28. Brief des Papstes Leo an den Bischof Flavianus von Konstantinopel gegen den Unglauben und die Häresie des Eutyches.1
Einleitung
Kaiser Teodosius II. hatte für den Anfang August S. 194 449 ein allgemeines Concil nach Ephesus ausgeschrieben. Er tat es auf die vereinten und wahrscheinlich auch von dem Minister Chrysaphius unterstützten Bitten des Eutyches und des Patriarchen Dioscorus von Alexrandrien, den ein doppeltes Motiv antrieb, den Eutyches gegen seinen Bischof Flavianus zu halten. Einerseits nämlich stand Dioscorus auf demselben dogmatischen Boden wie Eutyches, andererseits lastete auf ihm der Verdacht, dass er die Begünstigung dieser Richtung als Mittel gebrauchen wollte, um den Stuhl von Alexandrien wieder über den von Constantinopel und noch mehr über die anderen morgenländischen Patriarchate zu erheben, was ihm in der Tat auf der sogenannten Räubersynode gelang; hatte ja auch schon ein halbes Jahrhundert früher Eifersucht den unversöhnlichen Hass des Theophilus von Alexandrien gegen den heil. Chrysostomus veranlasst. Dioscorus ging nun so weit, dass er allen canonischen Gesetzen zuwider den Eutyches, obgleich er von seiner competenten Behörde excommuniziert war und ihm, dem Dioscorus, nicht die geringste Jurisdiktion über ihn zustand, wieder in die Kirchengemeinschaft aufnahm und ihn in seinen Würden als Priester und Archimandrit restituiert erklärte, noch ehe die zur Untersuchung der Sache berufene größere Synode von Ephesus eine Entscheidung hierüber gab. Von der Berufung dieser Synode hörten wir schon Flavianus oben in seinem Schreiben an Leo sprechen und seine so ziemlich offen geäusserte Erklärung, dass er von ihr nichts Gutes erhoffe. Das kaiserliche Berufungsschreiben selbst, wie gewöhnlich im Namen der beiden Kaiser Theodosius II. und Valentinianus III. erlassen, ist aus Konstantinopel vom 30. März 449 datiert, S. 195 war gleichlautend an die großen Metropoliten erlassen und hat sich noch in dem an Dioscorus gerichteten Exemplare erhalten. Die Kaiser versichern darin ihren Eifer für die Orthodoxie und erklären, dass, weil Zweifel und Streitigkeiten über den rechten Glauben entstanden, die Abhaltung einer allgemeinen Synode notwendig geworden sei. Dioscorus solle sich deshalb mit zehn der ihm untergebenen Metropoliten und zehn anderen heiligen, durch Wissenschaft und Wandel ausgezeichneten Bischöfen am kommenden 1. August in Ephesus einfinden. Gleiche Einladungen seien auch an die anderen Bischöfe ergangen, und es dürfe, bei großer Verantwortlichkeit, keiner der Gerufenen ausbleiben oder mit der Ankunft zögern. Theodoret von Cyrus dagegen (dieser starke Gegner des Monophysitismus) dürfe nicht erscheinen, wenn nicht die Synode selbst ihn berufe. In einem späteren Edikte ernannte der Kaiser den Dioscorus zum Präsidenten der Synode.
Die Aufforderung, an der Synode von Ephesus teilzunehmen, war auch an Papst Leo ergangen und am 13. Mai 449 in Rom angekommen. Der Papst konnte jedoch dem Wunsche des Kaisers, persönlich zu erscheinen, wegen der unruhigen Zeitläufe nicht entsprechen und bestellte deshalb drei Legaten, den Bischof Julius vou Puzzuoli in Campanien, den Priester Renatus (Cardinal von St. Clemens) und den Diakon Hilarus, um seine StelIe bei der Synode zu vertreten und seine Briefe an den Erzbischof Flavianus, an den Kaiser, an die Synode, an Pulcheria, die Schwester und Mitregentin des Kaisers, an die Archimandriten von Konstantinopel, an den Bischof Julianus von Cos zu überbringen. Unter allen diesen, sämtlich vom 13. Juni 449 datierten Briefen ist der erste an Flavianus gerichtete der weitaus wichtigste; er enthält jene ausführliche dogmatische Abhandlung über die Lehre von der Person Christi, welche Leo dem Bischofe von Constantinopel schon früher (im 27. Briefe) in Aussicht gestelIt und die nachmals von der vierten allgemeinen Synode approbiert S. 196 symbolisches Ansehen erhalten hat. Gennadius sagte zwar (c. 84. de viris illustr.), dass von manchen Prosper von Aquitanien für den Concipienten dieses Briefes gehalten werde; er selbst aber vindicirt die Autorschaft dem Papste Leo, was aus der Ähnlichkeit des Stiles dieses Schreibens mit dem der übrigen Briefe und Schriften Leo’s und der Unähnlichkeit mit dem Stile Prospers nach der Bemerkung der Ballerini (I. p. 795 n. 4 und 5)) ganz zweifellos ist. Diesem Briefe fügte Leo später (nach der Räubersynode) noch eine Anzahl patristischer Zeugnisse, lateinische und griechische, zur Bestätigung seiner Lehre bei und schickte diese durch seine Legaten, die Bischöfe Abundius und Asterius und die Priester Basilius und Senator, mit einem Schreiben vom 16. Juli 450 an den Kaiser Theodosius nach Konstantinopel. Weil jedoch diese patristischen Zeugnisse einerseits nicht dem ersten Exemplar unseres Schreibens angehängt waren, andererseits in der Reihe jener patristischen Zeugnisse Belegstellen enthalten sind, welche der Papst Leo seinem (165.) Schreiben an den Kaiser Leo vom 17. August 458 beigab, werden sie nach dem Vorgange der Ballerini erst nach diesem letzteren Briefe aufgeführt.2 Endlich ist zu erwähnen, dass der ursprüngliche Text des folgenden Schreibens lateinisch ist; die griechische Übersetzung wurde wahrscheinlich gleich nach seiner Ankunft in Konstantinopel gemacht und auf der Synode von Chalcedon verlesen.
Inhalt3
*1. Dass Unkenntnis der heiligen Schrift den Eutyches zu einem Häretiker gemacht.
2. Gegen diejenigen, welche das Geheimnis S. 197 des Werkes des Herrn an zwei Söhne zu zerreissen4 suchen.
3. Gegen die, welche zu behaupten wagen, die Gottheit des eingeborenen Sohnes Gottes sei leidensfähig gewesen.
4. Gegen jene, welche bei den zwei Naturen Christi eine Ausgleichung5 oder Vermischung annehmen.
5. Gegen diejenigen, welche so wahnsinnig sind, zu behaupten, es existiere eine himmlische oder irgend einer anderen Substanz entsprungene Knechtsgestalt, welche er aus uns angenomnen hat.
6. Gegen diejenigen, welche wähnen, es seien zwar vor der Vereinigung zwei Naturen des Herrn gewesen, nach der Vereinigung aber nur eine sich einbilden.*
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Baller. I. p. 801, Mansi V. p. 1363, bei Quesnell Num. 24 Cacciari II. p. 114, Num. 25, Hinschius p. 597; Num. 26 ist aber noch ein zweites Mal als Num. 5 aufgenommen, wie Hinschius meint (p. C. n. 1.) von Pseudoisidor selbst, entweder aus Vergessenheit oder in Rücksicht auf das große Ansehen des Briefes; Hefele II. S. 353 ff. (nur im lat. Original und zum größten Teil ins Deutsche übersetzt), deutsch bei Fuchs, Bibliothek d. Kirchenversamml. Bd. IV. S. 312. ↩
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S. über diese patristischen Zeugnisse *Baller.* I. p. 798, 1351, 1383 u. II.p. 14.25. ↩
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Nach der spanischen Sammlung. ↩
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In duos filios dispensationis dominicae mysterium scindere. ↩
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In duas naturas Christi temperamentum (eig. das richtige Verhältnis gemischter Dinge) vel confusionem argumentantur. ↩