30. Wie das Heer nach Septimanien zog
König Gunthramn ließ das Heer gegen Spanien aufbieten und sprach also: „Zuerst unterwerfet das Land Septimanien unserer Herrschaft; es liegt Gallien nahe, und unwürdig ist es, daß die Grenze der abscheulichen Goten sich bis in das gallische Land erstrecke." Darauf trat das ganze Heer seines Reichs zusammen und zog dorthin. Die Völker aber, welche jenseits der Saone, Rhone und Seine wohnen, stießen zu den Burgundern und richteten längs der Ufer der Saone und Rhone an den Feldfrüchten und Herden großen Schaden an. Sie mordeten, brannten und heerten in des Königs eigenem Lande, beraubten sogar die Kirchen und töteten Geistliche samt Bischöfen, wie auch viel anderes Volk an den geweihten Altären; so rückten sie bis zur Stadt Mmes vor. Gleiche Greuel vollführten auch die von Bourges, Samtes, P6rigueux, Angoulome und das Volk aus den übrigen Städten, die damals unter der Herrschaft Gunthramns standen, und drangen bis zur Stadt Carcassonne vor. Ms sie zu dieser Stadt kamen, öffneten ihnen die Einwohner freiwillig die Tore, und sie zogen ein, ohne Widerstand zu finden. Darauf brach aber irgendein Streit mit denen von Carcassonne aus, und sie verließen wiederum die Stadt. Damals kam Terenciolus, der früher Graf der Stadt Limoges gewesen war, durch einen S. 289 Steinwurf von der Mauer um. Die Feinde hieben ihm, um Rache an ihm zu nehmen, das Haupt ab und brachten es in die Stadt. Dies erfüllte das ganze Heer mit Schrecken. Sie beschlossen daher zur Heimat zurückzukehren und ließen alles zurück, was sie auf dem Wege genommen oder mit sich von Hause gebracht hatten. Aber die Goten überfielen noch viele von ihnen aus dem Hinterhalt, plünderten sie aus und erschlugen sie. Darauf fielen sie in die Hände derer von Toulouse, denen sie auf dem Hinmarsch viel Übles zugefügt hatten; ausgeplündert und hart mitgenommen, konnten sie nur mit Mühe in die Heimat gelangen.
Die aber, die Nimes angegriffen hatten, verwüsteten die ganze Umgegend, steckten die Häuser in Brand, zündeten die Saaten an, hieben die Ölpflanzungen um und zerstörten die Weinberge. Dennoch konnten sie den Belagerten nichts anhaben und zogen deshalb zu ändern Städten weiter. Diese waren aber sehr fest und mit Speise und ändern Lebensbedürfnissen vollauf versehen. Daher verheerten sie zwar die Feldmarken dieser Städte, konnten aber in diese selbst nicht eindringen. Damals belagerte auch Herzog Nicetius1, der mit den Arvernern zu diesem Zuge aufgebrochen war, mit den ändern die erwähnten Städte. Da er aber hier wenig ausrichten konnte, zog er ab, kam zu einer festen Burg in jener Gegend und belagerte sie. Die Bewohner öffneten, als man ihnen Sicherheit gelobt hatte, freiwillig die Tore und nahmen die Leute des Nicetius leichtgläubig wie gute Freunde auf. Aber sobald diese eingezogen waren, achteten sie ihres Ver-sprechens nicht, plünderten alle Vorräte, die sie fanden, und machten die Einwohner zu Gefangenen. Darauf entschlossen sie sich und kehrten in die Heimat zurück. Und so viel Greuel, Mordtaten, Raub und Plünderung verübten sie im eigenen S. 290 Lande, daß alles vollständig zu berichten viel zu weit führen würde. Da jedoch, wie wir schon oben erzählt haben, die Saaten in der Provence von ihnen selbst mit Feuer verbrannt worden waren, kamen nun viele durch Mangel und Hunger um und blieben tot auf dem Wege liegen. Manche ertranken auch in den Flüssen, viele wurden bei Zwistigkeiten erschlagen. Mehr als fünftausend sollen auf diese unglückliche Weise den Tod gefunden Haben. Dennoch warnte ihr Ende nicht diejenigen, die am Leben blieben. Damals wurden auch die Kirchen im Gebiet von Arvern, die nahe der Heeresstraße2 lagen, ihrer heiligen Geräte beraubt, und es war nicht eher ein Ende der Greuel, als bis sie alle in ihre Heimat gelangt waren. Als sie so zurückkehrten, wurde das Herz König Gunthramns mit bitterem Zorn erfüllt, und die Führer des Heeres flüchteten sich zu der Kirche des heiligen Märtyrers Symphorianus3. Da nun der König zum Fest des Heiligen dorthin kam, ließ er sie unter der Bedingung wieder vor, daß sie ihm in Zukunft noch Rechenschaft geben sollten. Nach vier Tagen versammelte er seine Bischöfe und vornehme Männer aus dem Laienstande und begann vor ihnen die Heerführer zu verhandeln. „Wie können wir", sagte er, „in unfern Tagen den Sieg gewinnen, wenn wir nicht bewahren, was unsere Väter beobachtet haben? Sie bauten Kirchen, setzten alle ihre Hoffnung auf Gott, verehrten die Märtyrer und hielten die Priester in Ehren; so gewannen sie den Sieg, und mit Schwert und Schild unterwarfen sie sich oftmals unter Gottes Beistand die Feinde, die ihnen widerstanden. Wir aber fürchten nicht nur Gott nicht, sondern verheeren auch seine Tempel, töten seine Diener, plündern und zerstören sogar, um unfern Spott damit zu treiben, die Reliquien der Heiligen. Wo so gesündigt S. 291 wird, kann der Sieg nicht gewonnen werden. Deshalb sind unsere Hände schwach, das Schwert ist stumpf und der Schild deckt und schützt uns nicht mehr, wie er einst tat. Fällt nun dies alles mir zur Last, so möge Gott seine Strafe auf mein Haupt senden. Wenn aber ihr die Gebote eures Königs nicht achtet und das zu vollführen säumet, was ich euch gebiete, so soll die Axt auf euer Haupt fallen. Denn es wird ein warnendes Beispiel für das ganze Heer sein, wenn der Vornehmen einer den Tod erleidet4 Wir müssen an das denken, was die Not erfordert. Wer also das Rechte tun will, der tue es; wer es außer acht läßt, auf dessen Haupt komme die Strafe des Gesetzes. Denn besser ist es, daß wenige Un gehorsame verderben, als daß die Rache Gottes über dies ganze unschuldige Land komme." So sprach der König und es antworteten die Heerführer: „Deine Güte und Hochherzigkeit, bester König, kann nicht leicht von jemand genugsam beschrieben werden, nicht leicht, wie groß deine Gottesfurcht, deine Liebe für die Kirchen, deine Ehrfurcht vor den Bischöfen, deine Milde gegen die Armen und deine Freigebigkeit gegen die Bedürftigen ist. Aber wenn wir auch alles, was du sagst, ruhmreicher Herr, für wahr und richtig halten, sprich, was können wir tun, da ja das ganze Volk verderbt ist und jeder seine Lust daran hat zu tun, was unrecht ist? Niemand scheut den König, niemand achtet den Herzog, niemand den Grafen. Und wenn dies vielleicht einem von uns mißfällt und er es um deines Wohls und langen Lebens willen zu bessern sucht, sogleich entsteht Aufruhr, sogleich Empörung im Volke, und so weit vergißt sich jeder in wütendem Hader gegen seinen Oberen, daß dieser kaum mit dem Leben davonzukommen hoffen darf, wenn er nicht endlich doch zu schweigen vermag." Hierauf antwortete der König: „Wer das Rechte tut, lebe; S. 292 wer aber gegen das Gesetz und unfern Befehl handelt, den treffe der Tod, auf daß diese Schmach nicht ferner über uns komme."
Als er noch so sprach, kam ein Bote und meldete:„Rekkared, Leuvigilds Sohn, ist von Spanien aufgebrochen, hat die Feste Cabaret(1) genommen, den größten Teil des Bezirks von Toulouse verwüstet und die Einwohner in die Gefangenschaft geführt. Dann hat er die Burg Ugernum(2) im Gebiet von Arles überfallen, die Menschen mit allen ihren Habseligkeiten fortgeschleppt und endlich sich in die Stadt Nimes geworfen und dort eingeschlossen(3)." Als der König dies vernahm, ernannte er Leudegisil(4) an Stelle des Calumniosus, mit dem Beinamen Agila, zum Herzog, übergab ihm die ganze Provence von Arles(5) und ließ viertausend Mann als Wachmannschaft an den Grenzen aufstellen. Auch machte sich Nicetius, der Herzog der Arverner(6), mit Wachmannschaften auf den Weg und zog an die Grenze des Landes.
