11. Ode
[Forts. v. S. 40 ] Mein Herz ist aufgeschnitten und seine Blüte sichtbar geworden, und Güte ist in ihm aufgesproßt, und es hat Früchte getragen für den Herrn. 2 Denn der Höchste hat mich durchschnitten mit seinem heiligen Geiste und hat meine Nieren aufgedeckt zu sich hin und hat mich erfüllt mit seiner Liebe. 3 Und sein Schneiden ist mir zur Erlösung geworden, und ich bin geeilt auf dem Wege in seinem Frieden, auf dem Wege der Wahrheit. 4 Vom Anfang bis zum Ende habe ich seine Erkenntnis empfangen 5 und habe fest auf dem Felsen der Wahrheit gestanden, wo er mich hingestellt hat, 6 und redendes Wasser kam an meine Lippen aus dem Quell des Herrn, ohne Mißgunst, 7 und ich trank und ward trunken von dem lebendigen unsterblichen Wasser, 8 und meine Trunkenheit war (mir) nicht unbewußt, sondern ich ließ die Nichtigkeit und wandte mich zu dem Höchsten, meinem Gott. 9 Und ich wurde reich durch seine Gabe und ließ die Torheit, die auf die Erde hingeworfen ist, und ich S. 41 zog sie aus und warf sie von mir. 10 Und der Herr erneuerte mich in seinem Kleide und nahm mich in Besitz in seinem Lichte und gab mir von oben unvergängliche Ruhe, 11 und ich wurde wie das Land des Sprossens und Jauchzens in seinen Früchten. 12 Und der Herr, wie die Sonne über dem Antlitz der Erde, 13 erleuchtete meine Augen, und mein Angesicht empfing den Tau, und mein Atem erfreute sich am angenehmen Geruch des Herrn. 14 Und er hat mich in sein Paradies gebracht, wo der Reichtum der Lust des Herrn ist. 15 Und ich betete den Herrn an um seiner Herrlichkeit willen, und sagte: Selig, o Herr, sind diejenigen, die in deinem Lande gepflanzt sind, und diejenigen, die einen Platz in deinem Paradiese haben, 16 und sie wachsen nach dem Wachstum1 deiner Bäume und sie ziehen sich aus der Finsternis dem Lichte zu. 17 Siehe, alle sind deine vortrefflichen Arbeiter, die gute Werke tun und sich von der Bosheit abwenden zu deiner Freundlichkeit; 18 und sie haben die Bitterkeit der Bäume von sich abgewendet, nachdem sie in dein Land gepflanzt worden sind. 19 Und alles ist geworden wie ein Überrest von dir und ein ewiges Gedächtnis deiner gläubigen Werke. 20 Denn es ist viel Platz in deinem Paradiese, und es ist nichts Unnützes darin. 21 Ich fülle2 alles mit Früchten. S. 42 Preis sei dir, o Gott; die Lust des Paradieses auf ewig. Hallelujah.
(Zu Ode 11.)
[Forts. v. S. 40 ] 1 f. An allen drei Stellen in v. 1―3 kann man auch „beschneiden“ übersetzen. Daß an die Beschneidung gedacht ist, aber in geistlichem Sinn, ist möglich. Die Ode ist zweifellos jüdisch; die Beschneidung des Herzens ist ja ein geläufiger Gedanke von den Propheten her gewesen. 2. „meine Nieren“] s. Ps. 7, 10 und sonst. Apok. Joh. 2, 23. 6 f. „redendes Wasser“] Harris vergleicht Ignat., Rom. 7: ὕδωρ ζῶν καὶ λαλοῦν. Man erzählte von Wassern, die prophetische Gabe verleihen. Aber ist daran zu denken? — „ohne Mißgunst“] s. 3, 7; 7, 3; 15, 6; 17, 12; 23, 4 (ἀφθόνως) —. „Trunken“] Mysterien? 9. „hingeworfen ist“] Harris übersetzt „diffused“; aber das heißt das Wort nicht. 10. „in seinem Kleide“] = in seinem Lichte, s. Ps. 104, 2. 13. Der Wohlgeruch des Herrn ist die Unsterblichkeit s. die christlichen Martyrien, z. B. Mart. Polyc. 15. 14 ff. Vgl. die Schilderung des Paradieses in der Apoc. Petri und sonst. 16. S. Ps. 1, 3. 18. Den guten Bäumen des Paradieses stehen die bittren Bäume gegenüber. Dieses Bild ist die Nachwirkung einer uralten, mit den Paradieses-Legenden verbundenen Vorstellung. Bei den bittren Bäumen speziell an die Ehe zu denken (s. das Ägypterevang.), ist nicht angezeigt. 19. „Wie ein Überrest von dir“] d. h. indem sie an Gottes Wesen Anteil bekommen, erscheint dieses in ihnen und sie selbst sind wie Teile Gottes. — „gläubige Werke“] = zuverlässige Werke. 21. Wenn zu lesen ist: „Ich fülle alles mit Früchten“, so schiebt der Dichter — was die alten Propheten auch tun — einen Gottesspruch unvermittelt ein.
