Fünfunddreißigstes Kapitel. VI. Das Bild Gottes. Überleitung.
„Die Er vorausgewußt hat und voräusbestimmt hat, daß sie gleichförmig würden seinem Sohne.“ (Röm. 8.) IX. Welch seelenvollen Kommentar der Engel der Schule zu diesen Worten des erleuchteten Völkerapostels geschrieben hat! Schüttle den Staub deiner Herkunft in etwa von dir, o Mensch! Vergiß, daß „du zur Fäulnis sagst: „Du bist mein Vater, und zu den Würmern: Du bist meine Mutter und meine Schwester“. Richte auf deinen Blick nach oben zur einen heiligen dreieinigen Gottheit und dringe durch zu dem, den der Apostel den Gott alles Trostes nennt, Deus consolationis! Vernunft hast du, Willen hast du, Weisheit hast du; Macht und so viele andere glänzende Schönheiten hat dir der Schöpfer verliehen. Aber diese erhabenen Formen sind bei dir getaucht in das Dunkel des Abgrundes. In sich vollendet; sind sie bei dir durchdrungen nach allen Seiten hin von endlosem Bedürfnis, von Hilflosigkeit, Beschränktheit. In sich rein; sind alle diese Schönheiten bei dir vermischt mit Niedrigkeit. In sich ewig und unveränderlich; werden sie in dir der Vergänglichkeit zugänglich. Bald sind sie in dir lebendig, bald nicht; nun brauchst du sie, nun nicht; heute sind sie minder in dir, morgen mehr und kurz nachher wieder minder. X. „Gleichförmig“ sollst du werden dem glanzvollen Gottessohne! Da, in Ihm, bestehen diese selben Formen und Schönheiten. Aber in unveränderliches Sein, in reinste Wirklichkeit, in alle mögliche Vollendung sind sie da getaucht. Nicht nur diese selben Formen sollst du haben. Nein; auch am „gleichen“ Sein, an der „gleichen“ Wirksamkeit, an der weit von allem Veränderlichen entfernten Vollendung sollst du teilhaben. „Er hat sie vorhergesehen und vorherbestimmt (seine auserwählten Seelen), daß sie gleichförmig seien seinem Sohne.“ In unzähligen Abbildern soll das Urbild des Einen wiederstrahlm; das ist der Trost und die Wonne des Apostels: Es ist die Herrlichkeit des Eingeborenen; denn sie ist auch die seine. Thomas hatte oben so scharf geschieden: „Gesprochen werden;“ das käme aIlend drei Personen zu, der ganzen Dreieinigkeit; „Sprechen aber das Wort;“ das sei im eigentlichen Sinne eine Eigenschaft des Vaters. Die verschiedenartigsten Flüsse siehst du, große und kleine, still dahinströmende und wild hinabstürzende. Du sagst immer ein und das nämliche Wort: es ist ein Fluß. Tausende von Pflanzen stehen vor deinem Äuge, von der stolzen Ceder an bis zur Flechte, die an ödem Gesteine elendiglich hinkriecht; die mannigfachste Entwicklung vom zarten Keim bis zum gewaltigen, Jahrhunderte überdauernden Stamme. Du sagst mitten in all dieser Verschiedenheit immer das ein und nämliche Wort: es ist eine Pflanze. Der Diamant glänzt vor dir und den armseligen Kieselstein tritt dein Fuß. Du sprichst ihr Sein mit demselben Worte aus: es ist ein Stein. Woher ist dieses Wort gekommen? Die Vernunft hat zuerst, unbewußt ihr selber, die innere Wesenheit des Flusses, der Pflanze, des Steines, das substantielle Seinsvermögen des vorliegenden Dinges in sich aufgenommen. Es ist dies eine naturnotwendige Thätigkeit. Wie ohne dein Zuthun die Farbe in das Auge tritt, der Ton in das Ohr; so senkt sich kraft der Natur die Wesenheit des Dinges, die ja im Dinge selber nur allgemeines Vermögen für das einzelne wirkliche Sein ist und somit kraft ihrer Natur auch anderswo sein kann, losgelöst vom Einzelnen in das Vernunftvermögen. Dadurch wird die Vernunft fähig, nicht nur im allgemeinen zu erkennen, sondern dies oder jenes je nach der entsprechenden wesentlichen Seinsstufe, unbeirrt von allen Schranken der Wirklichkeit, zu erkennen. Nun aber treibt der Wille an, daß diese Fähigkeit in der Vernunft Wirklichkeit, daß sie thatsächliches Erkennen, daß sie dem Erkenntnisvermögen gegenwärtig werde. Es beginnt der Denkprozeß, durch welchen die innere Erkenntnisform, das vom Einzelnen losgelöste allgemeine Wesen des Dinges, der Vernunft thatsächlich gegenwärtig werden soll, kraft dessen also dann der Erkennende sagen kann: Ich erkenne den Fluß, den Stein, die Pflanze. Die äußeren Sinne, die Einbildungskraft treten in Thätigkeit als Werkzeuge des vernünftigen Wesens, um die.einzelnen Erscheinungen mit dem im Innern befindlichen Wesen oder Vermögen für das Sein und Erkennen zu vergleichen; die einen dieser Erscheinungen werden verbunden, die anderen getrennt; bis am Ende als Erzeugnis aller Erkenntnisvermögen als Grenze und Schlußpunkt des Denkprozesses dasteht innerhalb der Vernunft: das Wort mit seiner Anwendbarkeit auf das Einzelne. Ist dieses Wort das einzelne thatsächliche Erkennen? Nein; zu solchem Alte gehört wieder die Thätigkeit der Sinne, welche die äußeren, einzelnen Erscheinungen gegenwärtig halten. Aber das Wort ist die allgemeine Richtschnur, das bestimmende Maß für den betreffenden einzelnen Erkenntnisakt. Der letztere kommt und geht; das Wort bleibt. Der Erkenntnisakt wird allmählich vollkommener, ein das Einzelne mehr durchdringender und zusammenfassender; das Wort ist immer unveränderlich. Das Wort ist immer rein, nur immer das Allgemeine besagend und immer alle betreffenden Einzellheiten gemäß der Gattungsstufe bestimmend; wogegen der thatsächliche Erkenntnisakt auf das einzeln Stoffliche sich richtet, das Bestimmbare zum Gegenande hat, nur das wechselvolle Einzelne unmittelbar erkennt. Im dritten Zeichen fällt die Kreatur,“ hatte oben Thomas, gesagt. Der Ausgang des Wortes vom Vermögen der Vernunft, das da alle anderen Vermögen unterstützen; der ist auch im Geschöpfe ein durchaus innerlicher. Das Wort als Erzeugnis und Schlußpunkt des Denkprozesses bleibt im erkennenden Vermögen des Geschöpfes und trägt auch selber den Charatter des Vermögens; es ist nur anwendbar auf das einzelne, nicht thatsächlich angewendet. Das Wort ist das Erkenntnisvermögen, insoweit dieses geformt und anwendbar auf das Einzelne ist. Aber damit ist auch die Vollendung des Erkenntnisprincips für uns zu Ende. Das wirkliche Erkennen bewegt sich im Vergänglichen, Stofflichen, Einzelnen; mit einem Worte, im Nichtseienden viel mehr als im Seienden. „Im dritten Zeichen fällt“ die geschöpfliche Erkenntnis von der Innerlichkeit ab. In solchem Worte innerhalb der Vernunft ist die allgemeine Richtschnur, daß wir alle Flüsse immerdar trotz und in all ihrer Verschiedenheit untereinander mit dem einen Namen „Fluß“ bezeichnen. Wir sprechen alle diese Flüsse aus; sie werden alle gesprochen im einen Worte: Fluß. Alle diese tausend Pflanzen mit allen ihren endlos vielen Einzelheiten werden gesprochen im einen Worte: Pflanze. Alle Steine der Welt werden gesprochen in all ihrer Wirklichkeit im einen, indifferenten Worte: Stein. „Im einen Worte wird gesprochen,“ so Thomas oben, „die ganze Dreieinigkeit, der Vater, der Sohn und der heilige Geist und alle Kreaturen, wirklche und mögliche, seiende und nichtseiende; aber nur der Vater spricht das eine Wort.“ Setze an die Stelle Fluß, Stein, Pflanze, an die Stelle der vielen Worte in uns, setze an diese Stelle das Wort des Allseienden; — und in einem Wort wird all dieses Sein, mit all seiner Einheit und Verschiedenheit, wird alles gesprochen. Die Dreieinigkeit wird durch dieses über alles mächtige Wort gesprochen, indem der Vater sein reines Sein schauet; die Kreaturen werden gesprochen, indem der Vater schauet, daß außer seinem Sein und Wirken in der Wirklichkeit nichts, nur das Nichts ist. Hast du eine Vollkommenheit in dir? Sie mag heißen wie sie will; sie ist gesprochen im göttlichen Worte. Da oben besteht sie als ganz dieselbe Form und Schönheit, wie sie in dir ist; nur daß sie bei dir und in dir rein Vermögen, schwacher Schatten ist und dort oben reine wirkende Wirklichkeit. „Im dritten Zeichen fallen wir ab;“ eben weil das Vernunftvermögen in uns zusammen mit dem Worte nur immer im Bereiche des Vermögens dafür bleibt, auf das Einzelne angewandt zu werden und weil nur im Zustande des Vermögens in uns jegliche Vollkommenheit sich befindet. Das wirkliche Erkennen in ims ist nicht reine Vernunft, ist nicht das Wort; der wirkliche Erkenntnisakt senkt seine Strahlen in den Abgrund des Stoffes. In Gott aber ist der Erkenntnisakt, das reine thatsächliche Erkennen wieder wesentlich; es ist Stein, es ist Wesen, Substanz; es ist nicht das Wort; es ist nur im Worte geschaut. Aber der Alt des Schauens und das geschaute Sem ist ein und dasselbe. So hatte Thomas eben gesagt. Siehst du, wohin du die Strahlen deines eigenen Wortes im Innern der Vernunft aufrichten mußt vom Abgrunde des Stoffes heraus? In die Heimat deiner Worte hinauf. Da, im göttlichen Worte, da sind deine Worte nicht mehr bloße Worte; da sind sie Wirklichkeit; da sind sie reines volles Sein. Das Wort „Reichtum“ ist in dir. Wende es nicht nach unten; hier hat es keine reine Wirklichkeit; nur ruheloses Vermögen hat es hier. Richte den Lichtstrahl dieses Wortes nach oben; da sind wirkliche Schätze, „welche kein Rost und keine Motten verzehren.“ In deiner Vernunft ist das schöne, bewundernswerte Wort „Ehre“. Daß die Strahlen dieses Wortes nicht im Kothe sich verlieren. Richte sie auf zum wirklichen reinen Worte, wo nichts als Ehre und Herrlichkeit ist. Sage mit dem Apostel: „Für Schmutz und Kot habe ich erachtet alle weltliche Weisheit und alle Güter der Erde; damit ich Christum gewinne.“ Hier liegt vor uns die Verherrlichung, welche der Vater seinem Eingeborenen bereitet hat schon hier auf Erden, nachdem der Sohn den Vater verherrlicht hatte. Paulus hat es verstanden, wie jene, „die da vorhergesehen und vorherbestimmt sind“, nun kraft der göttlichen Gnade „gleichförmig werden sollen dem Sohne“. Der Sohn war bestimmt, in seinem eigenen Leibe zu zeigen das Nichts des Geschaffenen und die Herrlichkeit des Ungeschaffenen. Er war bestimmt, der Führer und König zu werden aller Auserwählten, „auf daß in seinem Namen sich aller Kniee anbetend beugen im Himmel und auf Erden und unter der Erde.“ Er hat dem Vater gehorcht, indem Er Schmach und Spott, Schmerz und Leid, das Kreuz, den Tod selber mit aller Liebe umarmte. Er hat sichtbar gezeigt, wie Nichts auf Erden Wert hat vor dem einzig herrlichen Willen des Vaters; wie also dieser Wille alles Gut, alle Herrlichkeit, alles Leben als Urquelle in Sich einschließt. Er hat aufgerichtet alle menschlichen Worte zum eigenen ewigen Worte! Und der Vater hat Ihn sichtbar vor Aller Welt verherrlicht. „Ich habe verklärt und werde verklären;“ so erscholl es kurz vor seinem bitteren Leiden vom Himmel. Seine Ohnmacht, seine Thorheit vor der Welt, sein Tod haben die Alleinherrschaft in der Welt gewonnen. „Alles hat Er Ihm zu Füßen gelegt.“ „Alles wegen der Auserwählten, die Auserwählten aber sind Christi. Christus ist Gottes.“ Die Thorheit Christi ist reinste Weisheit geworden; seine Ohnmacht die Wiederherstellung der Welt; sein Tod das Leben der ihm gehörigen Seelen. Keiner kommt zu seinem Heile außer durch den „einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen“. Er, der Menschensohn allein unter allen Menschen, „fiel nicht im dritten Zeichen;“ und die Ihm folgen, „können darin auch nicht fallen.“ Denn der Vater hat Ihm seinen allmächtigen Geist gegeben; und dieser nimmt von dem, was Christi ist und verherrlicht es in erhabenstem Glänze. Welchen Triumphzug hat Christus gehalten durch die Zeiten hindurch! Einen wie großen hält Er noch! Die edelsten Geister der Welt werfen alles fort, nur um Ihm zu folgen, um an seiner Schmach, an seinem Tode, an seiner Ohnmacht Anteil zu haben. „Herr,“ das ist ohne weiteren Beisatz sein Name. Nichts hat Er notwendig, um zu herrschen, weder den Blick seines Auges noch die Macht seines Wortes, noch die Erhabenheit seiner Gestalt. Er herrscht, weil der Vater so will, weil der Geist mit der Liebe zu Ihm, dem Gekreuzigten, die Herzen erfüllt. Denn — und das ist das Geheimnis der Herrschergewalt Christi — Christus herrscht immerdar als fleischgewordenes Wort des Vaters durch den Tod, durch das Kreuz. Er stellt in seiner Kirche, in allen seinen Heiligen, beständig sichtbar vor, wie außer Gott nichts ist und wie deshalb kein Gut Wertschätzung hat ohne den Willen des Vaters, wie aber selbst die schwersten äußeren Übel Ziel der brennendsten Sehnsucht werden, wenn Gott sie sendet: „Ich sehne mich danach, aufgelöst zu werden,“ ruft Paulus aus, nachdem er „alle Güter der Erde für Schmutz erachtet“. Und Andreas ruft aus als er das Schmerzenswerkzeug sieht: „O kostbares Kreuz, so sehr ersehnt, und nun endlich bereit für mich; nimm mich auf und trage mich zu dem, der durch Dich mich erlöset hat.“ Die Verfolgungen, welche der Kirche, welche den Heiligen bereitet werden, sind dqs glänzendste sichtbare Zeugnis von der allüberragenden Gewalt Christi, der als einziges Wort des Vaters fortwährend lehrt, wie wir die Schönheiten und Vollkommenheiten, welche uns in so vielen Gütern unserer Seele und unseres Leibes verliehen worden, als eben so viele Zeichen und Formen benutzen sollen, um nach oben uns zu sehnen, wo ihre Vollendung, ihre Reinheit, ihre Wirklichkeit ist. Die Feinde Christi sind Ihm von vornherein unterworfen. Wie an den Thoren der Kathedralen, am Taufbecken, an den Altären oft genug Drachen und ähnliches Getier in gezwungener, dienender Stellung ausgemeißelt sind und so zur Pracht des Baues beitragen; so dienen gezwungen die Feinde, die Ungeheuer der Sünde und der Leidenschaften mit einbegriffen, durch ihre Verfolgungen dem Herrn; denn sie machen wider Willen bekannt, welche überwältigende Macht der Herr durch den Willen des Vaters und den Geist der Liebe besitzt. „Alles ist mir vom Vater übergeben worden.“ Nun wenn der Herr alles hat, so kann seiner Macht nichts fehlen. Wollen wir Mitbesitzer werden dieser Macht? Seien wir seine Abbilder! Er ist als eingeborenes Wort des Vaters das lebensvolle Urbild. Denn Er ist hervorgegangen in vollster Einheit vom Vater und nichts trennt Ihn von Ihm. Nichts ist ohne Ihn. Er hat vor aller Welt die eine, alles umschließende Macht des Vaters hier auf Erden verherrlicht, so daß es nun gleichsam sichtbar wie im Bilde, das der Schöpfung aufgedrückt worden, erscheint, was der Apostel sagt: „Wenn Gott für uns, wer kann gegen uns sein.“ „Wer widersteht seinem Willen!“ „Weder Tod noch Leben, weder Gegenwart noch Zukunft, weder Mächte noch Gewalten oder Fürstentümer, keine Furcht oder Angst oder Bedrängnis werden mich trennen von Christo.“ Er sei die Form, das Bild, nach dem wir wandeln. Die Kraft dazu giebt jener, von dem der Apostel sagt: „Der da vorausgewußt und vorausbestimmt hat, die da gleichförmig werden sollen seinem Söhne.“
