23.
Die anderen Dinge, die den Körper angehen (Die körperlichen Güter, die zweite der drei Güterklassen, die Philo unterscheidet. Vgl. Über Abraham § 219.), sind sie nicht Träume? Ist die Schönheit nicht von kurzer Dauer, die dahinschwindet, bevor sie aufgeblüht ist? Ist die Gesundheit nicht unbeständig wegen der häufig eintretenden Schwächezustände? Ist die Körperkraft nicht Krankheiten unterworfen aus zahlreichen Ursachen? Auch die Schärfe der Sinne ist nicht beständig, sie wird beim Auftreten eines kleinen rheumatischen Schmerzes gestört. Die Unsicherheit der äusseren Verhältnisse (Der äusseren Güter, der dritten Güterklasse.) aber, wer kennt sie nicht? An einem Tage sind oft grosse Reichtümer dahingeschwunden; viele, die die ersten und höchsten Ehren erlangt hatten, sanken zur Ruhmlosigkeit verachteter und unbedeutender Menschen herab; die grössten Königreiche wurden in einem kurzen Zeitmoment zerstört. Eine Bestätigung meiner Worte bietet Dionys in Korinth, der erst Herrscher von Sizilien war, als er aber aus seiner Herrschaft vertrieben wurde, nach Korinth flieht und Schulmeister wird, er, der grosse Herrscher (Dionys II, Tyrann von Syrakus, lebte nach dem Sturz seiner Herrschaft und nach seiner Vertreibung aus Syrakus (344 v. Chr.) als Privatmann in Korinth. Nach einer Sage soll er dort Schulmeister geworden sein und auf öffentlichen Plätzen Kinder unterrichtet haben. Διονύσιος έν Κορίνqφ (Dionys in Korinth) war deshalb später sprichwörtliche Redensart (vgl. Cic. ad Att. IX 9. Plut. de garrul. 17).). Eine Bestätigung bietet auch Kroesus, der König von Lydien, der reichste Herrscher, der die Herrschaft der Perser zu zerstören hoffte und nicht nur die eigene verlor, sondern auch gefangengenommen wurde und auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte. Zeugen solcher Träume sind nicht nur Männer, sondern auch Staaten, Völker, Länder, Griechenland, die Barbarenwelt, Festlands- und Inselbewohner, Europa, Asien, der Westen, der Osten; nichts bleibt überhaupt irgendwo in demselben Zustande, alles erfährt durchweg Wandlungen und Veränderungen. Ägypten hatte einst die Oberhoheit über viele Völker, jetzt ist es selbst untertänig (Zu Philos Zeit war Ägypten römische Provinz,). Die Makedonier waren zu einer Zeit so mächtig, dass sie die Herrschaft über die ganze bewohnte Welt sich aneigneten, jetzt entrichten sie den Steuerpächtern den von den Herren (den Römern.) ihnen auferlegten jährlichen Tribut. Wo blieb das Haus (die Dynastie) der Ptolemäer und der Glanz aller Diadochen, der einst zu Lande und zu Wasser bis an die Enden der Erde erstrahlte? Wo blieb die Freiheit der selbständigen Völker und Staaten? wo andererseits die Knechtschaft der untertänigen? Haben nicht früher die Perser über die Parther geherrscht, jetzt dagegen die Parther über die Perser infolge der Wandlungen und der wie im Brettspiel auf- und niedergehenden Veränderungen menschlicher Geschicke? Manche malen sich langes und endloses Glück aus, es ist aber der Beginn grossen Unglücks; und wenn sie zur Besitznahme vermeintlicher Güter eilen, finden sie schlimme Verhältnisse, und umgekehrt wenn sie Böses erwarten, treffen sie auf Gutes. Athleten, die sich mit ihrer Kraft und Stärke und Körpergewandtheit brüsteten und auf unzweifelhaften Sieg hofften, wurden häufig als nicht genügend erprobt vom Wettkampf ausgeschlossen oder nach ihrem Eintritt in den Kampf besiegt, andere wiederum, die schon die Hoffnung aufgegeben hatten auch nur den zweiten Preis zu gewinnen, trugen den ersten Siegespreis davon und wurden gekrönt. Manche, die im Sommer in See stachen, der günstigsten Zeit für gute Seefahrt, litten Schiffbruch, andere, die im Winter schiffbrüchig zu werden fürchteten, wurden ungefährdet zum Hafen geleitet. Manche Kaufleute warten mit Spannung auf vermeintlich sicheren Gewinn und denken nicht an den ihnen etwa drohenden Schaden, und umgekehrt erlangen sie grosse Vorteile, wenn sie denken Schaden zu erleiden. So unsicher sind die Schicksale nach beiden Seiten, die menschlichen Verhältnisse schwanken wie auf einer Wage hin und her und werden infolge des ungleichen Gewichts bald hinauf- bald hinuntergezogen. Arge Ungewissheit und dichtes Dunkel ist über die Dinge ausgebreitet; wie in tiefem Schlaf irren wir umher und können mit der Schärfe des Verstandes nichts durchdringen oder kräftig und fest erfassen, denn alles gleicht Schatten und Gespenstern. Und wie bei Festzügen die ersten flüchtig den Blicken entschwinden und bei reissenden Strömen die einzelne Welle vorüberzieht und wegen ihrer Schnelligkeit der Wahrnehmung entgeht, so ist es auch mit den Verhältnissen im Leben, sie kommen und gehen vorüber und haben nur scheinbar Bestand, in Wirklichkeit bleiben sie nicht einen Augenblick, sondern entfernen sich immer wieder. Auch die Wachen, die, was die Unsicherheit im Begreifen der Dinge betrifft, sich in nichts von den Schlafenden unterscheiden, täuschen sich, wenn sie glauben imstande zu sein, die Natur der Dinge durch unfehlbare Schlüsse zu erkennen; ihrem Begreifen stehen alle Sinne im Wege, die bestochen sind durch das, was sie sehen, hören, schmecken und riechen; wenn sie sich diesen Dingen zuwenden, ziehen sie auch die ganze Seele mit sich fort und lassen sie nicht sich erheben und ungefährdet wie auf gebahnten Wegen vorwärtsschreiten; und so bringen sie in ihr die Vorstellung von hoch-niedrig und gross-klein (Die vielleicht von Philo selbst gebildeten Worte uψηλοτάπεινον und μεγαλόμΐkρον beziehen sich auf die skeptische Lehre von der Relativität der Eigenschaften der Dinge.) hervor und von allem, was mit Ungleichheit und Unregelmässigkeit zusammenhängt, und bewirken mit Gewalt, dass ihr ganz schwindlig wird.
