Nr. 28
Welcher nur einigermaßen in die Anfänge der Vernunft eingetauchte Mensch mag die Beharrlichkeit der Gottheit mit so abscheulichen Sitten besudeln und beflecken? mag den Göttern solche Naturen beilegen; welche oftmals in wilden Thieren die menschliche Milde gesänftigt und geschwächt hat? Woher, sage ich, kommt die Sage, die Götter seyen jedes verwirrenden Affektes enthoben? sie seyen milde, friedlich, sanftmüthig; sie besäßen als vereinte Tugendkraft die höchste Vollkommenheit und Weisheit? oder aber warum flehen wir zu ihnen, sie möchten Widerwärtiges und Feindseliges von uns abhalten, wenn aller der Uebel, welche uns täglich anfallen, wir sie selbst als die Urheber erkennen? So sehr ihr uns auch Unfromme, Irreligiöse oder Gottesleugner nennen mögt, nie werdet ihr uns glauben machen, es gäbe Götter der Liebe, des Krieges, die Zwietracht anzetteln, die mit Wuthfackeln die Seelen peinigen: denn entweder sind sie wahrhaftige Götter, und dann thun sie, was ihr erwähnt, nicht; oder aber thun sie, was ihr aussagt, so sind sie ohne Zweifel keine Götter.
