Zweiter Artikel. Die Zeugung hätte im Urzustande vermittelst des geschlechtlichen Zusammenlebens stattgefunden.
a) Dementgegen sagt: I. Damascenus (2. orth. fide 11.): „Der erste Mensch war im Paradiese wie ein Engel.“ Von den Engeln aber sagt der Heiland (Matth. 22.): „Dann werden die Menschen weder heiraten noch geheiratet werden; sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel.“ II. Die Menschen waren geschaffen in vollkommenem Alter. Wenn also vor der Sünde die Erzeugung vermittelst des Zusammenlebens stattgefunden hätte; so würden sie auch im Paradiese sich fleischlich verbunden haben, was nach der Schrift zu urteilen falsch ist. III. In der fleischlichen Verbindung wird der Mensch im höchsten Grade den Tieren ähnlich wegen der Heftigkeit des Ergötzens. Und demnach wird die Enthaltung von solchem Ergötzen als Tugend gelobt. Mit den Tieren aber wird der Mensch verglichen nach der Sünde: „Da der Mensch in Ehren war, hat er es nicht verstanden; den unvernünftigen Tieren ist er ähnlich geworden und wie sie hat er es getrieben.“ Also vor der Sünde war keine fleischliche Verbindung zwischen Mann und Weib. IV. Kein Verderbnis war im Stande der Unschuld. Durch das Zusammenleben aber wird die Jungfräulichkeit verletzt. Auf der anderen Seite hat Gott (Gen. 1. und 2.) vor der Sünde Mann und Weib geschaffen. Es ist aber in den Werken Gottes nichts überflüssig. Da also die Verschiedenheit der Geschlechter wegen des Zusammenlebens besteht, so hätte Letzteres stattgefunden auch ohne die Sünde. Gen. 2. heißt es zudem, das Weib sei geschaffen worden zum Beistande des Mannes. Dies gilt aber nur für die Zeugung, welche sich vermittelst des Zusammenlebens vollzieht. Denn für jedes andere Werk hätte ein Mann besser geholfen.
b) Ich antworte; manche unter den älteren Lehrern der Kirche haben das Zusammenleben ausgeschlossen vom Urzustande. Denn sie beachteten nur die schmutzige Seite davon. Deshalb meinte Gregor von Nyssa (de homine c. 17.), daß das Menschengeschlecht ähnlich wie die Engel durch göttlichen Einfluß vervielfältigt worden wäre ohne das Zusammenleben von Mann und Weib; und daß sonach Gott Mann und Weib nur deshalb geschaffen, weil er die Art und Weise der Zeugung, wie selbe nach der Sünde sein würde, vorausgesehen habe. Das ist aber nicht gemäß der Vernunft gesagt. Denn offenbar ist von dem, was der Natur des Menschen zukommt, nichts abgezogen und nichts hinzugefügt worden nach der Sünde. Natürlich aber ist es dem Menschen gemäß seinem körperlich sinnlichen Teile, den er auch vor der Sünde hatte, zu zeugen vermittelst des Zusammenlebens wie dies auch die vollendeteren Tiere thun. Und dies bezeugt die natürliche Konstruktion des Körpers, deren der Mensch sich zu bedienen hatte vor wie nach der Sünde. Zwei Momente sind also zu unterscheiden im Zusammenleben: Das eine gehört der Natur an, nämlich die Verbindung von Mann und Frau zum Zwecke der Zeugung. Denn für jede Zeugung ist eine wirkende und eine empfangende Kraft erfordert. Da also überall, wo ein Unterschied in den Geschlechtern ist, die wirkende Kraft dem Manne innewohnt, die empfangende dem Weibe; so fordert die natürliche Ordnung es, daß zum Zwecke der Zeugung Mann und Frau sich verbinden. Das andere Moment ist die Häßlichkeit und der Schmutz der zügellosen Begierlichkeit. Diese nun wäre im Stande der Unschuld nicht gewesen, sondern die niedrigeren Kräfte hätten durchaus dem Zwecke der Vernunft sich untergeordnet. Deshalb sagt Augustin (14. de Civ. Dei 2.): „Fern sei es zu meinen, die Erzeugung der Nachkommenschaft hätte nicht geschehen können ohne die Krankheit der Begierlichkeit; vielmehr wären die betreffenden Glieder auf den Wink des vernünftigen Willens hin in Bewegung gewesen, wie auch die übrigen Glieder, ohne verzehrende Glut und ohne den täuschenden und leidenschaftlichen Trieb der Einbildungskraft, in vollständiger Ruhe der Seele und des Leibes.“
c) I. Im Paradiese war der Mensch wie der Engel mit Rücksicht auf die geistige, klar und ohne Hindernis denkende Vernunft. Nach der Auferstehung wird er sein wie ein Engcl in Leib und Seele. II. Nach Augustin (9. sup. Ge. ad litt. 4.) lebten die Voreltern im Paradiese nicht fleischlich zusammen; weil, nachdem das Weib geformt worden, kurz darauf die Sünde dazwischen kam; — oder weil sie die Bestimmung Gottes abwarteten für die bestimmte Zeit der Verbindung. III. Die Tiere ermangeln der Vernunft. Deshalb wird also das fleischliche Zusammenleben von Mann und Frau ein tierisches, weil das damit verbundene Ergötzen und die Glut der Begierlichkeit durch die Vernunft nicht geregelt werden kann. Im Stande der Unschuld aber wäre nichts gewesen, was nicht von der Vernunft seine regelnde Richtschnur erhalten hätte. Dabei wäre das sinnliche Ergötzen kein geringeres gewesen, wie manche meinen. Denn um so größer vielmehr würde das sinnliche Ergötzen gewesen sein, je reiner die Natur war und je zarter der sinnliche Teil desKörpers. Das sinnliche Begehren nur hätte sich nicht in ungeregelter Weise auf das Ergötzen gerichtet, dessen Richtschnur die Vernunft gewesenwäre; da dieser letzteren es nicht zugehört, daß das sinnliche Ergötzen ein minderes, sondern daß die Begehrkraft nicht in ungeordneter Weise demselben anhängt. So hat ja auch der Mäßige kein geringeres Ergötzen an der Speise wie der Schlemmer, ja in vielfacher Weise hat er ein größeres; sein Begehren aber ruht minder auf solch Ergötzen und hängt selbem nicht über das Maß der Vernunft an. Und das besagen die Worte Augustins, welche die Größe des Ergötzens vom Stande der Unschuld nicht ausschließen; wohl aber die unmäßige Glut und Unruhe der Leidenschaft. Sonach wäre jene Enthaltsamkeit, welche jetzt als Tugend gelobt wird, im Urzustande nicht lobenswert gewesen. Denn sie wird jetzt gelobt, nicht weil die Fruchtbarkeit mangelt, sondern wegen der Entfernung der ungeordneten Begierlichkeit; welch letztere dann nicht gewesen wäre. IV. Darauf erwidert Augustin (14. de Civ. Dei 26.): „In jenem Stande der Unschuld würde nichts verletzt worden sein vom jungfräulichen Zustande des Weibes. Denn so konnte der Mann in den Schoß der Gattin den männlichen Samen versenken, ohne daß etwas verletzt würde; wie etwa im jetzigen Zustande nichts vom jungfräulichen Körper verletzt wird, wenn aus dem Schoße der Jungfrau das Blut des monatlichen Flusses entfernt wird. Denn wie für das Gebären nicht die Schmerzen der Geburt, sondern der Antrieb der bestehenden Reife den Schoß des Weibes dann erweitert haben würde; so hätte, um zu empfangen, nicht die Begierde angetrieben, sondern der geistige Wille beide Naturen zu gegenseitigem Gebrauche verbunden.“
