Siebenundfünfstigstes Kapitel. Die Kenntnis der Engel rücksichtlich der stofflichen Dinge. Überleitung.
„Im Angesichte der Engel will ich Dir, o Herr, lobsingen.“ (Ps. 130.) Ein erbauendes Schauspiel ist es, wenn in den mächtig gewölbten Chorhallen einer großen Basilika vor den in Andacht versunkenen Gläubigen die Diener des Heiligtums die Tagzeiten feierlich abbeten. Die Herzen sind in Gott gesammelt; die Haltung drückt, mag geknieet oder gestanden oder gesessen werden, die innere Ehrfurcht aus; und von den Lippen strömen wie ein nie versiegender Lebensquell die von Gott selber eingegebenen Preisworte und Loblieder zum Höchsten. Kaum hat der eine Chor aufgehört, da beginnt der andere und jeder von beiden scheint die Palme davontragen zu wollen im heiligen Wettstreit. Hat der eine Teil die Barmherzigkeit des Ewigen gepriesen, so erzählt der andere von den Schrecken seiner Weisheit. „Meine Tage sind vorübergegangen wie der Schatten und wie dürres Heu bin ich trocken geworden,“ fleht der eine im Bewußtsein der menschlichen Schwäche. Und: „Du aber o Herr, bleibst in Ewigkeit und dein Angedenken dauert von Geschlecht zu Geschlecht;“ so tröstet der andere in freudigem Bekenntnisse der göttlichen Allmacht. „Der da anblickt die Erde und sie zittert, der die Berge berührt und sie rauchen,“ so beschreibt der eine Chor das Nichts der Kreatur. Und: „Dem Herrn will ich singen in meinem Leben: lobsingen werde ich dem Herrn, so lange ich bin,“ jubelt der andere. So überbieten beide Seiten sich gleichsam im rührenden Lobpreise des Höchsten. In diesem Sinne sagt der Psalmist: „Im Angesichts der Engel, den Engeln gegenüber will ich Dir lobsingcn o Herr.“ Er erhebt unseren Preis Gottes zu der Höhe der Engel. Ihnen stellt er uns gegenüber, auf daß so von allen beiden Seiten her, vom Stofflichen aus der Tiefe und vom Geistigen aus der Höhe, in der einen Kenntnis der Vernunft Gott gelobt und seine allwaltende Macht gefeiert werde. In folgenden Punkten nämlich steht die Menschenvernunft mit der Engelvernunft auf derselben Stufe, sind beide Kräfte eins: 1. Die Erkenntnisform oder Idee ist verbunden als bestimmendes Element mit dem Vernunftvermögen, das im Engel und im Menschen an sich betrachtet immer im Zustande des Vermögens ist. Beides zusammen, das bestimmbare Moment mit dem bestimmenden ergiebt nur ein Können für das wirkliche Wissen in beiden Vernunftwesen. Thomas hebt dies für den Engel ausdrücklich oben hervor bei der Besprechung der betreffenden Selbstkenntnis. „Das Erkennen geschieht nur dadurch, daß der erkannte Gegenstand im Erkennenden, mit demselben eins ist.“ Dadurch also daß seine Substanz selber Erkenntnisform ist, versteht der Engel allerdings sich selbst. Aber hat diese Substanz von sich aus das wirkliche Sein; ist sie aus sich etwas einzeln Bestehendes; schließt sie somit das thatsächliche Erkennen in ihrer Natur ein? Nein; „sie ist an sich nur thatsächlich erkennbar, d. h. vermögend, erkannt zu werden.“ Daß der Engel seine Substanz wirklich erkennt, also in der einzelnen Thatsächlichkeit eins mit ihr wird, dies hat er von derselben Ursache, die ihm das einzelne Sein gegeben; und mit Beziehung darauf ist sein thatsächliches Selbsterkennen wirklich (realiter) unterschieden von seiner Substanz, denn von dieser letzteren an sich betrachtet kommt die betreffende Thatsächlichkeit im Erkennen nicht. Thomas bemerkt dazu noch ausdrücklich: „Im Erkennen reicht der Engel weiter als in seinem Sein;“ also mit seiner Erkenntnisform ist nicht gemäß der Natur derselben das thatsächliche Sein verbunden. 2. Danach richtet sich auch die Einheit im Erkennen. Dieselbe besteht im Menschen darin, daß die allgemeine Idee als Erkenntnisform in der Vernunft die Substanz im Stoffe selber ist, insoweit diese nicht die Bedingungen des Einzelbestehens trägt, also als reines allgemeines Vermögen für die Gattungsstufe dasteht. Und wiederum ist das erkennende Vermögen nicht etwa der Substanz nach das stoffliche einzelne Ding, welches verstanden wird und auch nicht dasselbe wie die bestimmende Idee im Vermögen. Ist jedoch letzteres thatsächlich erkennend, so erkennt es nur vermittelst der in ihm formenden inneren Idee; und sonach, da diese Idee die stoffliche Substanz selber in ihrer Allgemeinheit ist, so ist auch das Vernunftvermögen als thatsächlich erkennendes diese Substanz. Letztere findet sich als allgemeine thatsächlich bestimmend in der Vernunft; dem Vermögen nach außen im Sein. Und deshalb gehört es wesentlich der Vernunft an, die äußeren Dinge zu leiten. Denn sie besitzt deren innersten Seinsgrund der Thatsächlichkeit nach in sich. Auch der Engel ist in der thatsächlichen Kenntnis Einheit mit dem Erkannten. Dieses Erkannte aber will nichts Einzelnes bedeuten; sondern es ist wie bei der menschlichen Vernunft leitendes Vermögen, Seinsgrund für das Einzelne. Da der Engel kraft seiner Substanz bereits erkennend ist und nach dieser Seite hin keiner bestimmenden Form bedarf, so ist er, soweit es diese seine eigene Substanz betrifft, Einheit in der Erkenntnis mit dem ihm von Natur eigenen Vermögen, auf den Stoff zu wirken; nicht aber mit der Wirkung selber. Und soweit es auf die ihm zugegebenen Ideen ankommt, ist er Einheit mit dem Vermögen zu wirken im Anderen; aber nicht als ob von diesem Vermögen auch das Wirken selber und sein eigenes Sein ausginge, sondern so, daß ihm dadurch das Wirken des anderen Seins, insofern der betreffende Seinsgrund in diesem sich vorfindet, gegenwärtig und erkennbar ist. Endlich kommt 3. Mensch und Engel darin überein, daß beide nicht unmittelbar ihre eigene Erkenntnisform, also das betreffende Vermögen, erkennen — was nur sein kann, wird ja als solches nicht Gegenstand der Kenntnis, sondern nur was ist —; sondern daß sie kraft ihrer Erkenntnisformen die einzelnen Dinge, wie sie in der Wirklichkeit sind, erkennen und daß sie erst auf Grund dieser Kenntnis ihre eigenen Erkenntnisformen und ihre Substanz selber sich thatsächlich gegenwärtig halten. Woher rührt aber dieses Einzelne, Wirkliche, woran alles hängt, wonach alles gewogen wird? Das ist die eigenste Wirkung Gottes, der allein den Seinsgrund davon in Sich hat oder derselbe vielmehr kraft seines Willens ist, welchem gemäß jedes Ding gerade so im einzelnen ist wie es ist und nicht anders. Lobsinget dem Herrn, ihr heiligen Chöre der Engel und Menschen um die Wette! Im Nichts der Natur, in der Ohnmacht euerer Erkenntnis und eueres Wirkens, das ja erst im Erkennen seinen leitenden Grund findet, seid ihr gleich; damit aber auch beide begeistert für die Ehre der Weisheitfülle, der Güte, der Macht unseres einzig erhabenen Gottes. Von unten steigt auf der Chor der Menschen. Denn nur in der Weise erkennt der Mensch, daß er schöpft und seine Ideenbilder formt aus dem, was der Meister in den Stoff niedergelegt hat; nach der Tiefe muß er beständig blicken, wenn er aufsteigen will. Nur in dem Sinne erkennt der Mensch, daß er langsam aus der Wirkung zur Ursache aufsteigt, vom einen zum anderen hin schließt; — daß er nun erkennt und nun wieder nicht. Von oben aber steigt nieder, um seinen Genossen zu helfen, der Chor der seligen Geister. Denn von Gott haben sie unmittelbar die heiligen Bilder der Seinsgründe, in denen sie alles geschöpfliche Sein lesen und bis in die Tiefe der Substanz hinein durchdringen. Auf einmal sehen sie alles ohne Furcht und Fehl, nicht eines nach dem anderen. Und niemals wird trübe ihr Auge, müde ihr Gedächtnis, schwach ihre Kraft. „Den Engeln gegenüber, im Angesichte der Engel will ich nun lobsingen, o gebenedeiter Gott.“ Dir danken will ich, der Du alle Seinsgründe in Dir zusammenhältst und doch das Vermögen zu erkennen und zu sein so weit um Dich herumgestreut hast. Meine Augen seien nach dem Beispiele der heiligen Engel nur auf Dich gerichtet, den ersten einzigen wahren Seinsgrund, in dem alles feststeht. Dir singe ich im Angesichte der Engel und möchte es singen in Ewigkeit: „Preise meine Seele den Herrn: und alles was in mir ist, verherrliche seinen Namen. Preise meine Seele: und vergiß nimmer alle seine Wohlthaten.“
