Fünfundvierzigstes Kapitel. Über die Art und Weise wie die Kreaturen von Gott ausgehen Überleitung.
„Ich habe gedacht aller deiner Werke: und in den Werken Deiner Hände habe ich betrachtet.“ (Ps. 141.) Und wozu führt den Psalmisten diese Betrachtung? Zur Freude über einen so gütigen Gott! „Du hast mich ergötzt, Herr, in dem, was Du gewirkt und aufjauchzen werde ich in den Werken Deiner Hände.“ (Ps. 91.) Denn „von der Herrlichkeit des Herrn ist voll sein Werk; und seine Weisheit hat Er ausgegossen über alle seine Werke“. (Ekkl. 42.) Verstehen, Tag und Nacht vor Augen haben sollen die Menschen die Werke Gottes. Denn „weil sie nicht verstanden die Werke des Herrn; wirst du sie zerstören zum Ruhme der Werke seiner Hände, damit jeder wisse, welche einzige Kraft denselben innewohnt; und nicht wirst du sie aufbauen“. (Ps. 27.) Gott würde nicht die erstwirkende Ursache sein, wenn Er nicht von allem das erste leitende Exemplar in Sich hätte. Und du, o Mensch, wirst nichts Erhebliches hervorbringen, wenn du dir nicht eine hervorragende Idee als leitende Richtschnur deiner Handlungen vor Augen hältst, auf welche du deinen Blick zu richten hast, wenn du wirkst. Alles würde ungeordneter Weise rein aus Zufall geschehen, wenn nicht immerdar die göttlichen Exemplarideen allem vorleuchteten und jeglicher Thätigkeit Zahl und Maß bestimmten. Der Mensch zudem wird ungeordneterweise und ohne wirklichen Nutzen in seinem Wirken vorgehen, wenn er nicht als die leitende Idee Gott betrachtet, nach dessen Bilde und Gleichnisse er geformt ist. „Dahin schaue; und thue nach dem Muster und Modell, welches dir auf dem Berge gezeigt worden.“ Wirst du dann einmal schwach; Er wird dich aufrichten, der dich gemacht hat. Auf Ihn blicke, damit du wahrhaft lebst, d. h. damit du zu deinem eigenen Wohle, für deine Vollendung lebst. Die Eitlen lieben den Spiegel und hören nicht auf, hineinzusehen, ob ihre Gestalt in solch äußerer Erscheinung sich darstelle, wie dies die eingebildete Form, die sie in sich haben, das fälschlich so genannte „Ideal“, das Ideal der Eitelkeit, welches am Ende sie selber sich geschaffen und in ihre Einbildung eingeprägt haben, wie dies eine solche leere Form verlangt. Aber du hast einen schöneren, durchaus maßgebenden Spiegel, welcher nicht irgend welche Form wiederstrahlt, die in deiner Einbildung allein ihren Grund hätte, sondern von dem die Weisheit des Höchsten, der Glanz der alles leitenden Ideen abstrahlt und in deine Seele sich senkt. Das ist „der Spiegel ohne Makel“, durch den alles gemacht worden. Dahinein schaue: und bist du schön, so wirst du noch schöner werden; bist du häßlich, so wirst du das merken und es bessern. „Die maßgebende Form,“ sagt der große Leo (Serm. 3 Qudrag.), „für den Wandel der Gläubigen kommt vom Muster der Werke Gottes; und mit Recht fordert Gott, daß man Ihm nachfolge, von denen, die Er gegründet hat nach seinem Bilde und nach seinem Gleichnisse.“ Man erzählt sich von einem Künstler, der, wenn seine Augen müde geworden waren vom genauen und beständigen Anschauen des Modells, nach welchem er arbeitete, einen in außerordentlich sanfter grüner Farbe strahlenden Smaragd anblickte und so seinen Augen Erholung brachte. Wir haben bis jetzt in den ersten zwei Abhandlungen des ersten Teiles auf das göttliche Modell selber geschaut; die Augen unseres Geistes sind müde geworden. Richten wir dieselben auf die süßen Kreaturen, welche aus der Güte des Ewigen hervorgeflossen sind. Es wird uns dieser Anblick vielmehr erquicken als anstrengen. Denn diese Kreaturen sind uns von Natur aus verwandt. Unsere Augen schauen sie, unser Ohr hört sie, unsere Hände fühlen sie. Sie sind gleichsam das natürliche Feld, auf welchem unserer Vernunft die gebührende Nahrung wächst. Dieselbe ist von Natur auf die Wesenheiten gerichtet, insoweit dieselben im Stoffe sind. „Du hast mich ergötzt“ — diese Erfahrung machte bereits der Psalmist „in den Werken Deiner Hände und ich jauchze auf in dem, was Du gewirkt“. Und nachdem er „in den Werken Gottes betrachtet hat und nachgedacht über die Gebilde seiner Hände“, da entsteht in ihm jenes freudevolle Verlangen, welches allen Sinn übersteigt, beständig sättigt und beständig begehren läßt: „Ausgebreitet habe ich zu Dir meine Hände; meine Seele ist wie der Erdboden ohne Wasser vor Dir.“ Das Exemplar, das uns in der Betrachtung des Einen, Dreieinigen entgegengeleuchtet hat, wird uns auch von unten, von den Kreaturen her entgegenleuchten; — aber die Farben werden gewissermaßen uns vertrauter sein. Wir fühlen es ja täglich, daß unser Wesen, unsere Substanz „wie ein Nichts vor Gott“ ist; daß sie nämlich täglich, soweit es auf das Wirklichsein ankommt, wechselt und nimmer dieselbe bleibt. Wir fühlen es, daß unser Eigen nichts Anderes ist wie Vermögen, etwas zu werden; und dieses Vermögen selbst, das uns die Richtung anzeigt, um unsere Vollendung zu erreichen, hat Gott uns gegeben. Wir fühlen es und erproben es täglich, daß alle Wirklichkeit hier auf Erden leer ist: Schein, wenn sie etwas in sich uns dünken will; wahre Wirklichkeit erst dann, wenn wir als den leitend maßgebenden Grund von ihr Gottes Willen und Gottes Weisheit annehmen. Auf dieser in sich so schwankenden, mit Beziehung auf die göttliche Ursächlichkeit und Bestimmung aber über alles Vermögen festen Wirklichkeit baut sich unser Wesen, bauen sich unsere Fähigkeiten, baut sich unser Erkennen und Wollen auf. Erkennen wir wahrhaft Gott als den alleinigen Grund des Wirklichen und wollen wir thatsächlich, wie Er und was Er bestimmt; so ist Er es in seinen drei Personen in uns, Er ist es, der unser Kennen und Wollen auf Sich selber richtet und unserem Erkennen und Wollen frei selbständige Thätigkeit allem Geschöpflichen gegenüber verleiht. Unter Ihm, dem Dreieinigen, nehmen wir dann den Meißel der Tugenden zur Hand, damit wir aus unserer Seele jenes Bild herausmeißeln, welches dem in Gott befindlichen Urbilde ähnlich ist.
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