Achtundfünfzigstes Kapitel. Über die Art und Weise wie die Engel erkennen. Überleitung.
„Seinen Engeln hat Gott dich befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Ps. 90.) Damit hatte oben der Engel der Schule es durch die Schrift begründet, daß die Engel unsere einzelnen Akte sowie überhaupt das Einzelne erkennen. Wir wissen jetzt, wie tief seine Begründung gemäß der Wissenschaft ist. Überall umgiebt uns nun ein positiver Grund für die Dinge um uns herum und ihre Thätigkeit. Fragen wir, worin der Grund liegt, daß sie etwas empfangen, daß sie etwas werden können, so ist die Antwort: In der Natur des Stoffes; von dieser Natur werden dann alle Vermögen durchdrungen, welche dazu bestimmt sind, zu leiden, zu empfangen. Fragen wir, worin der Grund liegt, daß die Dinge in uns eine gewisse Dauer und Festigkeit haben und zugleich mit dieser Dauer in sich die positive Neigung erhalten zu vergehen, damit sie in anderer Weise wieder fest und dauernd werden, so ist die Antwort: In den beschränkten, geistigen Kräften, die da in sich, in ihrer Substanz wohl durchaus fest, weil stofflos, sind und nichts anderes werden wollen; dabei zugleich aber nur vermittelst ihrer Vermögen, nicht vermittelst ihrer Substanz wirken; — die also ihren Wirkungen eine gewisse Dauer mitteilen von seiten der sie tragenden thatsächlichen Substanz, und eine positive Tendenz zum Nichtsein oder vielmehr zum Anderswerden von seiten ihrer Vermögen, die nur reines Können sind. Von diesen geistigen Kräften werden dann alle jene Fähigkeiten in den stofflichen Dingen geregelt und durchdrungen, welche dazu bestimmt sind, zu wirken; in erster Linie die Bewegung der Himmelskörper. Fragen wir endlich, worin der Grund liegt, daß etwas Einzelnes, Wirkliches besteht, was alle diese leidenden und bestimmenden Vermögen insgesamt zu bethätigen und zu offenbaren vermag, so steht als souveräner Grund der Allmächtige da, welcher seinen Kreaturen Vermögen verliehen hat, damit Er sie Sich in weitester Weise ähnlich mache. Der Stoff bietet aus seiner Natur heraus keinen Grund für das dauernde, feststehende Einzelne; er kann ja alles werden und hat nur in solcher Weise ein Sein, damit er diefe bestimmte Natur gerade offenbare und dann fogleich von dem erhaltenen Sein einem anderen Sein sich zuwende. In ihm ist das Einzelne gar nicht vernünftig erkennbar; unvollkommen ist jener, der sich nach den einzelnen Erscheinungen richtet; den maßgebenden Grund für das Einzelne giebt der Stoff in keiner Weise. Auch die Engelnatur bietet an sich keinen hinreichenden Grund für das Einzelne. Denn sie wirkt nur durch ihre Vermögen. Diese Vermögen aber, Vernunft und Wille, gehen an und für sich auf alles Wahre und Gute, d. h. auf das Allgemeine ohne Unterschied. Bestimmbare Vermögen einerseits und bestimmende andererseits, Stoff und Geist, alles ruft nach jenem Sein, welches in seiner Fülle selber einzeln besteht; dessen Sein und Substanz Wirken ist, dessen Wille also allein kraft der Natur seines Seins das Einzelne, Wirkliche giebt und dafür den unabhängigen ausreichenden Grund allein in sich enthält, ohne ihn jemals der Kreatur mitzuteilen. Von diesem Sein, dem Sein unendlicher Fülle und reinster Vernunft, strömt aus in die Engel die Kenntnis des Einzelnen im Stoffe. Volles Vertrauen können wir in ihre Leitung haben. „Er hat ihnen uns befohlen: daß sie uns behüten auf allen unseren Wegen.“ Von Ihm, von ihrem und unserem Gotte haben sie die Kenntnis jener Wege im einzelnen, die zum Heile führen und auf denen wir am besten all unsere Vermögen und die des Stofflichen verwerten können. Willst du, daß die Engel dir dienen? Dann folge dem Heilande. Halte das Wort Gottes, seinen heiligen Willen dir stets vor Augen! Da der Teufel zum Herrn trat und Ihn aufforderte, aus Steinen Brot zu machen; da stellte ihm der Eingeborene das Wort Gottes entgegen. Und da der Teufel Ihn auf die Zinne des Tempels führte, daß Er sich aus eitler Ruhmbegierde herabstürze; da hielt der Herr wieder seinen Blick auf das Wort Gottes gerichtet und der Teufel ward zu Schanden. Als Er aber zum dritten Male den Versucher auf Gottes allmächtigen Willen hingewiesen, dem allein es zustehe, den einen auf dem Wege der Armut zu führen und den anderen mitten im Reichtume zu heiligen; — „da traten Engel zu Ihm und dienten Ihm.“ So schaue beständig und zu allererst auf den Willen Gottes in allem. Gott allein hat ohne alle weitere Rücksicht das Recht, die einzelne Wirklichkeit nach Zeit und Ort zu bestimmen. Die Engel folgen dir dann und dienen dir. Tobias gehorchte seinem Vater; er unternahm eine schwierige, gefahrvolle Reise. Der Engel Gottes kam gleich und leitete den Jüngling. Was da sichtbarerweise geschah, das geschieht bei jeder guten Absicht unsichtbarerweise. „Die Engel behüten deine Wege, wie Er, wie Gott nämlich es ihnen eingegeben.“ Sie gebrauchen, wie Thomas sagt, ihre Erkenntnisformen, wie sie wollen; denn Gott giebt ihnen gerade durch seine freie Bestimmung den freien Gebrauch. Sie kennen nicht deine Gedanken, deinen Willen kraft ihrer natürlichen Kräfte. Aber wem folgen sie, wenn sie deine Vermögen stärken und heben? Jenem, der in deinem Willen, wie oben Thomas sagte, die gute Willensrichtung zu dem einzelnen Guten hin wirkt und dabei die Ursache ist, daß Er selber vom Willen als letzter Zweck betrachtet werde. Jenem folgen sie, der in dir, wie in den Engeln den freien Gebrauch deiner Kräfte wirkt; jenem, der in deiner Vernunft leuchtet, in deinem Willen Sich selber liebt, der da so den einzelnen Akt wirkt, daß derselbe in seiner Natur frei und selbständig sei, wie oben wir vom Engel der Schule gehört haben; so, daß dieser Akt, sowie er der göttlichen Einwirkung folgt, auch zugleich den Engel darüber erleuchtet, damit derselbe nun gemäß diesem einzelnen freien vernünftigen Akt dir oder vielmehr Gott in dir diene. Und noch höher steigt der Engel der Schule. Er weiß ja, was er früher gelehrt hatte, daß unsere Natur wohl keinen anderen letzten Zweck haben kann als den übernatürlichen, daß sie ihn aber nicht mit ihren natürlichen Kräften erreichen kann. Die heiligen Engel sind darüber wohl unterrichtet. Von Beginn ihrer Erschaffung an sind sie über das Grundgeheimnis des übernatürlichen Lebens belehrt worden; denn „auf diese Grundlage hin ist all ihr Wirken hingeordnet“. Die Engel „behüten dich auf allen deinen Wegen: wie Er es befohlen“, der uns erlöst hat. So ist alles in schönster Ordnung. Es fehlt nur, daß ein jeder von uns nun auch bis ins Einzelnste hinein Gottes Willen suche und daran festhalte. Nicht im allgemeinen allein dürfen wir Gott an die Spitze stellen; nicht bloß in Worten; nicht bloß unter gewissen Umständen und Verhältnissen. Je mehr wir uns danach sehnen, auch im kleinsten nur immer den Willen Gottes vor Augen zu haben; desto mehr ist dies ein Zeichen, daß Gott selber in uns wirkt. „Wer das Kleine verachtet, wird allmählich ganz fallen.“ Das einzeln Wirkliche hier ist, soweit es als im Stoffe befindlich betrachtet wird, verächtlich; schnell geht es vorüber; der Mensch liebt so sehr, seinen Einbildungen von Größe nachzugehen und von der bestehenden Wirklichkeit, wenn sie den Augen seiner Sinne nicht gefällt, sich abzuwenden; er hofft auf Wechsel. Aber dieses Wirkliche ist groß und mächtig, wenn wir es auf Gott beziehen, wenn wir Gott als die unmittelbare Quelle und den allein hinreichenden Grund davon ansehen. Fragen wir bei den Geboten der Kirche, bei den geringsten Ceremonien, bei den Geboten des Herrn, beim geringsten seiner Beispiele nicht nach dem letzten Warum; ein solches giebt es nicht, wenn das Einzelne als solches in Betracht kommt. Das Eine genüge, daß die Stimme der Kirche, die Stimme Gottes in der bestimmten Weise ertönt, um danach zu handeln bis in das Geringste hinein. Die Gründe werden sich dann auch immer leuchtender in uns entwickeln. Denn im Göttlichen kommt die That zuerst und dann der allgemeine erleuchtende Grund; das Einzelne zuerst und dann die Vermögen; zu thun fing Jesus an und dann zu lehren. Auf solchen Wegen folgen dir die Engel; denn da geht ihnen Gott selbst voran; „der ihnen befohlen hat deinetwegen, daß sie dich behüten, auf allen deinen Wegen.“
