Erster Artikel Die Natur des Schicksals.
a) Das sogenannte Schicksal ist gar nichts. Denn: I. Gregor der Große (hom. 10. in Evang.) sagt: „Fern sei es, daß die Gläubigen meinen, das Schicksal sei etwas.“ II. Was infolge des Schicksals geschieht, ist vorgesehen. Denn „Schicksal“ kommt daher, daß etwas geschickt, also für jemandem bestimmt worden ist; wie fatum kommt von fari, daß etwas als sicher ausgesprochen worden. (5. de Civ. Dei 9.) Was aber vorgesehen ist, das schließt insoweit Freiheit und Zufall von den Dingen aus, die doch einmal thatsächlich in den Dingen bestehen. Also ist das Schicksal nichts. Auf der anderen Seite wird nicht begrifflich bestimmt, was nicht ist. Boëtius aber definiert das Schicksal (4. Consol. prosa 6.) als „eine den Dingen innewohnende Bestimmung, durch welche die Vorsehung alle Dinge so verbindet wie sie will“.
b) Ich antworte, in diesen niedrigen Dingen, die uns umgeben, ist Manches Zufall und Glück. Es trifft sich jedoch, daß etwas zufällig ist, wenn es auf die nächsten Ursachen bezogen wird; was durchaus beabsichtigt erscheint, wenn man eine höhere Ursache in Betracht zieht. So ist das Zusammentreffen zweier Diener, von denen keiner etwas vom Ausgehen des anderen wußte, zufällig mit Beziehung auf diese nächsten Ursachen, die beiden Diener. Es ist aber dieses selbe Zusammentreffen nicht zufällig, sondern beabsichtigt mit Rücksicht auf den Herrn, der jeden von beiden geschickt hat. Es gab also deren, welche solch zufällige Dinge auf keinerlei höhere Ursache zurückführten; und diese leugneten das Schicksal und die Vorsehung, wie Augustinus von Cicero berichtet. (5. de Civ. Dei 9.) Das ist jedoch gegen die göttliche Vorsehung, von der oben Kap. 22 gehandelt worden. Andere wollten all dies Zufällige hier unten auf die Himmelskörper als auf die Ursache zurückführen; und danach wäre das Schicksal als das Verhältnis der Sterne zu einander aufzufassen, unter dessen Einflüsse ein jeder empfangen oder geboren ist. Das aber kann nicht sein; und zwar aus zwei Gründen: 1. weil die menschlichen Handlungen, wie oben gezeigt, dem wirkenden Einflüsse der Sterne in keiner Weise unterliegen; das Schicksal aber muß, da ihm die Ordnung dessen innewohnt, was unter ihm steht, direkt und an und für sich die Ursache sein dessen was geschieht. 2. Mit Rücksicht auf Alles, was, wie oben auseinandergesetzt worden, zufällig geschieht. Denn was nicht im eigentlichen Sinne Sein und auch nicht Einheit hat, das kann von keiner Ursache an und für sich beabsichtigt oder eine der Natur einer Ursache direkt entsprechende Wirkung sein; da jede Thätigkeit einer Natur etwas Einiges und etwas an sich Seiendes ist. Also kann ein solches Zufällige gar nicht verursacht sein, insoweit eine Ursache etwas beabsichtigt oder in der ihrer Natur eigenen Kraft thätig ist. Keine Ursache im Bereiche der Natur kann also als die ihr an und für sich zugehörige Wirkung haben z. B., daß jemand beim Graben einen Schatz findet, während er beabsichtigte, ein Grab zu machen. Der Himmelskörper aber ist offenbar thätig wie ein Princip, welches durch seine Natur getrieben wird; weshalb auch seine Wirkungen hier in der Welt immer natürliche sind. Unmöglich also kann die Kraft eines Himmelskörpers die Ursache dessen sein, was hier auf Erden in der genannten Weise zufällig geschieht. Und deshalb muß man sagen: Was hier mit Freiheit oder mit Zufall geschieht, das muß zurückgeführt werden auf eine vorherbestimmende Ursache, die da ist die göttliche Vorsehung. Denn dem steht nichts entgegen, daß was zufällig ist und somit in sich keine Grundlage hat weder für das Sein noch für die Einheit als ein Einiges von einer Vernunft aufgefaßt wird; sonst könnte ja die Vernunft den Satz nicht formulieren: „Der ein Grab graben wollte, hat einen Schatz gefunden.“ Und wie somit eine Vernunft so auffassen kann, so kann eine Vernunft dies auch bewirken; wie z. B. jemand, der da weiß, an welcher Stelle ein Schatz verborgen ist, jemanden, der dies nicht weiß, dazu veranlassen kann, daß er grabe. So also ist dafür kein Hindernis vorhanden, daß Zufälliges auf eine ordnende und bestimmende Ursache zurückgeführt werde, die da kraft der Vernunft thätig ist und zumal auf die göttliche Vernunft. Denn Gott allein kann den Willen wirkend beeinflussen; so daß unter seinem wirksam bestimmenden Einflüsse auch das steht, wozu der gemäß der vernünftigen Auffassung handelnde Wille sich entschließt. Was also vom menschlichen Willen ausgeht, das hat Gott allein ohne andere Vermittlung als die des menschlichen Willens zur Ursache. Wollen wir sonach ausdrücken, daß Alles ohne Ausnahme unter Gottes vorherbestimmender und vorhersprechender oder schickender Gewalt und unter seiner Vorsehung somit stehe, so können wir dies Fatum oder Schicksal nennen. Die heiligen Lehrer aber vermeiden dieses Wort um derer willen, welche dasselbe dazu mißbrauchten, um zu sagen, in den Sternen sei unser Schicksal geschrieben. Deshalb meint Augustin (I. c. cap. 1.): „Wenn jemand sonach die menschlichen Handlungen dem Schicksale zuschreibt, weil er Gottes Wille oder Macht, von der Alles im einzelnen „geschickt“ wird, so nennt, so halte er an dieser Annahme fest und bessere seinen Ausdruck.“
c) I. In der letztgenannten Weise leugnet Gregor das Dasein eines Schicksals, nämlich als einer Bestimmung, die von den Sternen abhinge. II. Manches ist zufällig mit Rücksicht auf die nächsten Ursachen; nicht aber mit Rücksicht auf die göttliche Vorsehung.
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