewesen.
Die Wettfahrer bei den öffentlichen Spielen im Zirkus. ↩
Vgl. Cod. Theod. XVI 2, 20 (Mommsen 841). Das Gesetz findet sich in einem Schreiben Valentinians I. an Papst Damasus und wurde am 29. Juli 370 in den Kirchen Roms bekanntgegeben. Vgl. auch Ambrosius ep. 18, 13 ad Valentinianum (M PL XVI 976). ↩
Fideikommiß war nach römischem Recht ein auf Treu und Glauben aufgebautes Vermächtnis, das einen Erben einsetzte, der die Verpflichtung hatte, die Erbschaft einem dritten auszuhändigen. Man wandte diese Form des Vermächtnisses an, wenn man Personen bedenken wollte, die nach dem Gesetze nicht erbberechtigt waren. ↩
Die Kirche selbst konnte Legate annehmen (vgl. Ambrosius, Ep. 18, 15 ad Valent. — M PL XVI 976). ↩
Sarkastisch läßt hier Hieronymus einen aus armen Verhältnissen hervorgegangenen, weltmännisch gewordenen Priester sich selbst lächerlich machen. Vgl. Petronius, Sat 119, 36. ↩
Gen. 5, 27. ↩
Matth. 13, 45 f. ↩
