29. Neuntes Buch. Beweisgründe gegen die Gottheit Christi.
Es ist aber zu wenig, in den Dingen, die zum Glauben ganz besonders notwendig sind, nur dasjenige zur Rechtfertigung des Glaubens beizubringen, was ihm eigentümlich ist. Denn die unerklärten Behauptungen unserer Darlegung bestechen (und täuschen dadurch) sehr häufig unsere Auffassung, es sei denn, daß auch die unsinnigen Aufstellungen der gegnerischen Behauptungen aufgewiesen werden und sie so unseren Glauben bekräftigen, gerade dadurch, daß sie als lächerlich dargetan werden. Darum zielt das ganze neunte Buch auf die Widerlegung derjenigen Gedanken ab, die zur Erschütterung der (Lehre von der) Geburt des eingeborenen Gottes von den Ungläubigen als zu Recht bestehend fälschlich geltend gemacht werden. Sie, der Anordnung des von Ewigkeit her verborgenen Geheimnisses uneingedenk, wollen es nicht beherzigen, daß nach dem Glauben, der den Evangelien gemäß ist, Gottheit und Menschheit zugleich gelehrt werde. Denn sie leugnen, daß unser Herr Jesus Christus Gott sei, daß er Gott ähnlich und als Gott-Sohn gleich sei Gott dem Vater, aus Gott geboren; daß er gemäß der Eigentümlichkeit der Geburt in der Wahrheit des Geistes (= Gottheit) (selbständiges) Dasein habe. Dabei pflegen sie sich auf die Aussprüche dieser Herrnworte zu berufen: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott”;1 denn indem er es ausdrücklich ablehne, gut genannt zu werden, und es bezeuge, nur der eine Gott sei gut, gestehe und lehre er, außerhalb der Gutheit Gottes zu sein, der (allein) gut sei, und nicht in der Wahrheit Gottes zu sein, der nur einer sei. Mit diesem Wort verbinden sie auch dies zur Bekräftigung ihres Unglaubens: „Das aber ist S. 93 das ewige Leben, daß sie dich, den alleinigen wahren Gott, erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus”;2 daß also sein Bekenntnis, der Vater sei allein wahrer Gott, bedeute, er sei nicht wahrer, ja überhaupt nicht Gott, da ja die Ausschließlichkeit des alleinigen wahren Gottes nicht über den Urheber der bezeichneten Eigentümlichkeit hinausgehen dürfe. Man müsse aber doch einsehen, daß dies nicht in unbestimmtem Sinne von ihm gesagt worden sei; denn derselbe habe doch gesagt: „Nicht kann der Sohn von sich aus etwas tun, es sei denn, daß er es den Vater habe tun sehen;”3 daraus solle die Schwachheit seines Wesens erkennbar sein, da er eine Handlung nicht anders als auf ein Vorbild hin vollziehen könne; denn in gar keiner Weise dürfe man mit Allmacht in Vergleich stellen, was der notwendigen Beziehung auf eine fremde Handlung unterworfen sei; und jede vernünftige Einsicht sehe doch klar den völligen Unterschied zwischen dem, etwas von sich aus tun zu können und es nicht zu können. Soweit aber gehe der Unterschied, daß er von seinem Vatergott solches eingestanden habe: „Der Vater ist größer als ich”,4 und es verschwinde damit in der nachdrücklichen Verfechtung jede (Absicht zu) gegnerischer Verleumdung; denn es gehöre gottlose Überheblichkeit dazu, einem die Ehre und das Wesen eines Gottes zuzusprechen, der es ablehne. In jeder Hinsicht aber sei er von dem eigentlichen Wesen eines wahren Gottes so sehr entfernt, daß er sogar dies bezeugt habe: „Von jenem Tage aber und jener Stunde weiß niemand, weder die Engel im Himmel noch der Sohn, als allein der Vater;”5 damit sei der Sohn als Nichtwissender völlig fremd von (dem Vater als) dem Wissenden, da er das nicht wisse, was der Vater allein weiß; da er wesensgemäß der Unwissenheit verstrickt sei, so habe er also nicht diejenige Macht und Gewalt, die vom Beherrscht-werden durch die Unwissenheit frei sei.
