7. Von dem Streben nach der Ruhe des Herzens.
Alles also müssen wir wegen dieser (Reinheit) thun und anstreben; für diese müssen wir die Einsamkeit suchen; für sie müssen wir, wie wir gesehen haben, die Fasten, die Nachtwachen, die Arbeiten, Blöße des Körpers, die Lesungen und übrigen Tugendübungen auf uns nehmen, damit wir nemlich durch dieselben unser Herz von allen gefährlichen Leidenschaften frei machen und bewahren können und auf diesen Stufen zu der Vollkommenheit der Liebe aufstreben und aufsteigen. Aber wir wollen nicht wegen dieser Übungen, wenn uns vielleicht eine erlaubte und nothwendige Beschäftigung dazwischen kommt, so daß wir unsere gewohnte Eintheilung nicht einhalten können, in Traurigkeit fallen oder in Unwillen und Zorn, zu deren Bekämpfung wir ja gerade das thun wollten, was unterlassen wurde. Denn der Gewinn des Fastens ist nicht so groß als der Aufschub des Zornes, noch wird aus der Lesung eine so große Frucht geschöpft, als wir durch Verachtung des Bruders Schaden leiden. Was also nur um des Andern willen da ist, nemlich die Fasten, Nachtwachen, Zurückgezogenheit, Betrachtung der Schriften, müssen wir wegen des Hauptzieles, d. i. der Reinheit des Herzens, welche die Liebe ist, üben und nicht wegen jener Dinge diese Haupttugend trüben; wenn diese in uns unversehrt und unverletzt dauert, so wird es nicht schaden, wenn Etwas von dem, was nur aus ihr folgt, nach Bedürfniß unterlassen wird. Ebenso wird es uns Nichts nützen, Alles gethan zu haben, wenn diese genannte Hauptsache weg ist, für deren Erlangung wir Alles thun müssen. Denn nicht dazu sucht sich Einer die Geräthe einer Kunst zu verschaffen und herzurichten, damit er sie ungebraucht besitze und so die Frucht des Vortheils, der S. a296 aus ihnen gehofft wird, in den bloßen Besitz der Instrumente lege, sondern damit er mit ihrer Hilfe die Kunde und den Endzweck jenes Faches, dessen Hilfsmittel sie sind, nachhaltig erlerne. So sind also Fasten, Nachtwachen, Betrachtung der Schrift, Blöße und Beraubung alles Vermögens nicht die Vollkommenheit, sondern die Mittel zur Vollkommenheit, weil nicht in ihnen der Endzweck jenes Lehrgegenstandes liegt, sondern weil man durch sie zum Endziel kommt. Vergebens also wird diese Übungen vornehmen, wer immer mit ihnen als dem letzten Gute zufrieden die Absicht seines Herzens gerade hier festgesetzt hat und nicht all’ sein Tugendstreben ausgedehnt hat auf die Erfassung des Zieles, um deßwillen diese Dinge zu begehren sind; er hat zwar die Instrumente dieser Wissenschaft, aber er kennt das Ziel nicht, in welchem alle Frucht enthalten ist. Was also immer diese Reinheit und Ruhe unseres Geistes stören könnte, ist als schädlich zu meiden, wenn es auch nützlich und nothwendig scheint. Nach dieser Norm nun können wir alle Reihen der Irrthümer und Ausschweifungen vermeiden und das ersehnte Ziel in der Linie der bestimmten Richtung erreichen.
