Erster Artikel. Die vom Leibe getrennte Seele kann etwas erkennen.
a) Dem gegenüber sagt I. Aristoteles: „Das Erkennen der Vernunft vergeht, wenn alles Innerliche im Menschen aufgelöst ist.“ Durch den Tod aber werden alle inneren Organe des Menschen aufgelöst. Also. II. Durch die Fesselung der Sinne wird die menschliche Seele im vernünftigen Erkennen gehindert. Der Tod aber nimmt die Sinne und die Einbildungskraft ganz fort. Also nach dem Tode besteht überhaupt kein vernünftiges Erkennen mehr. III. Die menschliche Seele müßte nach ihrer Trennung vom Leibe doch jedenfalls vermittelst einiger Ideen verstehen. Es sind dies aber 1. keine angeborenen Ideen; denn im Anfange ist die Vernunft wie eine Tafel, auf der nichts geschrieben steht; — 2. sind es keine Ideen, die es von den Phantasiebildern loslöst, denn die Seele hat da weder Sinne noch Phantasie; — 3. sind es keine Ideen, die früher losgelöst worden und nun in der Seele verbleiben; denn in diesem Falle würde die Seele eines unmündigen Kindes nach dem Tode nichts verstehen; — es sind 4. keine Ideen, die Gott einflößt, denn das wäre Gnade und nicht naturgemäße Kenntnis; hier aber handelt es sich um die Natur. Also versteht überhaupt die Seele nichts nach dem Tode. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (1. de anima): „Hat die Seele keine ihr eigene Thätigkeit, so begegnet es ihr nicht, daß sie getrennt bestehen bleibt.“ Die menschliche Seele aber bleibt getrennt vom Leibe bestehen. Also hat sie eine ihr eigene Thätigkeit und zwar in erster Linie die des Erkennens.
b) Ich antworte; dieser Punkt habe keine Schwierigkeit nach dem Systeme Platos. Denn ist die Verbindung mit dem Leibe für die Seele nur ein Hindernis für das Erkennen; so bleibt das Erkennen um so mehr, wenn das Hindernis gehoben worden. Dann aber wäre die Verbindung mit dem Leibe nicht zum Besten der Seele als der bestimmenden Wesensform, sondern zum Besten des Körpers; was unvernünftig erscheint. Denn die Form ist nicht da wegen des Stoffes; sondern der Stoff ist da, um der Form zu dienen. Wird aber angenommen, es sei der Vernunft im Menschen natürlich, daß sie, um thatsächlich zu verstehen, sich zu den Phantasiebildern wendet; so entsteht die Schwierigkeit, wie die Seele, deren Natur doch nach dem Tode nicht geändert wird, thatsächlich erkennen kann, da Phantasiebilder ihr dann nicht mehr gegenwärtig erscheinen. Hier muß nun erwogen werden, daß nichts thätig ist außer gemäß der Weise wie es thatsächliches Sein hat; wie also die Art und Weise der Thätigkeit der Art und Weise des Seins folgt. Die Seele aber hat nun, getrennt vom Körper, eine andere Art und Weise zu sein, wie in Verbindung mit dem Körper; trotzdem die Natur der Seele immer dieselbe bleibt. Nicht als ob es nicht aus ihrer Natur folgte, daß sie mit dem Körper verbunden war; — sondern wie eine leicht wiegende Sache ihrer Natur nach nicht verändert ist, wenn sie den Platz erreicht hat, in welchem sie ruht, weil er ihr natürlich ist; trotzdem sie dann nicht mehr in Bewegung ist, um ihn zu suchen. Der Seinsweise also, welche die Seele hat während ihrer Verbindung mit dem Körper, entspricht es, daß sie sich zu den sinnlichen Phantasiebildern wendet, um da ihren Erkenntnisgegenstand zu suchen. Der Seinsweise aber, welche sie getrennt vom Körper hat, gebührt es, daß sie das Erkennbare, das ihr Gegenwärtige, was sie vorher gesucht hat, nun einfach erfaßt, ohne der Phantasiebilder zu bedürfen. Sonach ist der Seele die Art und Weise zu erkennen durch das Zuwenden zu den Phantasiebildern natürlich, wie auch das Verbundensein mit dem Körper. Daß sie aber getrennt vom Körper besteht, das ist außerhalb ihrer Natur; es ist die Ruhe und der Zielpunkt der Natur. Und ebenso verhält es sich mit dem Erkennen, das der Phantasiebilder dann nicht mehr benötigt. Deshalb also wird die Seele mit dem Körper verbunden, damit sie so mit Hilfe der Phantasiebilder thätig sei gemäß ihrer Natur und ihr Ziel oder ihre Ruhe erreiche. Da entsteht aber eine neue Schwierigkeit. Denn weil ein Ding immer dahin von Natur aus strebt, was besser ist (besser aber ist es zu verstehen durch einfaches Auffassen wie mit Hilfe der Phantasiebilder), so hätte Gott die Seele so einrichten müssen, daß die rein natürliche Weise zu erkennen die bessere und erhabenere wäre; daß sie also nicht bedurft hätte, mit dem Körper verbunden zu werden. Darauf ist zu antworten, daß das einfache Auffassen des Erkennbaren, also die Zuwendung zu Höherem, wohl an sich betrachtet besser ist als das Erkennen mit Hilfe der Phantasiebilder; für die Seele aber, soweit das in Betracht gezogen wird, was ihr möglich war, wäre diese vorzüglichste Art Erkennen unvollkommener gewesen. Denn in allen geistigen Substanzen ist die Erkenntniskraft dem Einflüsse des göttlichen Lichtes zu danken. Dieses ist nun in seinem ersten Princip ein durchaus wesentlich einiges und einfaches. Je mehr aber die geistigen Kreaturen sich von diesem Princip entfernen, desto mehr wird das davon ausgehende Licht geteilt und Unterschieden zugänglich; wie wir das bei Linien sehen, die von einem Mittelpunkte ausgehen. Und daher kommt es, daß Gott vermittelst seines einen Wesens versteht. Die höheren geistigen Substanzen jedoch verstehen schon durch mehrere Ideen; wenn es auch wenigere sind als jene, vermittelst deren die niedrigeren geistigen Substanzen verstehen. In den niedrigen Stufen der geistigen Substanz aber sind die Ideen oder Erkenntnisformen zahlreich, eine jede weniger umfassend und weniger wirksam, um die Gegenstände zu begreifen; denn sie haben nicht denselben Grad der Erkenntniskraft wie die höheren. Würden also diese niedrigen Geist-Substanzen ihre Erkenntnisformen in jener umfassenden Allgemeinheit besitzen wie die höheren, so würde, da sie nicht dieselbe durchdringende Verständniskraft haben, die Folge davon sein, daß sie die Dinge nicht vollkommen, nicht in den Unterschieden des einen vom anderen, also nicht wie es einem jeden Dinge seiner eigensten Natur nach zukommt, erkennen; sondern nur das Gemeinsame, Gleichgültige würden sie in verworrener Weise erfassen. Das erscheint so recht bereits in den Menschen. Denn die da geringere Verstandeskraft besitzen, erhalten durch die allgemeinen umfassenden Auffassungen derer, welche durchdringender erkennen, nur eine unvollkommene, verworrene Kenntnis, bis ihnen die einzelnen Schlußfolgerungen im besonderen vorgelegt werden. Nun ist es aber offenbar, daß unter den vernünftigen Substanzen die tiefste Stufe einnehmen die menschlichen Seelen. Die Vollkommenheit des All verlangte dies, daß verschiedene Abstufungen in den Geschöpfen bestehen. Wenn also die menschlichen Seelen so von Gott eingerichtet wären, daß sie erkannten in derselben Weise, wie dies den stofflosen Substanzen zukommt; so würden sie keine vollkommene Kenntnis haben, sondern nur eine allgemeine, verworrene. Nur die allgemeinsten Principien etwa würden sie erkennen. Damit sonach die Seelen eine vollkommene, die Eigenheiten der Dinge und damit deren wechselseitigen Unterschiede umfassende Kenntnis erhielten, wurde ihnen eine solche Natur gegeben, daß sie mit den Körpern verbunden wurden und daß sie so von den sichtbaren Körpern selber die ihren Eigenheiten entsprechende Kenntnis entnähmen; wie etwa wenig begabte oder ungebildete Menschen nur durch beständige Hinweisung auf Beispiele aus dem Sichtbaren zur vernunftgemäßen Kenntnis angeleitet werden können. So also ist die Seele zu ihrem Besten mit dem Körper verbunden, damit sie genaue und vollkommene Kenntnis schöpfe dadurch, daß sie sich zu den Phantasiebildern wendet; und trotzdem kann sie getrennt vom Körper bestehen und da eine andere Art und Weise zu erkennen besitzen.
c) I. Aristoteles geht hier von der Voraussetzung aus (l. c.), „wenn die Vernunft gleichwie der Sinn an ein stoffliches Organ gebunden wäre;“ denn noch nicht hatte er den Unterschied gezeigt zwischen dem sinnlichen Empfinden und dem vernünftigen Verstehen. Oder er spricht da von jener Art zu erkennen, welcher gemäß man sich zu den Phantasiebildern wendet. Diese Art und Weise geht zu Grunde mit dem Körper. II. Dasselbe gilt von II. III. Die vom Leibe getrennte Seele erkennt nicht durch eingeborene Ideen; und nicht durch Ideen, welche sie loslöst vom Stoffe; und auch nicht durch solche Ideen allein, welche sie früher losgelöst hat und bei sich bewahrt. Vielmehr erkennt sie durch Ideen, welche der Einfluß des göttlichen Lichtes ihr mitteilt, so wie dies bei den anderen geistigen Substanzen der Fall ist, wenn auch in minder hervorragender Weise. Somit wendet sie sich, sobald es mit der Zuwendung zu den körperlichen Phantasiebildern ein Ende hat, sogleich zum höheren Sein. Und deshalb hört ihre Art und Weise zu erkennen nicht auf, naturgemäß zu sein. Denn Gott ist der erste Urheber nicht nur des unverdienten Gnadeneinflusses, sondern auch des natürlichen Einflusses.
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