Zwanzigstes Kapitel Die Liebe Gotte. Überleitung.
Du aber, o Herr! erbarmst Dich jeglichen Seins und Nichts hassest Du, was Du geschaffen; alles hast Du lieb, was da ist.“ Sap. 11, 25. Der Psalmist giebt uns in seinen erhabenen Psalmen den treffendsten Ausdruck für diese Liebe. „Die Liebe macht eins,“ sagt der Engel der Schule. Nun wohl; der Psalmist scheint ganz gewohnt daran zu sein, seine Ehre mit der Ehre Gottes gewissermaßen zu verwechseln, die Verunglimpfung Gottes als eigene Schande zu betrachten; das Mein und Dein scheint bei Ihm rücksichtlich Gottes gar nicht verschieden zu sein: „Zu Schanden sollen wrden die Hochmütigen, die unrecht thun an mir: ich aber will in deinen Geboten nachdenken. Zu mir sollen sich wenden, die Dich fürchten: und die da kennen Deine Gebote. In Deinen Rechtfertigungen soll mein Herz ein unbeflecktes weden: dann werde ich nicht zu Schanden werden...“ „Meine Lippen werden Dein Wort aussprechen.“ „Erhöre mich in Deiner Gerechtigkeit,“ fleht er einmal (Ps. 142.); und: „Gott meiner Gerechtigkeit,“ nennt er Gott ein andermal.“ (Ps. 4.) Noch schneidender im 16. Psalm: „Erhöre, Gott, Du, meine Gerechtigkeit.“ Meine Gerechtigkeit, meine Barmherzigkeit; in solchen Ausdrücken zeigt der Psalmist so recht an, bis zu welchem Grade die Liebe Gottes geht. Einheit ist sie, die innigste Einheit Zwischen Schöpfer und Geschöpf; zwischen Freund und Freund; zwischen der Braut und dem Verlobten ihrer Seele. „In ewiger Liebe habe ich dich geliebt; deshalb habe ich dich an mich gezogen, mich deiner erbarmend,“ spricht der Herr beim Propheten. Dies ist der Ausdruck für die Liebe, welche den Schöpfer mit dem Geschöpfe verbindet. Er hat es aus dem Nichts gezogen. Er hat ihm ein Wesen gegeben, daß es würdig teilnehme an der Schönheit der Welt, seinerseits sich ergötze und wieder anderen zur Freude diene. Er hat ihm Vermögen verliehen, daß es selber je nach seiner Natur arbeite an seiner Vollendung. Er hat ihm solch eigentümliche und zugleich offenkundige Eigenschaften zugeteilt, daß es sich unterscheide sogar von allen seinesgleichen und eine eigene Selbständigkeit gemäß seiner Seinsstufe beanspruchen dürfe. Wirklichkeit gab Er seinem Geschöpfe, daß es nun aus sich heraus thätig sei in Verbindung mit allem anderen, gestützt in allem auf seinen Gott. „Angezogen wahrlich hat Gott das Geschöpf.“ Soweit auch immer eine Einheit besteht zwischen ihm und Gott, und so tief sie auch geht; Gott allein ist sie geschuldet; seiner Kraft nämlich, seiner Güte, seiner Gegenwart. Gott schaut jegliches Geschöpf an; und dieser Blick erhält dasselbe immerdar. Denn aus diesem Blicke eben fließt als Eigentum ins Geschöpf Substanz, Kraft, Vermögen für alle seine Thätigkeit. Nur wer etwas zu eigen hat, der kann dementsprechend zu eigen geben. Gottes Sein ist sein; Er kann davon den Geschöpfen geben, daß auch sie wirklich sind, Wirklich leben, wirklich thätig sind . „Wie ein Nichts ist, an sich betrachtet, mein ganzes Wesen vor Dir;“ so spricht jede Kreatur zu Gott. Denn wenn Gott das geschöpfliche Sein schaut; da schaut Er nur Sich selbst, seine eigene Kraft schaut Er, die da wirkt, was an Sein und Wirklichkeit im Geschöpfe vorhanden ist. „Dein bin ich, rette mich.“ So löst der Psalmist das Rätsel, das er uns eben in seiner Redeweise gegeben. Der Freund spricht so zum Freunde. Was dem Freunde gehört, gehört auch mir. Die Mutter wünscht das Beste ihrem Kinde und sieht dessen Ehre und Bevorzugung für die ihrige an. Christliche Seele, höre diese Sprache! Der heilige Geist warnt: „Verlasse nicht einen alten Freund; es könnte der neue ihm nicht gleichen.“ Laß dich nicht täuschen durch die Worte: „Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest;“ es ist dies in der Zukunft gesprochen; — und auch nicht von jenem anderen Ausspruche lasse dich verführen: „Ihr werdet Gott gleich sein.“ Willst du den „alten Freund“ erkennen? Schau' darauf, was Gott dir schon gegeben hat. Er hat noch nie, dein Gott, dir etwas verheißen für die Zukunft, ohne daß Er nicht bereits ein Pfand für die Gegenwart gegeben hätte. Er giebt — und dann erst, auf Grund dessen erst verheißt Er. Der Feind unserer Seele giebt nie etwas, er verheißt nur; denn er besitzt nichts. Gott hat dir als Pfand seiner Liebe zuvörderft bereits gegeben diese ganze schöne Welt: „die Welt übergab Er ihren Forschungen.“ Gott hat dir als Pfand bereits gegeben seinen eingeborenen Sohn: „So hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen eingeborenen Sohn dahingab.“ Und damit nicht zufrieden läßt er diesen Sohn bei dir als Pfand allezeit hindurch als Speise und Trank, als Opfer und Priester: „O heiliges Gastmahl,“ wiederholt ja die Kirche so oft nach dem Engel der Schule, „in welchem Christus genommen wird; das Andenken an sein bitteres Leiden wird erneuert und ein Pfand für die ewige Seligkeit gegeben.“ Und wie soll da die ewige Herrlichkeit nicht sicher sein, wo der persönliche Träger und Sitz dieser Herrlichkeit selber bereits lebendig unsere Herzen nährt. O sage voll Inbrunst vielmehr mit dem Psalmisten: „Dein bin ich, o Gott; rette mich.“ Denn nur deshalb will Gott, daß du Ihn liebest; damit Er dir mehr geben, damit Er dich retten kann. Gott ist mit der vernünftigen Seele in weit erhabener Weise eins, wie mit den übrigen. Geschöpfen. Er giebt ihr das Höchste, was Er in Seiner Natur besitzt; das, was am meisten eint, was das festeste Band bildet. „Eine dreifache Schnur reißt schwer.“ Die vernünftigen Seelen sind an Gott gebunden durch die Natur, welche sie gleich den anderen Wesen von Gott empfangen. Dann sind sie an Gott gebunden durch zwei Thätigkeiten, welche gleichermaßen Gott hat und kraft deren sie Gottes Bild, der Abglanz seiner eigenen Thätigkeit sind: Sie erkennen Gott und in Ihm und durch Ihn als der wirkenden Ursache das Wesen der Kreatur; sie lieben Gott als ihr höchstes Gut und nur in Ihm und in seine Kraft als dem Zwecke von allem lieben sie wahrhaft auch die Kreatur. Wahrheit besitzen sie, ähnlich wie Gott die Wahrheit ist. Güte haben sie, ähnlich wie Gott die Güte ist. Frei sind sie von allen kreatürlichen Banden ähnlich wie Gott es ist. Dn Unterschied ist nur der, daß sie es in jedem Erkenntnisakte von Gott als der wirkenden Ursache unmittelbar haben, wenn sie Wahrheit erkennen; daß sie in jedemWillensakte es unmittelbar von Gott empfangen und seinem Einwirken es danken, daß sie losgelöst von den Fesseln der Kreatur frei nach dem höchsten Gute streben, wie dieses selber es bestimmt; — während Gott seinem ganzen Wesen nach Erkennen, Lieben, Selbständigkeit ist. Hat doch Thomas so treffend scharf in einem der letzten Artikel gesagt: „Die freien geschöpflichen Ursachen wirken nicht deshalb mit Freiheit, weil ihr Vermögen dies verursacht und weil dann demgemäß, nämlich nach Maßgabe dieses Vermögens, Gott das Sein und die Wirklichkeit giebt; nein, sie wirken mit Freiheit, weil Gott in seiner allüberragenden Kraft das so will und weil Er deshalb auf Grund dieser Kraft ihnen Vermögen gegeben, in denen Er selber das Freie in erster Linie wirkt und wo von den Vermögen nur das kommt, daß sie auch nicht wirken können.“ Die Vernünftige Seele muß sich zu allererst und am allereindringlichsten unter allen Kreaturen zu Gott wenden; denn sie bedarf seines unmittelbar einwirkenden und dadurch alles Einwirken seitens der Kreaturen bestimmenden und bemessenden Einflusses mehr als alles Andere. „Dein bin ich,“ sagt der Psalmist, und um zu zeigen, worin die innige Liebe, die ihn mit Gott verbindet, besteht, fügt er hinzu: „Rette mich.“ Empfangen wollen; — das ist die Liebe zu Gott in der Seele. Mehr von seinem Einflusse haben. Ihm näher sein wollen; — das ist der Ruf, den das Feuer der Liebe in ihr entzündet. Ist das nicht Eigennutz? Nein. Ist das wahre Liebe? Ja und tausendmal ja. Wohin zieht denn die Einwirkung Gottes? Zu Ihm notwendig. Die Seele will also damit, daß sie ihren eigenen wahren Vorteil bezweckt, nichts als Gottes Ehre, nur seine Ehre erstrebt sie. Getaucht in den Strom der Gnabe begehrt die Seele nichts als nach Gott, nach seiner Verherrlichung. In heiligem Vergessen ihrer selbst wird sie Gottes; und Gott wird ihr Eigentum. Das ist die innigste Verbindung, die der Geist wohl ahnen kann, aber nicht mehr beschreiben: die Verbindung zwischen der Braut und dem Verlobten. Zu solcher Einheit führt Thomas, mit seiner Lehre; zu einer Einheit, kraft deren die Kreatur nie ihrer Abstammung vergißt und nie dessen, was sie ihrem Wesen nach ist; wo aber Gott als die wirkende Ursache dermaßen das Sein der Seele durchdringt, saß da nur Er erscheint mit seiner Schönheit und Heiligkeit; und daß die Seele Ihn nur loben kann, „indem sie sein eigenes Wort ausspricht.“ Diese Einheit feiert, der heilige Bernardus mit folgenden schönen Worten: „Wenn Gott uns schafft, sich unser erbarmt, uns erhält, uns hilft, uns Wohlthaten spendet; wir können nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Wenn Er uns aber liebt, wir können Ihn wieder lieben. Die Liebe allein ist es unter allen Bewegungen der Seele, unter allen Sinnen und Affekten, worin die Kreatur, wenn auch nur in etwa, Ähnliches mit Ähnlichem vergelten kann. Zürnet mir Gott? Kann ich Ihm wieder zürnen? Nein; zittern werde ich, beben und um Verzeihung flehen. Überführt Er mich? Ich kann Ihn keines Unrechts überführen; Er wird vielmehr aus mir gerechtfertigt. Richtet Er mich? Ich werde Ihn nicht richten, sondern anbeten seine Gerichte. Er rettet mich; aber Er bedarf es nicht, daß ich Ihn einigermaßen rette. Alle befreit Er und von keiner Seite hat er notwendig, befreit zu werden. Er herrscht; ich muß dienen. Er befiehlt; ich muß gehorchen. Er liebt; und Er will geliebt werden. Aus keinem anderen Grunde liebt er mich als damit ich Ihn wieber liebe. Er weiß, daß jene durch die Liebe selber selig sind, welche Ihn geliebt haben.“ O glückseliger Wiederhall der Worte aus dem Herzen der Kreatur!: „Du, Herr! erbarmst Dich aller Dinge und Du liebst alles, was da ist und nichts hassest Du von dem, was Du geschaffen.“ Oder wie der Herr selber in Osee sagt: „Ich will sie aus freiem Ratschlüsse lieben.“ Süßer Verkehr Gottes, der liebt, und der Seele, die da wieder liebt. Was ist gerechter? „Wahrlich,“ sagt Augustin (l. de catech. rudibus 4.), „allzuhart ist ein Herz, das da, wenn es nicht lieben wollte, auch nicht wieder lieben will.“
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