2. Die meisten Menschen urteilen und erleben, daß sie zu anderem geboren seien.
[Forts. v. S. 66 ] Doch ich und, wie mir scheint, auch die meisten Menschen haben aus keinem anderen Grunde diese tatenlose und tierische Lebensweise von sich abgewiesen und bei anderen getadelt, als daß sie, von der Naturanlage selbst veranlaßt, es als des Menschen unwürdig gehalten haben, sich als nur für den Dienst des Leibes und der Tatenlosigkeit geboren zu halten, und in dieses Leben nicht wegen einiger Bemühung um eine hervorragende Tat oder einen guten Beruf eingeführt zu sein, oder diesem Leben nicht an sich schon eine Fortführung zur Ewigkeit gewährt zu wissen. [Dann würde sicherlich kein Zweifel sein, es nicht als ein Geschenk Gottes zu betrachten, da es, von so großen Bedrängnissen betroffen und so vielen Belästigungen beengt, sich selbst und in sich selbst sich verzehren würde, angefangen von der Unwissenheit der Kindheit bis hin zu dem leeren Wortemachen des Greisentums.] Eben deswegen glaubten sie, der Betätigung der Tugenden der Geduld und der Selbstbeherrschung und der Friedfertigkeit sich hingeben zu sollen, worin sie ein gutes Handeln und Erkennen, also letztlich eine gute Lebenserfüllung gegeben glaubten; daß das Leben aber nicht nur des Sterbens wegen vom unsterblichen Gott gegeben sei, da es offensichtlich nicht Zeichen eines guten Gebers sei, des Lebens froh-bewußte Erfahrung nur zur traurig-trostlosen Furcht vor dem Sterben gegeben zu haben.
