Vierundachtzigstes Kapitel. Die Kenntnis der Seele rücksichtlich dessen, was tiefer steht als sie. Überleitung.
„Die Berge bedeckte sein Schatten: und seine Äste wie die Cedern des Libanon. Seine Zweige streckte er aus bis zum Meere: und bis zum Strome seine Schößlinge. Warum hast Du zerstört seine Umzäunung: daß Trauben von ihm abreißen alle die vorübergehen auf dem Wege? Der wilde Eber aus dem Walde hat ihn zerstört; und das einzelne Raubtier hat ihn verwüstet.“ (Ps. 79.) So beschreibt der Psalmist die Schönheit und die ausgedehnte Macht des menschlichen Geistes unter dem Bilde eines Weinberges; und zugleich, welch wilden Seinden er offensteht. Der Engel der Schule hat die philosophische Erklärung gegeben. Denn was ist der Schatten, mit welchem die menschliche Seele die Berge bedeckt, anderes als die wirkende Kraft Gottes, welche in der „einwirkenden“ Vernunft wie ein Siegel der Seele aufgeprägt erscheint. Das ist jener Schatten, unter dem die heilige Braut sitzt: „Unter dem Schatten dessen, nach dem ich verlangt habe, saß ich.“ Dieser Schatten hat den Propheten erquickt, als er den Niniviten gepredigt. „Und sein Schatten umhüllte sein Haupt, und beschützte ihn; und Jonas freute sich darob in hohem Grade.“ Wie soll dieser hocherhabene Schatten nicht die höchsten Berge umhüllen, da auch die größten Geschöpfe der wirkenden Kraft Gottes das Dasein und ihre Fortdauer verdanken! Wie sollen wir nicht uns freuen und hoffen in diesem Schatten, da selbst die Macht der Feinde unserer Seele ihre Grenze findet in ihm; nicht weiter darf sie wie Gott es erlaubt! Der Schatten, welcher in dieser Weise vom Weinberge unserer Seele ausstrahlt, bedeckt die Berge. Denn diese selbe wirkende Kraft Gottes, welche in uns von den Phantasiebildern die Hülle nimmt und sie damit fähig macht, im reinsten Glanze des Geistigen den Stoff zu leiten, erreicht und umschließt die reichsten und hervorragendsten Kreaturen, die wie Berge hervorragen über die menschliche Schwäche. Unter diesem Schatten fand Schutz jener, der da rief: „Unter dem Schatten Deiner Flügel beschütze mich;“ und er faßte Hoffnung, mochten auch bergehoch die Beängstigungen der Seele auf ihm lasten und ihn die Feinde umringen wie die Umwallung eine Feste: „Im Schatten Deiner Flügel will ich hoffen, bis die Ungerechtigkeit vorübergeht.“ Wie ein Traum; so zart erscheint der Schatten der Flügel Gottes. Das wirkliche Sein der Geschöpfe erscheint nach außen so schwach und wechselvoll in sich; heute blüht die Blume des Feldes, morgen ist sie welk. Aber dieser Schatten ist stärker wie alle Gewalten, alle Vermögen, alle Kräfte. Das geringste wirkliche Sein macht erst offenbar und wirksam die verliehenen Vermögen. Fruchtbar wird unter dem Schatten Gottes Alles, was die Seele in sich schließt. Hoch steigt hinauf die Vernunft von dem niedrig Stofflichen, das sie umgiebt, sie steigt hinauf bis zu Gott. Nicht wie jener „Gottlose“ ist sie, den der Psalmist „sah . . . hinaufragend wie die Cedern des Libanon“. Nein; über „alle Cedern des Libanon ist sie erhaben“. (Is. 2.) Und mag die Kreatur noch so hoch dastehen; mögen es die wunderbaren Sternmassen da oben sein oder auch selbst die geistigen Gewalten bis zu den höchsten Spitzen hinauf, wo sie zu verschwinden scheinen in ungeahnte Fernen hin; Alles, Alles wird überragt von der Vernunft im Menschen! In welcher Weise? Der Psalmist sagt so bezeichnend: „Ihre Äste wie die Cedern Gottes;“ nicht wie „die Cedern des Libanon“, nicht wie „die Cedern an den Wassern“ (Num. 24, 6.); nein, wie „die Cedern Gottes“. Gott hat es in die Natur der Seele gelegt, daß sie ein Anrecht darauf besitzt, ein Vermögen in sich zu enthalten, wonach die wirkende Kraft der allerhabensten Vernunft unmittelbar selbst den Mantel der Beschränktheit und Sichtbarkeit von den Kreaturen nimmt und sie in ihrer Reinheit als Vermögen für alle beliebige weitere Bestimmung zeigt. Gott hat dieses Fundament in die Natur der Seele gelegt; Gott will kraft seiner heiligen Güte in der Seele leuchten je nach dem Vermögen, das Er ihrer Natur verliehen. Gott will sie krönen bei sich selber; und giebt ihr deshalb die Macht und das Vermögen, Ihn in allem zu erkennen; Sonne, Mond und Sterne in deren Wirlungen zu ihrem Wohle und zu seiner Ehre zu gebrauchen; in die Wirksamkeit der niedrigen veränderlichen Kreaturen je nach ihrem Bedarf, nach ihrem, der Seele, wahrhaften Nutzen als entscheidendes Element einzugreifen; und selbst in den reinen erhabenen Geistern ihre Dienerschaft zu sehen, sobald es auf ihr Wohl, auf das einzige ewige Wohl der Seele in Gott ankommt. So streckt die Seele aus ihre leuchtenden Ideen wie überaus starke Äste ohne weitere Vermittlung, allein unter Gottes wirkendem Einflusse nach Gott selber hin: „Ihre Äste gleich den Cedern Gottes.“ Sie, diese hoheitsvolle menschliche Seele, „sitzt wohl auf dem Libanon und hat ihr Nest auf den Cedern,“ wie der Prophet sagt (Jerem, 22.), aber ihr Flug geht höher hinauf. Sein Nest hat „der Adler in den Felsenlöchern“; aber sein Flug geht der Sonne entgegen, in deren Licht er scharfen Blickes sein Auge taucht. Alles Erhabene in der sichtbaren Kreatur kommt zusammen, um der Libanon für die Seele zu werden; um den Körper nämlich zu formen, das Abbild der ganzen sichtbaren Welt; jenen Abriß gewissermaßen aller sichtbaren Kräfte, dem der Odem Gottes selber Leben eingehaucht hatte. Auf diesem Libanon „sitzt die Seele“; sie ist kraft der Natur innigst verbunden mit dem Körper und erblickt darin den sichtbaren Träger des menschlichen Seins und der menschlichen Thätigkeit. Und was im Körper wieder das Edelste ist, gleichsam das Mark des Körpers, das dient den geistigen Kleinen, den reinen Ideen, als warmes Nest. „In den Cedern des Libanon nistet sie.“ Alle körperlichen Kräfte erblicken ihre höchste Aufgabe darin, daß sie zum Phantasiebilde beitragen und so unter die unmittelbare Leitung jener Kraft treten, die sie erschaffen hat. Aber nur ein Nest wird von dieser höchsten Entwicklung alles Körperlichen, die allein unter der einwirkenden Kraft der reinsten Vernunft möglich ist, nur ein Nest wird dadurch hergestellt für die geistigen Jungen der Seele. Bald werden diese Jungen flügge und erheben sich über allen wechselvollen Stoff und dessen Einfluß hinaus zur Betrachtung der unwandelbaren Wahrheit. Sie kehren zum Neste immer wieder zurück; aber nur deshalb, um weiteres Sichtbare zu holen, es zu entkleiden der Hülle der Nacht und es zum ewigen Lichte, woher alles gekommen, emporzutragen. „Ihre Äste gleich den Cedern Gottes; bis zum Meere dehnt sie aus ihre Zweige und bis zum Strome ihre Schößlinge.“ Nun kann die Seele mit Sicherheit ihr Wohl und ihren Endzweck suchen; sie kann selber thätig sein. Der Psalmist sagt hier treffend: „Sie dehnt (selber) aus.“ Thomas hatte dies oben in den Worten ausgedrückt: „Nicht jeder Auffassung der Vernunft geht eine Willensbewegung vorher; vielmehr ist das erste Princip des Auffassens und des Erwägens etwas Höheres wie unsere Vernunft.“ Gott selber hat der Natur der Seele den Stempel seines Lichtes aufgedrückt. Er selber will die „Umzäunung seines edlen Weinberges herstellen.“ In ihrer Natur hat die Seele die Bürgschaft, daß sie selbstthätig ihrem endlichen Wohle zustreben kann. Vermittelst ihrer Natur hat sie die wirkende Kraft der reinen, göttlichen Vernunft als Wächter bei sich für das Paradies ihres freien selbständigen Willens. Niemals kann die Seele die Natur ihrer Freiheit verlieren. Warum? Weil die wirkende Kraft Gottes selber dem Wesen der Vernunft anhaftet und es in erster Linie macht, daß diese die Geschöpfe in deren Allgemeinheit zeige und sonach mit der Fähigkeit, der Seele wie diese will zu dienen. Das ist der kräftige Zaun unserer Seele. Da ist kein bloßer Cherub Wächter, daß niemand ohne Erlaubnis hineindringe. Gott selber wacht mit seiner wirkenden Kraft darüber, daß seiner Natur die Möglichkeit bleibe, dem Adel ihrer Vernunft gemäß zu handeln. Thomas drückt sich hier mit unübertrefflicher Feinheit aus. Hat der Wille in sich einen einwirkenden Willen gleichwie die Vernunft sich in eine „einwirkende“ und in eine „mögliche“ teilt? Nein! Die Vernunft wohl schließt es ihrer Natur nach ein, daß die wirkende Kraft Gottes für die allgemeine Vernunft die Erkenntnisgegenstände zu vernünftig erkennbaren mache. Denn die Vernunft muß einen Erkenntnisgegenstand haben; sie selbst aber vermag als reines Vermögen, was von Natur thätig sein kann oder auch nicht sein kann, sich diesen Gegenstand nicht herzustellen, wäre sie doch dann eher thatsächlich erkennend als sie bethätigt wäre; sie wäre und wäre zugleich nicht. Dieser Grund aber existiert für den Willen nicht und er kann zuvörderst für ihn gar nicht existieren. Denn sagen, der Wille hätte seiner Natur nach in sich die wirkende Kraft für den einzelnen Willensakt, hieße dasselbe, als Gott müßte auf den Willen immerdar und bis zum Schlußpunkte jedes Aktes in erster Linie einwirken; wie Er vermittelst seiner wirkenden Kraft vom Phantasiebilde den Schleier des Einzelnen und Stofflichen lösen muß, damit die Vernunft ihren naturgemäßen Gegenstand habe. Damit könnte aber nicht die Freiheit des geschöpflichen Willens bestehen; ebensowenig wie der Erkenntnisakt an und für sich frei ist. Es giebt sodann aus dem Grunde thatsächlich keinen „wirkenden“ Willen als ein besonderes natürliches Vermögen im Willen, weil dies nicht notwendig ist. „Der Wille hat seinen Gegenstand,“ sagt Thomas, „in der Vernunft.“ Denn auf das Gute im allgemeinen ist der Wille von Natur aus gerichtet; und das besondere Gute stellt ihm die Vernunft vor mit allen Eigenschaften, die das eine vor dem anderen auszeichnen. „Das besondere Gute ist ja eine Wahrheit,“ wiederholt Thomas des öfteren; „also faßt es der Verstand auf; und das einzelne Wahre trägt an sich den Charakter des Guten, des Einzelseins und deshalb kann der Wille es wollen.“ Vermag man sich eine stärkere Umzäunung des Adels der menschlichen Freiheit vorzustellen. Unzerreißbar ist sie für alle Kreatur; undurchdringlich für alle beschränkten Kräfte. Als unbestechlicher Wächter steht Gottes Kraft da in der „einwirkenden“ Vernunft als Princip aller Freiheit. Er zeigt selber die kreatürlichen Wesen in ihrer reinen allgemeinen Möglichkeit, ohne daß darin irgend welche einzelne Wirklichkeit eintrete als ob eine solche notwendig mit denselben verbunden wäre. Er zeigt sie als allein Ihm unterworfen in all ihrer Wirklichkeit und in ihrem entsprechenden Gebrauche. Da ist ohne den freien Willen selbst kein Einbruch möglich in den Zaun der Freiheit. Von der Seite des Willens aber her steht hier vor uns die eigenste Natur des Willens, welche jedes besondere und beschränkte Gut von sich abweisen und auf alles Gut ohne Ausnahme sich richten kann. „Bis zum Meere“ der Unendlichkeit „dehnt so in ihrem freien Thätigsein die Seele ihre Zweige aus“. Jedes einzelne Gut, das sie begehrt, erhält von ihr das Gepräge der Unendlichkeit auf der Rückkehr zu Gott, wie es dieses Gepräge trug bei seinem Ausgange von Gott. Wie jedes Gut von Gott ausgeht in der Weise, daß es noch größer, noch weiter, noch mit endlos vielen anderen verbunden sein kann; gleichwie es ausgeht als Ring in der Kette aller Kreaturen; — so nimmt es der Wille und er begehrt seine Schönheit nicht als letzten, von allem Anderen getrennten Zweck, sondern als Stufe für das Gesamtwohl. „Und bis zum Strome reichen ihre Schößlinge.“ Diese zahlreichen Schößlinge, die aus dem so reich fruchtbar gemachten Willensakte entspringen! Da regelt sich unter dem Willensakte als dem Guten im allgemeinen zugewendet der Strom der Vernunft und nimmt seine ganz bestimmte Richtung, fließt in ganz bestimmter Breite und Fülle. Da regeln sich die Phantasiebilder, wie Thomas oben sagte: „Die Vernunft kann selber Phantasiebilder zweckgemäß sich bilden.“ Da werden plötzlich lebendig die kleineren Flüsse des Gemeinsinnes, der Abschätzung des Besonderen, des Gedächtnisses. Über Berg und Stein der stofflichen Wirklichkeit springen vom Banne gleichsam losgelöst fröhlich herunter wie fröhliche Sturzbächlein das Hören, das Sehen, das Riechen, das Fühlen, das Schmecken. Und wer könnte zählen die Vielfältigkeit all dieser Ströme, Flüsse, Bäche! Zähle die Kreaturen, die ins Auge eintreten; zähle die Töne, die das Ohr hört; zähle die Worte, die der Mund spricht; die Ideen, die in der Phantasie, in der Vernunft sich abspiegeln; die Dinge, welche das Gedächtnis umfaßt! Nein; zähle die Macht Gottes, die außen das Wirkliche herstellt und innen im Willen es zu sich zurückführt und vollendet. Denn, so Thomas, „der freie Wille ist kein Zustand, der von vornherein zu etwas Gutem oder zu etwas Bösem Neigung hätte; wie etwa die Vernunft kraft einer bestimmten abgeschlossenen Wissenschaft, die sie hat, von vornherein lieber geneigt ist, das besser zu erkennen als jenes.“ Der Wille muß bis zu seinem Ake, soll er anders kraft dieses Aktes dann Alles im Menschen lebendig machen und allen Vermögen den Anstoß zur Thätigkeit geben, vollständig allgemeines, durch und durch indifferentes Vermögen sein; sonst verlöre er seine Natur als freier Wille. Es darf in seinem Innern vor dem Akte nichts als in etwa bestimmendes Moment vorhanden sein. Und von wem soll dann der erste Anstoß dafür ausgehen, daß derselbe lieber das wählt wie jenes; daß er auf ein ganz bestimmtes einzelnes Gut sich wendet? Nicht von ihm selber; denn er ist seiner Natur nach als Vermögen auf alles Gute gleichmäßig gerichtet. Nicht von der Vernunft; denn da ist die wirkende Kraft Gottes selber die natürliche Bürgschaft, daß nur Allgemeines und das Einzelne immer unter dem Gesichtspunkte des Allgemeinen vorgestellt wird. „Gott,“ sagt wieder Thomas, „giebt im Innern des Willens selber den ersten Anstoß zur Thätigkeit; und von Ihm bewegt und bestimmt, bewegt sich und bestimmt sich der Wille selbst.“ Und anders kann es nicht sein! Denn nur Gott schließt in seinem Wesen das Einzeln-Wirkliche und das Allgemeine der reinsten Thatsächlichkeit nach in sich ein. Gott allein also bestimmt wie Er will den Willen zum einzelnen Akte, insoweit derselbe auf etwas Einzelnes geht; und zugleich bewahrt Er im Willen das Vermögen für Alles. Er bestimmt nicht so, wie etwa der Arbeiter zuerst den Marmorblock behaut und dann ihn dem Künstler überläßt, daß dieser jene einzelne Figur aufpräge, welche ihm gefällt. Nicht so bestimmt Gott den Willen für den allgemeinen Zweck des Ganzen, daß der Wille nur etwa einen ganz indifferenten vieldeutigen Anstoß thätig zu sein von Ihm erhielte und daß dann der Wille selber sich die einzelne Vollendung suche. Nein; Gott ist der souveräne Künstler im Willensakte. Er bestimmt denselben gemäß seinem eigensten Grunde von vornherein zu jener über alles Denken einzelnen Vollendung, welche derselbe einhalten soll. Und inmitten des einzelnen Willensaktes hält Gott wieder unmittelbar das allgemeine Vermögen aufrecht; daß alles Einzelne immer das Vermögen behalte zum Gesamtwohle hin. Unter dieser Bestimmung Gottes im Willen, welche die Richtung auf das einzelne Gut in sich enthält, belebt und bewegt nun der Wille sich selbst in bestimmtester freiester Weise; denn diese Freiheit von allen geschöpflichen Schranken garantiert ihm der schrankenlos Unendliche. Der Wille bestimmt und bewegt nun von seiner eigenen Thätigkeit aus alle anderen Vermögen, daß sie für die Erreichung dieses selben einzelnen Gutes arbeiten. Und was in dieser Thätigkeit, sei es vom Willen sei es von den übrigen Vermögen, so kommt, daß es auch nicht kommen kann; was da so aus dieser Quelle kommt, daß es in seinen Grenzen es ausschließt, etwas Anderes im einzelnen zu sein; insofern also im einzelnen die Verneinung liegt oder die Möglichkeit anders bestimmt zu werden; — davon ist allein der Wille die Ursache oder jegliches Vermögen, je nachdem es vom Willen bethätigt worden ist. Und demgemäß wiederholt Thomas des öfteren wie auch oben: „Der Wille bestimmt sich, einmal von der ersten Ursache in Thätigkeit gesetzt, in der Weise, daß er ein besonderes Gut dem anderen thatsächlich vorzieht; er erwählt etwas so, daß er von sich aus das andere ausschließt, es verneint.“ Der Wille ist nicht davon die erste Ursache, daß er im thatsächlichen Wollen des einen besonderen Gutes zugleich alle anderen dem Vermögen nach will. Das verursacht Gott in ihm; dieses Vermögen für das Allgemeine erhält Gott unmittelbar in ihm. Dem Willen an sich gehört es an, das besondere einzelne Gut so zu wollen wie dasselbe geschöpflicher Weise ist; nämlich so, daß das andere nicht gewollt wird; von dieser Beschränkung als einer solchen ist der Wille die erste Ursache für alle anderen Ursachen. Daß dieses einzelne besondere Gut als Glied des Ganzen gewollt wird als in thatsächlicher Beziehung zum Gesamtwohl; das verursacht Gott innerhalb des Willens. Davon enthält Gott den Grund in Sich allein, wie Er überhaupt von allem Einzelnen in Sich allein den ausreichenden Grund hat; allgemeine, mehr oder minder indifferente Vermögen sind in den Kreaturen die Gründe ihres Seins. Wie treffend wieder sagt der Psalmist: „Was hast du zerstört ihre Umzäunung!“ Mensch! Du allein von allen sichtbaren Geschöpfen stehst unter der unmittelbaren Macht Gottes nicht bloß in deinem Sein, nicht bloß in deinem Wesen, nicht bloß in einigen Vermögen, sondern zugleich und zwar ebenso unmittelbar im Handeln! Die unerschütterliche Macht Gottes allein in ihrer Gerechtigkeit könnte den Zaun lösen, den sie um deine Seele in väterlicher Liebe geschlungen. Hefte dein Herz an Gott und der Zaun wird bleiben! Wühle nicht, soweit dein Auge reicht, was vor dir selber, vor deinem eigenen Urteile gegen die Stimme Gottes, gegen dein eigenes Wohl ist! Wähle nicht so, daß damit die Verneinung des ewigen Zweckes verbunden ist! „Es kam nicht bis zum Ende das Urteil,“ klagt der Prophet. Dein Urteil komme immer zum naturgemäßen Abschlusse; es ende immer in Gottes Gesetze als der maßgebenden Richtschnur! Nicht seine Umzäunung zerstört Gott, wenn Er erlaubt, daß der Sünder falle. Seine Ehre, seine Freiheit bleibt immerdar unberührt. Der Mensch behält vor der ganzen Welt und vor sich selbst immerdar die Kraft seiner Freiheit. Und nur wenn Gott es in seinem unerforschlichen Ratschlüsse erlaubt; wenn Er beschließt, es zuzulassen, daß der Sünder habe, was er sündhaft will; erst dann fällt die Umzäunung, d. h. aber nur die Umzäunung in dir, soweit der einzelne sich selber schadet. Dann fluten die Wogen der Leidenschaften über die gottverlassene Seele. Die am Wege der Zeit vorübereilenden Güter reißen an sich die Früchte, die Gott dir anvertraut hatte. Das Gold reißt mit sich fort die Vernunft und die Sinne des Geizigen. Die Lust nimmt mit sich das Wollen und das Verstehen und das Sinnen des Wollüstigen. Lächerlich kleine Gegenstände: eine kleine Summe Geldes, ein Kleid, ein elender Trunk, bekleiden sich mit den Werken deiner erhabenen Freiheit, deines Denkens, deines Schauens, Hörens, Fühlens, Schmeckens. Der wilde Eber im Walde, der stolze Teufel, hat Freude an deinem Thun; er sättigt seinen Neid an deiner Thätigkeit; er verwüstet deine Seele, daß sie kein Vergnügen mehr habe in Gott, keine Freude mehr im Gebete, keinen Trost mehr in der göttlichen Hoffnung. Das Elend jedoch ist und einzig und allein das deine; es bleibt allein in dir, für die betreffende Thätigkeit; soweit du willst ist für dich der Zaun durchrissen. Gottes Gerechtigkeit verherrlichen gezwungenermaßen auch deine Feinde; und Gottes Barmherzigkeit erfahren jene, die unter deinem Stolze, unter deiner Vergnügungssucht, unter deinem Zorne geduldig leiden! Wem gehört die Schuld der Sünde? Gott, der zugelassen hat, daß der böse Wille beim gewünschten Gute stehen bleibe? Gott, weil Er nicht Knecht des Menschen sein wollte? Weder Gott noch du, o Mensch, wärest frei; wenn Gott von irgend welcher Seite her immer verpflichtet wäre, jedes Fallen zu hindern. Von Lohn und Strafe könnte dann keine Rede sein! Nein! Du hast den Gegenstand der Sünde gewollt; du hast ihn genossen, wie es dem Sünder möglich sein kann zu genießen; du hast dich getäuscht. Unfrieden hast du geerntet; und Frieden hattest du gegen das göttliche Gebot gewollt. Schmerz ist dein Anteil geworden; und Freude hast du gegen den Willen Gottes gewollt. Dauerhaft sollte dein Glück sein ohne Gott; und schneller wie der Wind ist es verflogen! Aber hast du nicht gewußt, von woher deine Kraft: dein Wollen, dein Erkennen, dein Sinnen und Trachten kommt? Hast du es nicht wissen können? Hat nicht der Glaube, die Vernunft, die Erfahrung dir genugsam gezeigt, wo Friede, Freude, Dauer allein sein kann. Die Gaben Gottes in dir mißbrauchen, stehen bleiben bei elenden Kreaturen mit dem Wollen, was Gott dir gegeben, mit dem Erkennen, was in Gott seine Kraft hat; das ist nichts Anderes als das Bäumchen zur Erde beugen, welches seiner Natur nach zum Himmel strebt; das ist nichts Anderes, als vor dem Lichte die Fenster schließen und dann arbeiten wollen. Es ist dies gegen die Natur des Erkennens, gegen die Natur des Wollens. Zu Gott fließt die Ehre; denn die Kraft, womit du die Sünde vollbringst, sei es der Wille oder die Vernunft oder der Sinn oder der Körper, sie gehört Gott und „sie schreit“ mitten im Mißbrauche „zu Gott um Nahrung“. (Ps. 103.) Dir, o Sünder, allein die Schande; denn den Mißbrauch dieser Kraft, dein Elend hast du allein verschuldet. „Ein einzelnes Raubtier hat den Weinberg abgeweidet.“ Das ist das Ende der Sünde. Der Mensch hat in sich eine seiner sinnlichen Natur entsprechende Hauptneigung. „Keine einzige Hinneigung aber im sinnlichen Teile des Menschen,“ sagte oben Thomas, „kann ihrer Natur nach der Freiheit schaden; ebensowenig wie eine Wissenschaft in der Vernunft diese benachteiligt.“ Vielmehr untersteht dies Alles der Verfügung des freien Willens und soll dienen dem Gesamtwohle des Menschen. Mag der Musiker ein noch so großes Talent haben; er kann es benutzen, um tiefer einzudringen in die Kunst, um die anderen Künste und Wissenschaften damit zu verbinden, um Gott zu finden; und dasselbe gilt vom Arzt, vom Landmann, vom Bildhauer, vom Philosophen, vom Maler etc. Thut er dies; folgt er der Anregung, welche diese Neigung selber ihm giebt, um sich und sie selber wahrhaft zu vervollkommnen; so wird sie das Mittel seines Heiles. Opfert er aber die Vollendung der eigenen Kunst und des eigenen Talentes schnödem, augenblicklichen Geldgewinne; fröhnt er damit der Lust der Sinne allein; will er die Himmelstochter mißbrauchen zur Befriedigung seiner Rache, seines Zornes; so wird gerade diese Hauptneigung ein wildes, reißendes Tier. Und woraus der Mensch eine Quelle machen konnte, um in den Cedern des Libanon sein Nest zu bauen und von da in Himmelshöhen zum Throne Gottes emporzusteigen, das wird für ihn ein „gräuliches Raubtier“, das, nimmer satt, „den Weinberg seiner Seele verwüstet.“ Anstatt daß der Epheu seiner Seele ihm Schatten gebe, um wie der Prophet darunter zu ruhen, frißt dieser Wurm die frischen Blätter, die Früchte aller Thätigkeit der hohen Seelenvermögen ab, daß die Seele nun von der Glut der Leidenschaft getroffen, in wildem Wehe mit dem Propheten (Jon. ult.) ausruft: „Besser ist es mir, zu sterben, als zu leben.“ Was Gottes Kraft allein zu erheben vermag; das fällt unter das Joch der Knechtschaft und des Elends, wenn es von Gott getrennt ist. Seien wir immerdar und überall der Weinberg, wie ihn der Psalmist beschreibt: „Und sein Schatten wird die Berge bedecken: und seine Äste werden gleich sein den Cedern Gottes. Er wird ausstrecken seine Zweige bis zum Meere und seine Schößlinge bis zum Strome.“ Die Cedern des Libanon aber, alle unsere körperlichen Kräfte, auf denen die Seele thront, anstatt „verzehrt zu werden vom Feuer, das von den Disteln der irdischen Güter ausgeht“ (Judic. 9, 15.), „werden satt werden“ (Ps. 103.); „vervielfältigt werden sie werden“ (Ps. 91, 13.), „Frucht werden sie hervorbringen und zu erstaunlicher Größe heranwachsen“ (Ezech. 17, 23.); „freuen werden sie sich mit allen anderen Prachtbäumen der Schöpfung“ (Is. 14, 8.) in der ewigen Verherrlichung bei Gott. Thomas führt jetzt Alles zurück zur Vernunft und zeigt, wie dieselbe nun in Verbindung mit dem Willen kraft ihrer Thätigkeiten und Zustände zum Selbsterkennen kommt.
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