31. Zehntes Buch. Einige Worte der Schrift begünstigen scheinbar die Häretiker.
S. 95 Des zehnten Buches Sinn aber ist der genau gleiche wie der des Glaubens. Denn weil sie aus der Art und dem Bekenntnis des Leidens (Christi) durch die Deutung törichter Einsicht einiges willkürlich herausgerafft haben, um das göttliche Wesen und Vermögen im Herrn Jesus Christus zu schmähen, so mußte gerade von diesem gezeigt werden, einerseits, daß es von diesen ganz frevelhaft gedeutet, anderseits, daß es von dem Herrn zur Bezeugung seiner inwohnenden wahren und vollkommenen Erhabenheit ausdrücklich hervorgehoben worden sei. Denn um unter gläubigem Schein falschgläubig zu sein, berufen sie sich prahlerisch auf diese seine Worte: „Traurig ist meine Seele bis zum Tode”,1 so daß also derjenige weit von der Glückseligkeit und Leidensunfähigkeit eines Gottes sei, in dessen Seele die übergewaltige Furcht vor drohender Traurigkeit eingefallen sei; er sei so sehr vor dem Zwang des Leidens entsetzt gewesen, (daß er) bis zu dieser Bitte hin (getrieben wurde): „Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.”2 Ganz ohne Zweifel scheine er vor dem Leiden sich zu fürchten, das nicht erleiden zu müssen, er im Gebet flehte; denn die Angst vor dem Leid sei die Ursache der Bitte. Ferner habe die Gewalt des Leidens seine Schwachheit soweit gepackt, daß er in der Kreuzigungsstunde sprach: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?”3 Er habe sogar, bis hin zur Klage über die trostlose Verlassenheit, betroffen durch die Bitterkeit des Leidens, entblößt von der Hilfe des Vaters, mit diesem Wort seinen Geist aufgegeben: „Vater, ich befehle in deine Hände meinen Geist;”4 er habe also, verwirrt durch die Angst vor dem Hingeben seines Geistes, diesen dem Schutze des himmlischen Vaters empfohlen; denn die Verzweiflung S. 96 an seiner Sicherheit habe zur Notwendigkeit des Anbefehlens hingetrieben.
