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Wir müssen aber auch die (tiefere) Bedeutung dieser Begebenheiten der Reihe nach darlegen. Der Käufer des darin geschilderten Jünglings wird (in der hl. Schrift) als Eunuch bezeichnet; mit Recht; denn der Pöbel, der den Staatsmann kauft (Philo denkt an die Ochlokratie, die zu Zeiten in einigen griechischen Staaten bestanden hat, wo der leitende Staatsmann ein Demagoge ist, der ein Sklave des herrschenden Pöbels genannt werden kann, weil er dessen bösen Neigungen und Begierden nachgibt, um sich in seiner Stellung zu behaupten.), ist in Wahrheit ein Eunuch, der scheinbar im Besitz der Geschlechtswerkzeuge ist, die Zeugungsfähigkeit aber verloren hat, sowie die Staräugigen, obwohl sie im Besitz der Augen sind, tatsächlich des Augenlichts beraubt sind und nicht sehen können. Worin besteht nun die Ähnlichkeit des Pöbels mit den Eunuchen? Dass er unfähig ist Weisheit zu erzeugen (weisen Rat zu pflegen), wiewohl er glaubt Tugend zu üben; denn wenn ein Haufen zusammengewürfelter Menschen sich zusammenfindet, reden sie zwar schickliche Dinge, denken aber und handeln entgegengesetzt und geben Falschem vor Echtem den Vorzug, weil sie nur vom äusseren Scheine beherrscht werden und auf das wahrhaft Gute nicht bedacht sind. Deshalb hat auch sonderbarer Weise dieser Eunuch ein Weib; denn der Pöbel wirbt um die Begierde, wie der Mann um das Weib; auf ihre Veranlassung redet und tut er alles und sie macht er zu seiner Ratgeberin in allen Dingen, erlaubten und unerlaubten, grossen und kleinen, während er auf die Ratschläge der Vernunft am wenigsten zu achten gewohnt ist. — Sehr treffend nennt Moses ihn auch Oberküchenmeister; denn sowie der Koch für nichts anderes sorgt als für die unaufhörlichen und übertriebenen Gelüste des Leibes, ebenso begehrt der politische Pöbel nur das Vergnügen des Ohrenschmauses, durch das die Spannkraft des Geistes gelöst und gewissermassen die Nerven der Seele zum Erschlaffen gebracht werden. Wer kennt nicht den Unterschied zwischen Köchen und Ärzten? Diese bereiten mit aller Sorgfalt allein die zur Heilung dienenden Mittel, auch wenn sie nicht wohlschmeckend sind, die Köche dagegen nur die wohlschmeckenden Speisen, ohne sich um ihre Zuträglichkeit zu kümmern. Ärzten gleichen nun die Gesetze eines Volkes und die nach den Gesetzen ihres Amtes waltenden Beamten, Ratsherren und Richter, die in unbestechlicher Weise auf das Gemeinwohl und die allgemeine Sicherheit bedacht sind, Köchen dagegen die vielköpfigen Massen der jüngeren Bürger; denn ihnen liegt nicht das Heil (des Staates) am Herzen, sondern nur wie sie ihre augenblicklichen Gelüste befriedigen sollen.
