19.
Der in Gnaden wieder aufgenommene Obermundschenk aber vergisst den Jüngling, der ihm die Wiedereinsetzung vorausgesagt und ihm das ganze Unglück, das ihn betroffen, erleichtert hatte, vielleicht weil jeder Undankbare seiner Wohltäter uneingedenk ist, vielleicht aber nach dem Entschlusse der göttlichen Vorsehung, weil Gott wollte, dass dem Jüngling nicht durch menschliche, sondern durch seine Hilfe das Glück zu teil werde (Vgl. Midr. Beresch. R. c. 88 zu 1 Mos. 40,23: „Der Sinn der Worte „aber der Obermundschenk gedachte nicht des Joseph" ist dieser: der Obermundschenk hat dich vergessen, aber ich (Gott) habe dich nicht vergessen".). Denn nach Ablauf von zwei Jahren wird dem Könige das, was das Land treffen sollte, Glück und Unglück, in zwei Traumerscheinungen geweissagt, die zur besseren Bekräftigung beide dasselbe bedeuteten. Er sah nämlich im Traume, dass sieben fette, wohlgenährte und schön aussehende Kühe aus dem Flusse heraufstiegen und am Ufer weideten, dass nach ihnen sieben andere, magere, abgezehrte und sehr hässliche heraufkamen und mit den ersten weideten, dass dann plötzlich die besseren von den schlechteren verzehrt wurden, diese aber, nachdem sie sich so genährt, nicht im geringsten an Leibesfülle zunahmen, sondern noch dünner oder ebenso dünn aussahen. Nachdem er erwacht und wieder eingeschlafen war, bekam er eine zweite Traumerscheinung: sieben Weizenähren, die an einem Halme hervorwuchsen, von gleicher Grösse und von blühendem Aussehen, richteten sich kräftig in die Höhe; dann wuchsen sieben andere, magere und schwache in der Nähe empor, von denen in plötzlichem Ansturm der Halm mit den dicken Ähren verschlungen wurde. Nach dieser Erscheinung verbringt er den Rest der Nacht schlaflos — denn die quälenden und peinigenden Sorgen hielten ihn wach — und lässt am frühen Morgen die Weisen holen und erzählt ihnen den Traum. Als aber keiner mit annehmbaren Vermutungen der Wahrheit auf die Spur zu kommen vermag, tritt der Obermundschenk hervor und sagt: „O Herr, den Mann, den du suchst, haben wir Hoffnung zu finden. Damals als wir uns vergingen, ich und der Oberbäcker, befahlst du uns in das Gefängnis abzuführen; in diesem befand sich ein hebräischer Diener des Oberküchenmeisters (s. die Anm. zu § 27.), dem wir die Träume erzählten, die wir hatten; und er deutete sie so richtig und zutreffend, dass bei jedem von uns das eintraf, was er voraussagte, bei dem Oberbäcker die Strafe, die er erlitt, bei mir die Erlangung deiner Verzeihung und Gnade".
